Jahrtausende lang stapften sie durch die eisigen Landschaften Eurasiens – doch am Ende der letzten Eiszeit verschwanden die Wollnashörner schließlich sogar aus Sibirien. Hat der Mensch sie ausgerottet oder machte ihnen der damalige Klimawandel den Garaus? Die Ergebnisse einer genetischen Studie sprechen nun eher für einen schnellen Wandel der Umweltbedingungen als Ursache für das Aussterben. Denn die Population der Wollnashörner blieb auch noch lange stabil, nachdem der Mensch sich in ihrem Lebensraum etabliert hatte. Zum Niedergang kam es offenbar erst mit dem Beginn einer bekannten Warmphase.
Neben dem Wollhaarmammut ist das Wollnashorn (Coelodonta antiquitatis) ein weiterer Promi der eiszeitlichen Megafauna des Nordens. Seine Merkmale sind durch Fossilien aus dem Permafrost Sibiriens und auch durch Knochenfunde in Europa gut bekannt. Das Wollnashorn erreichte demnach eine Körperlänge von über 3,60 Metern und ein Gewicht von fast drei Tonnen. Das charakteristische Horn dieser Tiere erreichte über den Bogen gemessen bis zu 1,23 Meter. Durch seinen stämmigen Körperbau und das dicke Fell war das Wollnashorn gut an die rauen Steppenlandschaften der Eiszeit angepasst.
Faktor Mensch oder Klima ausschlaggebend?
Warum die Art am Ende der Eiszeit völlig verschwand, ist bis heute unklar. Infrage kommen die Klima- und Vegetationsveränderungen beim Übergang zur heutigen Warmzeit, aber auch die starke Bejagung durch den Menschen. “Ursprünglich glaubte man, dass der Mensch vor vierzehn- oder fünfzehntausend Jahren im Nordosten Sibiriens auftauchte, etwa zu der Zeit, als das Wollnashorn ausstarb. Doch in letzter Zeit wurden Spuren viel älterer menschlicher Besiedlung entdeckt, von denen die wichtigsten etwa dreißigtausend Jahre alt sind”, sagt der Seniorautor der Studie Love Dalén von der Universität Stockholm. “Das Aussterben des Wollnashorns fällt somit nicht so deutlich mit dem ersten Auftreten des Menschen in der Region zusammen“. Dies wirft somit Zweifel an der ausschlaggebenden Rolle des Menschen beim Niedergang der Art auf.
Um Einblicke in die Entwicklung der Größe und Stabilität der Population des Wollnashorns in Sibirien zu erhalten, haben die Forscher nun Erbgut aus Gewebe-, Knochen- und Haarproben von 14 Individuen analysiert. Anhand der genetischen Vielfalt dieser Genome konnten die Forscher die Populationen der Wollnashörner für Zehntausende von Jahren vor ihrer Ausrottung einschätzen. “Wir sequenzierten dazu ein komplettes nukleares Genom, um in der Zeit zurückzublicken. Zudem haben wir vierzehn mitochondriale Genome sequenziert. In diesem Erbgut spiegeln sich die effektiven Populationsgrößen der Weibchen wider”, erklärt die Erstautorin der Studie Edana Lord vom Zentrum für Paläogenetik in Stockholm.
Stabile Co-Existenz mit dem Menschen
Wie die Wissenschaftler berichten, zeichnete sich in den genetischen Merkmalen der Tiere ab: Nach einer Zunahme der Populationsgröße zu Beginn einer Kälteperiode vor etwa 29.000 Jahren, blieb die Populationsgröße der Wollnashörner konstant und das Ausmaß der Inzucht war in dieser Zeit gering. Diese Stabilität hielt bis weit nach dem Beginn der menschlichen Besiedlung Sibiriens an. Es ist also kein Rückgang der Populationsdichte festzustellen, der zu erwarten wäre, wenn die Bejagung durch den Menschen ein kritisches Niveau erreicht hätte”, sagen die Wissenschaftler. “Die Daten, die wir uns angesehen haben, reichen 18.500 Jahre zurück, also bis in eine Zeit etwa 4500 Jahre vor dem Aussterben der Wollnashörner. Das bedeutet, dass ihre Population irgendwann in diesem Zeitraum abgenommen haben muss”, sagt Lord.
Wie die Forscher weiter berichten, verdeutlichten die DNA-Daten auch, wie stark das Wollnashorn durch genetische Mutationen an die Kälte angepasst war. Eine dieser genetischen Besonderheiten, die eine Art Rezeptor in der Haut zur Wahrnehmung von Temperaturunterschieden betrifft, ist auch aus dem Genom der Wollmammuts bekannt. Anpassungen wie diese deuten darauf hin, dass das Wollnashorn durch seine Anpassung an das kalte nordostsibirische Klima besonders empfindlich auf Erwärmungsperioden reagiert haben könnte.
Und genau eine solche ist auch aus der Zeit des Niedergangs bekannt: Im Rahmen des sogenannten Bølling-Allerød-Interstadial kam es zu deutlichen klimatischen Veränderungen, sagen die Wissenschaftler. “Obwohl wir eine Beteiligung des Menschen nicht ausschließen können, vermuten wir, dass das Aussterben des Wollnashorns eher mit dem Klima zusammenhing“, resümiert Lord. „Wir nehmen damit Abstand von der einseitigen Vorstellung, dass der Mensch alles dominierte, sobald er sich in einer neuen Umwelt breitmachte”, so die Wissenschaftlerin.
Die Forscher hoffen nun, die DNA weiterer Wollnashörner untersuchen zu können, die aus der entscheidenden Zeitlücke von 4500 Jahren vor ihrem endgültigen Aus stammen, um genauere Einblicke in den Verlauf des Niedergangs zu gewinnen. Außerdem wollen sie auch dem Schicksal anderer kälteangepasster Vertreter der eiszeitlichen Megafauna nachgehen, um zu sehen, welche Effekte das sich erwärmende, instabile Klima am Ende dieser Ära hatte. “Wir wissen, dass sich das Klima stark verändert hat, aber die Frage ist: Wie stark waren verschiedene Tierarten betroffen und was haben sie gemeinsam?“, sagt Dalén.
Quelle: Cell Press, Fachartikel: Current Biology: doi: 10.1016/j.cub.2020.07.046