Bestimmte Arten von Feinstaub können schädlicher sein als andere. Wie Forscher in einer aktuellen Studie darlegen, sind dafür nicht allein Menge und Partikelgröße des Feinstaubs ausschlaggebend, sondern auch das oxidative Potenzial – ein Maß dafür, wie stark die jeweiligen Feinstaubpartikel oxidativen Stress und Entzündungsreaktionen im Körper auslösen. Zusätzlich hat das Team die Feinstaub-Verteilung in Europa modelliert. Demnach entsteht in ländlichen Gebieten zwar auch viel Feinstaub, aber dieser ist wegen seines geringeren oxidativen Potenzials weniger schädlich als der Feinstaub in Ballungsräumen.
Die Luftverschmutzung mit Feinstaub ist Schätzungen zufolge jährlich für mehrere Millionen Todesfälle verantwortlich und zählt zu den fünf wichtigsten Gesundheitsrisikofaktoren weltweit. Ausschlaggebend für die Gefährlichkeit von Feinstaub ist unter anderem die Partikelgröße: Je kleiner die Partikel sind, desto tiefer können sie in die Gewebe des Körpers vordringen. Bei Feinstaubmessungen und für gesetzliche Regulierungen werden daher bislang die Partikelgröße sowie die Menge des Feinstaubs berücksichtigt. Wie genau Feinstaub Schäden im Körper verursacht, ist allerdings noch nicht vollständig geklärt. Ein wahrscheinlicher Mechanismus ist, dass Feinstaubpartikel in den Zellen des menschlichen Atemsystems oxidativen Stress verursachen und Entzündungen hervorrufen, die das Risiko für Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen erhöhen.
Gesundheitsrisiko durch oxidativen Stress
Dieses sogenannte oxidative Potenzial verschiedener Arten von Feinstaub haben nun Forscher um Kaspar Dällenbach vom Paul Scherrer Institut in der Schweiz analysiert. „Bei der Studie interessierten uns vor allem zwei Punkte“, sagt Dällenbach. „Erstens, welche Quellen in Europa für das sogenannte oxidative Potenzial des Feinstaubs verantwortlich sind, und zweitens, ob das Gesundheitsrisiko des Feinstaubs durch dessen oxidatives Potenzial verursacht wird.“ Um das mögliche Gesundheitsrisiko durch das oxidative Potenzial des Feinstaubs zu bewerten, setzten die Forscher Zellen aus den menschlichen Atemwegen Feinstaubproben aus und überprüften deren biologische Reaktion. Stehen die Zellen unter Stress, geben sie einen Signalstoff für das Immunsystem ab, der im Körper Entzündungsreaktionen in Gang setzt.
Die Analysen bestätigten, dass Feinstaub mit erhöhtem oxidativen Potenzial die Entzündungsreaktion der Zellen verstärkt. Zwar sei die kausale Verbindung zwischen dem oxidativen Potenzial und einer generellen Gesundheitsgefährdung noch immer nicht eindeutig nachgewiesen, so Dällenbach. „Die Studie ist aber ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass dieser Zusammenhang tatsächlich besteht.“
Anthropogener Feinstaub besonders schädlich
Anhand von Luftproben aus der Schweiz analysierten die Forscher, welche Feinstaubquellen für Emissionen mit besonders hohem oxidativem Potenzial sorgen. Zusätzlich modellierten sie für ganz Europa, wo die höchste Feinstaubbelastung bezüglich der Masse und des oxidativen Potenzials besteht. Dabei ergaben sich beträchtliche Unterschiede: Den größten Masseanteil am Feinstaub haben Mineralstaub und sogenannte sekundäre anorganische Aerosole wie Ammoniumnitrat und -sulfat. Diese entstehen beispielsweise in der Landwirtschaft. Beide Feinstaub-Arten werden vor allem in ländlichen Räumen freigesetzt.
Die Feinstaubarten mit dem höchsten oxidativen Potenzial sind dagegen zum einen sogenannte sekundäre organische Aerosole, die beispielsweise beim Verbrennen von Biomasse freigesetzt werden, und zum anderen Metallemissionen, die im Straßenverkehr beispielsweise durch Bremsabrieb entstehen. Diese besonders schädlichen Emissionen kommen in erster Linie in dicht besiedelten Gebieten vor. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass das oxidative Potenzial des Feinstaubs und die Feinstaubmenge nicht durch dieselben Quellen bestimmt werden“, betont Dällenbach.
Mögliche Auswirkungen auf politische Entscheidungen
Diese Erkenntnis könnte Implikationen für zukünftige politische Maßnahmen zur Feinstaubreduzierung haben. In einem in “Nature” publizierten Kommentar zu der Studie schreibt Rodney Weber vom Georgia Institute of Technology in Atlanta, dass es bei reiner Betrachtung der Feinstaubmasse naheliegend wäre, einen Fokus auf landwirtschaftliche Emissionen zu setzen. „Dällenbach und Kollegen zeigen jedoch, dass diese anorganischen Salze ein geringes oxidatives Potenzial haben und somit weniger besorgniserregend für die menschliche Gesundheit sind. Jegliche Maßnahmen, die Menschen vor Aerosolen schützen sollen, werden sehr unterschiedlich sein, abhängig davon, welche Eigenschaft der Partikel – Massenkonzentration oder oxidatives Potenzial – bei der Entwicklung zugrunde gelegt wird.“
Bevor die neuen Erkenntnisse allerdings tatsächlich eine Grundlage für politische Entscheidungen bieten können, muss genauer geklärt werden, ob das oxidative Potenzial tatsächlich ein Hauptfaktor für die gesundheitsschädlichen Auswirkungen ist. Stefan Reis vom Centre for Ecology and Hydrology in Edinburgh kommentiert dazu: „Sofern weitere toxikologische Studien das Oxidations-Potenzial als wirksamen umweltmedizinischen Indikator bestätigen, kann die aktuelle Studie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, vor allem Feinstaub-Quellen wie Reifen- und Bremsenabrieb, und die Relevanz organischer Feinstaub-Komponenten in den Forschungsfokus zu rücken. Die dargestellten Ergebnisse könnten so zur Entwicklung effizienterer Minderungsstrategien führen und eine wichtige Diskussion zur Neubewertung der etablierten Indikatoren zur Gesundheitswirkung der Feinstaubbelastung einleiten.“
Quelle: Kaspar Dällenbach (Paul Scherrer Institut, Villingen, Schweiz) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-020-2902-8