Was die Nahrungsausbeute betrifft, ist es wohl das effizienteste System, das die Evolution jemals hervorgebracht hat: Statt Zähne besitzen die größten Vertreter der Wale sogenannte Barten im Maul, mit denen sie gigantische Nahrungsmengen aus dem Wasser filtern können. Doch wie haben sich diese raffinierten Strukturen entwickelt? Einblick in diese Frage hat nun ein 33 Millionen Jahre alter Urahn der Bartenwale geliefert. Demnach verloren die Vorfahren der Bartenwale im Lauf der Evolution zunächst ihre Zähne, bevor sich die Barten entwickelten.
Bei den Barten handelt es sich um ein Natur-Patent, das die Entstehung des größten Tieres ermöglichte, das es jemals auf der Erde gegeben hat: Mit einer Körpermasse von bis zu 200 Tonnen stellt der Blauwal jeden Dinosaurier „dicke“ in den Schatten. Gespeist wird der Gigantismus der insgesamt 15 Vertreter der Bartenwale von winzigen Beutetieren. Das Konzept: Die Meeressäuger schwimmen in Schwärme von Krebschen oder Fischen, öffnen dabei das gigantische Maul, so dass Wasser samt der Beute in ihren flexiblen Kehlsack strömt. Anschließend drücken sie den Inhalt mit ihrer Zunge durch ihrere Barten – bis zu 400 federartig gefaserten Einheiten.
Wie entstand das raffinierte Siebsystem?
Wie sich diese ungewöhnlichen Strukturen entwickelt haben, ist bislang fraglich. Klar ist: Am Anfang der Evolution der Wale standen landlebende Säugetiere, die sich im Lauf der Jahrmillionen zunehmend an ein Leben im Wasser anpassten. Durch Fossilienfunde ist bekannt, dass die frühen Vertreter des Stammbaums der Wale noch Zähne besaßen. Bei den Barten handelt es sich allerdings nicht um spezielle Zähne, denn ihre Merkmale ähneln denen von Horn oder Haaren. Unklar ist allerdings, ob sich die Barten entwickelten, während die Tiere noch Zähne besaßen, oder ob die Vorfahren der Bartenwale zunächst zahnlos Nahrung einsaugten, bevor sich die Barten entwickelten. Für die letztere Version sprechen nun die aktuellen Ergebnisse.
Sie basieren auf der Untersuchung eines frühen Vertreters aus dem Stammbaum der Bartenwale, dessen Fossil bereits seit den 1970er Jahren bekannt ist. Der rund fünf Meter lange Meeressäuger Maiabalaena nesbittae schwamm vor etwa 33 Millionen Jahren durch ein Meeresgebiet, das dort lag, wo sich heute der US-Bundesstaat Oregon befindet. Die Forscher um Carlos Mauricio Peredo von der George Mason University in Fairfax haben das Fossil nun modernen Analysemethoden unterzogen: Durch computertomographische Untersuchungen konnten sie erstmals Details der Feinstrukturen des Mauls des Tieres aufdecken.
Weder Zähne noch Barten
Zunächst zeigte sich: Maiabalaena war zahnlos – er ist damit der älteste bekannte Vertreter aus dem Stammbaun der Bartenwale ohne Zähne, sagen die Forscher. Die große Überraschung war allerdings, dass die Forscher auch auf keinerlei Spuren von Barten stießen. Außerdem gab die Anatomie des Mauls keine Hinweise darauf, dass sich dort einst vergleichbare Strukturen befunden haben. Den Forschern zufolge legen die Ergebnisse somit nahe: Zuerst wurden die Wale zahnlos, später kam es dann zur Entwicklung der Barten. Mit anderen Worten: Der Verlust der Zähne und die Entstehung der Barten waren getrennte evolutionäre Entwicklungen. „Erstmals klärt sich der Ursprung der Filterfütterung – eine der wichtigsten Entwicklungen in der Evolutionsgeschichte der Wale“, sagt Mason.
Doch wie haben diese frühen Wale ohne Zähne oder Barten gefressen? Den Forschern zufolge saugte Maiabalaena seine Beute ein. Muskelansätze an den Halsknochen deuten demnach darauf hin, dass die Tiere kräftige Wangen und eine einziehbare Zunge besaßen. So konnten sie kräftig Wasser einsaugen und dabei Fische und andere Beutetiere aufnehmen.
Zähne wurden bei diesem System überflüssig und so verschwanden sie im Lauf der Entwicklungsgeschichte, erklären die Forscher. Im zahnlosen Maul der Tiere haben sich dann etwa fünf bis sieben Millionen Jahre später die Barten entwickelt, vermuten Mason und seine Kollegen. Sie hoffen nun allerdings auf weitere Fossilienfunde, die diese Evolutionsgeschichte ausführlicher belegen.