Nicht nur Dächer bieten Platz für Photovoltaik-Anlagen: Auch Hausfassaden könnten zur Gewinnung von Strom aus Sonnenenergie eine bedeutende Rolle spielen, wie Berechnungen nun nahelegen. Demnach ist das mögliche Flächenpotenzial für Photovoltaik an Fassaden in Deutschland sogar doppelt so groß wie das der Dächer. Besonders Ballungsräume könnten sich eignen. An der praktischen Umsetzung wird aber noch geforscht.
Um den Klimawandel zu stoppen, scheint ein Umstieg auf erneuerbare Energien unumgänglich. Eine der tragenden Säulen dafür ist die Solarenergie: So könnten beispielsweise Photovoltaik-Anlagen Prognosen zufolge bis zum Jahr 2050 immerhin 30 bis 50 Prozent des Strombedarfs liefern. Schon jetzt wächst die Zahl an Solaranlagen in Deutschland stetig – auf dem Hausdach haben sie sich längst etabliert.
Was ist mit den Fassaden der Gebäude?
Doch wie sieht es mit den Fassaden von Gebäuden aus? Wie viel potenzielle Fläche sie für die Gewinnung erneuerbarer Energien bieten, hat nun ein Forscherteam um Martin Behnisch vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden berechnet. „Für das Ziel der Bundesregierung, im Gebäudebestand bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, wird es nicht ausreichen, auf allen geeigneten Dächern in Deutschland Solaranlagen zu installieren”, begründet Behnisch.
Deshalb haben die Forscher nun ein 3D-Gebäudemodell des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG) zugrunde gelegt, um das Potenzial für den gesamten Gebäudebestand der Bundesrepublik abzuschätzen. Dabei handelt es sich aber nur um einen groben Überschlag: Jedes Haus ist mit Flachdach gezeichnet – detaillierte Dachformen, Giebelwände, Fenster, Türen, Balkone und unter anderem denkmalgeschützte Fassaden sind im Gebäudemodell nicht berücksichtigt. Gebäudefassaden, die sich berühren und damit für die Installation von Photovoltaik nicht in Frage kommen, haben Behnisch und sein Team bereits herausgerechnet. Um die Ungenauigkeiten auszugleichen, analysierten sie zusätzlich eine bundesweite Stichprobe von 100.000 Gebäuden sowie drei Fokusgebiete detaillierter – die Städte München, Freiburg und Dresden. Aus allen Daten berechneten sie schließlich das theoretische Flächenpotenzial der Gebäude für bauwerksintegrierte Photovoltaik (BIPV).
Mehr Potenzial auf Fassaden als auf Dächern
Es zeigte sich, dass das Potenzial der Gebäudefassaden deutlich größer sein könnte als bisher vermutet. “Das theoretische Flächenpotenzial lässt sich auf rund 12.000 Quadratkilometer Fassadenfläche und knapp 6.000 Quadratkilometer Dachfläche beziffern”, berichtet Behnisch. Das entspricht rund der Hälfte der Fläche von Mecklenburg-Vorpommern. Gebäudefassaden böten damit rund doppelt so viel potenzielle Fläche für Photovoltaik-Module wie Dächer. “Allerdings müssen wir auch betonen, dass es sich im Moment noch um theoretische Flächenpotenziale handelt”, schränkt er ein.
Aber wie groß könnte damit der solare Energiebeitrag von Photovoltaikanlagen zukünftig sein? Um das herauszufinden, haben die Wissenschaftler im Anschluss für alle Dach- und Fassadenflächen die solare Einstrahlung modelliert. Dafür griff das Team kleinräumig begrenzt auch auf detailliertere Gebäudemodelle mit ihren individuellen Dachformen zurück und bezog die Umgebung der Gebäude, etwa Bäume oder Gebäude und ihr Schattenwurf sowie das Gelände und umgebende Berge mit ein. Denn je nach Einstrahlung, Bedeckung und Standort variiert der mögliche Energiebetrag.
So wurde deutlich, dass das Potenzial für die Photovoltaik-Anlagen dort besonders hoch ist, wo viele Menschen auf relativ engem Raum leben und deshalb viele Gebäude stehen. Das gilt beispielsweise in den Ballungsräumen Rhein-Main, Rhein-Neckar und Rhein-Ruhr, ebenso wie in den städtischen Ballungszentren Berlin, Hamburg, Bremen, München oder dem Sachsendreieck Dresden-Leipzig-Chemnitz, so die Forscher. Außerdem ergaben die kleinräumigen Analysen, dass die potenziellen Sonnenenergieerträge auch von den Gebäudetypen abhängig sind. Demnach lohnt es sich vor allem, Solaranlagen an Fassaden von großen Gebäuden wie Produktionshallen, Bildungseinrichtungen oder öffentlichen Gebäuden zu installieren. “Aber auch große Wohnkomplexe wie Hochhäuser bieten durchaus großes Potenzial für die Installation von Photovoltaik”, sagt Behnisch.
Praktische Umsetzung wird noch erprobt
Die Ergebnisse könnten laut den Wissenschaftlern zukünftig zu einer besseren Planung der Energiegewinnung an Gebäuden beitragen. “Die Daten müssen an den konkreten Standorten noch durch genauere Analysen spezifiziert werden“, so Behnisch. „Aber sie geben doch einen Eindruck davon, welche großen Potenziale in bauwerksintegrierter Photovoltaik schlummern. Vor allem mit Blick auf die Ziele zur CO2-Einsparung sind das wichtige Ansatzpunkte. Jedes Photovoltaik-Modul, das wir an einer Hausfassade installieren, hilft dabei, Natur und kostbaren Boden zu schonen, denn es macht den Bau flächenintensiver Solarparks überflüssig.” In noch laufenden Projekten wie dem Projekt Standard-BIPV identifizieren Forscher nun geeignete Bauwerkskategorien, die mit standardisierten Photovoltaik-Fassaden renoviert werden können, und rüsten beispielhaft erste Gebäude um. Zudem wollen sie Fassadenelemente entwickeln, die sich kostengünstig konstruieren, einfach montieren sowie elektrotechnisch installieren lassen und ästhetisch aussehen.
Quelle: Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V., Fachartikel: Transforming Cities, 2020; 4, S. 62-66