Schon vor rund 125.000 Jahren nahmen Neandertaler womöglich einen noch heute nachweisbaren Einfluss auf ihre Umwelt. Das legt eine neue Studie nahe, derzufolge die Landschaft rund um eine ehemalige Neandertaler-Siedlung in Sachsen-Anhalt zur Zeit ihrer damaligen Besiedlung auffällig weniger dicht bewaldet war als vergleichbare Stellen in der Nähe. Dafür könnten den Forschern zufolge Aktivitäten der Frühmenschen verantwortlich gewesen sein, darunter die Herstellung von Werkzeugen und die Nutzung von Feuer.
Heute zählt der Mensch zu einem der größten Einflussfaktoren auf die Biologie, Geologie und Atmosphäre unseres Planeten. Durch menschliche Aktivitäten sterben Arten aus, schmelzen Gletscher ab und steigt der CO2-Gehalt der Atmosphäre. Doch wann begannen die Menschen erstmals, ihre Umwelt nachhaltig zu verändern? Viele Forscher gingen bislang davon aus, dass frühe Gemeinschaften von Homininen zu klein und unbedeutend waren, um bleibende ökologische Veränderungen zu hinterlassen. Andere argumentierten, dass schon prähistorische Jäger dazu beitrugen, die Population bestimmter Arten der Megafauna deutlich zu dezimieren.
Hinweise aus Pollenanalysen
Ein Team um Wil Roebroecks von der Universität Leiden in den Niederlanden hat nun an der Fundstelle Neumark-Nord in Sachsen-Anhalt Hinweise darauf gefunden, dass schon Neandertaler vor rund 125.000 Jahren die Gestalt ihrer Umwelt formten. „Unter den Faktoren, die die Vegetationsstruktur in dieser Seenlandschaft geprägt haben, identifizieren wir einen deutlichen ökologischen Fußabdruck menschlicher Aktivitäten, einschließlich der Nutzung von Feuer“, berichten die Forscher.
Im Gebiet von Neumark-Nord, etwa zehn Kilometer südlich von Halle, lebten während der letzten Zwischeneiszeit vor rund 125.000 Jahren für eine Zeitspanne von rund 2.000 Jahren Gruppen von Neandertalern. „Die Anwesenheit von Homininen in Neumark-Nord wird durch große Mengen von Steinartefakten und modifizierten Knochenfragmenten belegt“, erklären die Forscher. Um herauszufinden, inwieweit die Präsenz unserer frühen Verwandten die Landschaft beeinflusst hat, in der sie lebten, nahmen Roebroecks und seine Kollegen unter anderem Sediment- und Pollenanalysen vor. Diese lassen darauf schließen, wie sich die Vegetation im Laufe der Jahrtausende verändert hat. Ihre Ergebnisse verglichen sie mit Proben von anderen, nahegelegenen Orten, an denen die Neandertaler nach bisherigen Erkenntnissen weniger präsent waren.
Auffällig offene Vegetation über zwei Jahrtausende
Das Ergebnis: An den Vergleichsorten Gröbern und Grabenschütz wiesen die Pollenanalysen auf eine geschlossene, dich bewaldete Umgebung hin. Die Landschaft in Neumark-Nord dagegen stimmte nicht mit dem Rest der Region überein. Hier war die Landschaft über zwei Jahrtausende hinweg auffällig offen – genau in der Zeit, in der den archäologischen Funden zufolge Neandertaler dort lebten. Holzkohleablagerungen zeigten den Forschern zudem, dass die Wälder zumindest zum Teil verbrannt waren.
„Die Daten sind nicht präzise genug, um festzustellen, ob die Neandertaler in das Gebiet eingewandert sind, weil es sich durch natürliche Brände geöffnet hatte, oder ob die anfängliche Beseitigung der bewaldeten Vegetation tatsächlich durch Feuer der Neandertaler verursacht wurde“, erklären die Forscher. Da die Vegetation allerdings zwei Jahrtausende lang geöffnet blieb und damit eine Ausnahme vom allgemein dichten Vegetationsmuster der Region bildete, gehen sie davon aus, dass die Neandertaler zumindest zur Erhaltung der offenen Landschaft beigetragen haben – womöglich teils unabsichtlich, indem sie Pflanzen bei ihren täglichen Aktivitäten zertrampelten. Womöglich aber auch absichtlich durch Rodungen.
Womöglich älteste Spuren frühmenschlicher Einflüsse
„Das wiederholte Anzünden von Lagerfeuern rund um die Seen sowie andere kleinere Verbrennungsaktivitäten und die Jagd auf Wildtiere könnten im Laufe der Zeit die Vegetationsstruktur und die ökologischen Gemeinschaften in dem Gebiet so verändert haben, dass die verfügbaren Nahrungsressourcen über mehrere Generationen hinweg zunahmen“, vermuten die Forscher. „Unabhängig davon, ob die Neandertaler bei der ursprünglichen Öffnung der Vegetation eine Rolle spielten oder nicht, dürften diese Bedingungen für sie von Vorteil gewesen sein, denn sie boten eine breite Palette nützlicher und notwendiger Ressourcen, die sie möglicherweise in das Gebiet lockten und sie dazu veranlassten, zur Erhaltung dieser Bedingungen beizutragen.“
Sollten weitere Studien bestätigen, dass es tatsächlich Neandertaler waren, die die Landschaft über Jahrtausende hinweg nachhaltig veränderten, wäre das der früheste Nachweis eines prägenden Einflusses der Frühmenschen auf ihre Umwelt. Die bislang ältesten Spuren menschlicher Einflüsse auf die Vegetationsstruktur stammten vom Malawisee in Ostafrika. Sie sind etwa 85.000 Jahre alt und stammen vom Homo sapiens – unserer Spezies.
Quelle: Wil Roebroeks (Universität Leiden, Niederlande) et al., Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.abj5567