Um an Land überleben zu können, brauchten die ersten Wirbeltiere, die aus dem Wasser kamen, nicht nur Beine statt Flossen und Lungen statt Kiemen. Auch ihre Art der Nahrungsaufnahme musste sich verändern. Fossilien des Urzeit-Fisches Tiktaalik zeigen nun, dass sich eine für das Landleben geeignete Fressstrategie schon im Wasser entwickelt hat. Statt wie die meisten Wasserbewohner die Beute nur anzusaugen – ein Vorgehen, das an Land nicht mehr funktioniert – konnte Tiktaalik auch Beiß- und Schnappbewegungen machen. Dafür sorgte eine spezielle Schädel- und Kieferanatomie, die sich heute noch bei Alligatorhechten findet.
Der Übergang von Wasser- zu Landwirbeltieren erforderte zahlreiche Anpassungen, die den Tieren ermöglichten, unter den neuen, terrestrischen Bedingungen zu leben. Doch an welchem Punkt der Evolution entstanden diese Anpassungen? Eine wichtige Übergangsform zu den ersten Tetrapoden ist der Urzeit-Fisch Tiktaalik rosae, der 2004 erstmals beschrieben wurde. Obwohl er noch mit Flossen und Kiemen ausgestattet war, besaß er auch schon primitive Lungen und einen robusten Beckengürtel, der die Voraussetzung für eine vierbeinige Fortbewegung war, die sich bei seinen Nachfahren entwickelte.
Grundlage für das Leben an Land
Forscher um Justin Lemberg von der University of Chicago haben nun gezeigt, dass Tiktaalik noch ein weiteres Merkmal aufwies, das für die spätere Entwicklung der Landwirbeltiere entscheidend war: Der Kiefer des Fisches war so aufgebaut, dass er schnappen und beißen konnte. Die meisten anderen Wirbeltiere im Wasser saugen ihre Beute an, indem sie mit dem Maul einen Unterdruck erzeugen, der das Opfer hineinspült. „An Land ist die saugende Nahrungsaufnahme ineffektiv, weil sie aus der Ferne nicht mehr funktioniert und es schwierig ist, einen ausreichend hohen Druck zu erzeugen, um etwas anzusaugen“, sagt Lemberg. „Also mussten Landwirbeltiere auf andere Methoden zurückgreifen, um Nahrung zu erbeuten.“
Hinweise auf Tiktaaliks Ernährungsstrategie fanden die Forscher, indem sie die Schädel von vier fossilen Exemplaren mit Hilfe von Mikro-Computertomographie untersuchten und am Computer dreidimensional rekonstruierten. Dabei stellten sie fest, dass der Schädel einerseits stark gegliedert war, was darauf hindeutet, dass Tiktaalik mit seinem Maul einen Sog erzeugen konnte. Die einzelnen Teile des Schädels werden bei dieser Art des Beutefangs so verschoben, dass sich der Innenraum stark erweitert und Wasser einströmen lässt. Andererseits zeigten die CT-Aufnahmen, dass die Hirnschale, das Schädeldach und Teile des Oberkiefers zu einer starren, unflexiblen Einheit verwachsen waren – eine Anatomie, die eher an Krokodile erinnert. Auch die Struktur der Zahnreihe deutete darauf hin, dass Tiktaalik beißen konnte.
Saugen und Schnappen kombiniert
„Die meisten Studien gingen bisher davon aus, dass Tiere entweder saugen oder beißen konnten, wobei sie das eine funktionell gegen das andere eintauschten“, schreiben die Forscher. „Wir argumentieren, dass das Verständnis der Ernährungsstrategien am Übergang vom Wasser zum Land eine differenziertere Perspektive erfordert.“ Ihrer Ansicht nach sprechen die Ergebnisse dafür, dass Tiktaalik nicht etwa Saugen durch Schnappen ersetzt hat, sondern beide Strategien kombinieren konnte. Dass dies grundsätzlich möglich ist, haben Lemberg und Kollegen im Jahr 2019 bereits an heute lebenden Alligatorhechten (Atractosteus spatula) gezeigt. Die großen Süßwasserfische aus Nordamerika haben spezielle Gleitgelenke zwischen den Schädelknochen, die es ihnen ermöglichen, während des Schnappens einen Sog zu erzeugen. Eben solche Gleitgelenke konnten die Forscher nun auch bei Tiktaalik nachweisen.
Die Anpassung der Jagdstrategie, die eine wichtige Voraussetzung für den Landgang bildete, hat sich demnach wahrscheinlich schon lange vor der Zeit entwickelt, in der Wirbeltiere erstmals das Land besiedelten. Lembergs Kollege Neil Shubin sagt: „Was mich wirklich verblüfft, ist, dass jede Innovation, die von Wirbeltieren an Land genutzt wird, ursprünglich in irgendeiner Form bei Fischen auftrat, einschließlich Lungen, Gliedmaßen und jetzt der Ernährung.“
Quelle: Justin Lemberg (University of Chicago) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2016421118