Von der Anakonda bis zum Zwergchamäleon – tausende Arten von Eidechsen, Schlangen und weiteren Schuppenkriechtieren leben heute auf der Erde. Doch seit wann gibt es diese Wesen? Ihr evolutionärer Ursprung muss nun rund 75 Millionen Jahre vordatiert werden, geht aus der Hightech-Untersuchung der Überreste einer kleinen Echse hervor. Mit einem Alter von etwa 240 Millionen Jahren handelt sich um den ältesten bekannten Vertreter der Schuppenkriechtiere.
Eidechsen, Schlangen und Co bilden eine ausgesprochen vielfältige Gruppe von Lebewesen unseres Planeten: Es gibt etwa 10.000 Arten – fast doppelt so viele wie bei den Säugetieren. Wie und wann sich die Schuppenkriechtiere entwickelt haben, lag bisher vergleichsweise im dichten Nebel der Evolutionsgeschichte. Als älteste bekannte Vertreter dieser sogenannten Squamaten galten bisher Fossilien, die etwa 168 Millionen Jahre alt sind – doch klar schien: Die Wurzeln dieser Tiergruppe reichen tiefer. Dies belegt nun die aktuelle Studie der Forscher um Tiago Simões der University of Alberta in Edmonton.
Röntgen-Mikrocomputertomographie liefert Einblicke
Bei dem Fossil handelt es sich um die Überreste eines kleinen Wesens, das bereits vor über zehn Jahren in den Dolomiten Südtirols entdeckt wurde. Da der Fund nicht aus dem Gestein gelöst werden konnte und Vergleichsmaterial fehlte, wurde das Fossil zunächst als rätselhaftes, eidechsenähnliches Reptil beschrieben. Es erhielt den Namen Megachirella wachtleri. Um mehr über seine Anatomie zu erfahren, haben es Simões und seinen Kollegen nun mit modernster Technik „durchleuchtet“.
Die Forscher unterzogen Megachirella dabei einer Untersuchung mittels Röntgen-Mikrocomputertomographie (microCT). Dieses Verfahren ähnelt der Computertomographie in Krankenhäusern, ermöglicht aber eine detailliertere Analyse von Feinstrukturen. Durch die Technologie lassen sich virtuell verschiedene Bestandteile das Objekts trennen – wie etwa die Knochen und das umgebende Gestein. So konnten die Wissenschaftler ein virtuelles 3D-Modell der äußeren und inneren Teile des Fundes mit mikrometrischer Auflösung erstellen. Besonders stand dabei der nur etwa zwei Zentimeter lange Schädel von Megachirella im Fokus.
Ein fossiler „Stein von Rosetta“
„So konnten wir die die verborgene Seite von Megachirella, die im Gestein eingebettet war, untersuchen“ sagt Co-Autor Federico Bernardini vom Abdus Salam-Zentrum für Theoretische Physik in Triest. Den Forschern zufolge hat das Fossil ein Alter von etwa 240 Millionen Jahren. Anhand seiner Merkmale – vor allem des Unterkiefers – erwies sich das bisher rätselhafte kleine Reptil als das nun älteste bekannte Schuppenkriechtier. Dies spiegelte sich auch in der Einordnung von Megachirella in den Stammbaum dieser Wesen wider, den die Forscher anhand der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Arten erstellt haben. „Das Exemplar ist 75 Millionen Jahre älter als jene, die man für die ältesten Eidechsen der Welt hielt und liefert wertvolle Informationen für das Verständnis der Evolution der lebenden sowie ausgestorbenen Schuppenkriechtiere“, resümiert Simões. Vermutlich reicht die Entwicklungsgeschichte der Tiergruppe bereits in die Zeit vor dem Massenaussterben am Übergang des Erdzeitalters Perm zur Trias vor 252 Millionen Jahren zurück, sagen die Forscher.
Auch Co-Autor Massimo Bernardi vom Museum für Wissenschaft in Trient ordnet dem Fossil eine große Bedeutung zu: „Es wird von nun an zu einem Bezugspunkt für Paläontologen und all jene werden, die die Evolution der Reptilien erforschen und verstehen möchten. Megachirella ist eine Art Stein von Rosetta – ein Schlüssel zum Verständnis eines evolutionären Ereignisses, das die Geschichte des Lebens auf unserem Planeten für immer geprägt hat”, so der Wissenschaftler.
Quelle: MUSE Museo delle Scienze, Nature doi: 10.1038/s41586-018-0093-3