Blütenpflanzen weisen ein einzigartiges Merkmal auf, das zu ihrem evolutionären Erfolg beigetragen hat: Ihre Samen sind von zwei Hüllen, sogenannten Integumenten, umgeben und können so gut geschützt heranreifen, bevor sie sich verbreiten. Nacktsamer wie Nadelbäume haben dagegen nur ein Integument. Wie aber hat sich die zweite Hülle entwickelt und was waren ihre Vorläufer? Diese Frage hat Evolutionsbiologen und Botaniker lange Zeit vor Rätsel gestellt. Nun haben Forscher neu entdeckte sowie schon länger bekannte Fossilien von mutmaßlichen Vorläufern der Blütenpflanzen analysiert und festgestellt: Schon vor 250 Millionen Jahren gab es Pflanzen mit einer Struktur, aus der wahrscheinlich das zweite Integument hervorgegangen ist.
Rund 90 Prozent aller Landpflanzen zählen heute zu den Blütenpflanzen, auch genannt Angiospermen oder Bedecktsamer. Im Unterschied zu Nacktsamern, zu denen beispielsweise Nadelbäume zählen, ist ihre Samenanlage in einem Fruchtknoten eingeschlossen. Dieser besitzt zwei Hüllen, die den heranwachsenden Samen schützen: Das innere und das äußere Integument. Nacktsamern dagegen fehlt das äußere Integument. Wie sich dieses entscheidende Merkmal der Blütenpflanzen entwickelt hat, galt lange als ein Rätsel.
Alte und neue Fossilien analysiert
Ein Team um Gongle Shi von der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Nanjing ist diesem Rätsel nun auf die Spur gekommen. Dabei halfen den Forschern neue Fossilfunde aus einem versteinerten Torf in der Inneren Mongolei in China. Die darin entdeckten Pflanzen sind außergewöhnlich gut erhalten und wuchsen vor ungefähr 126 Millionen Jahren. Zu dieser Zeit gab es bereits erste Blütenpflanzen, doch Shi und seine Kollegen konzentrierten sich auf Exemplare, die statt eines zweiten Integuments ein evolutionär älteres Merkmal aufwiesen: eine sogenannte Cupula. Dabei handelt es sich um eine gekrümmte, becherartige Struktur, die bereits früher als Vorläufer des zweiten Integuments diskutiert wurde. „Diese Interpretationen wurden allerdings erschwert durch unzureichende Informationen über die relevanten Fossilien“, schreiben Shi und Kollegen.
Anhand der neu entdeckten fossilen Pflanzen haben sie nun die Struktur der Cupula im Detail neu beschrieben und Parallelen zu älteren Fossilfunden gezogen. Dazu analysierten sie mehrere Museumsexemplare erneut, darunter auch rund 250 Millionen Jahre alte Vertreter der ausgestorbenen Ordnung Caytoniales. Bei diesen Pflanzen, die zur Gruppe der Samenfarne zählen, wurde die Cupula erstmals beschrieben. „Eine entscheidende Frage ist, in welchem Verhältnis die Cupula von Caytonia zur Cupula anderer Pflanzen aus dem Mesozoikum steht“, so die Autoren. „Das neue Material, kombiniert mit einer erneuten Untersuchung von möglicherweise verwandten Fossilien, zeigt, dass die gebogenen Becher mehrerer mesozoischer Pflanzengruppen alle grundsätzlich vergleichbar sind und dass ihre Struktur mit der gebogenen Form und der Entwicklung des zweiten Integuments in den Samenanlagen der Angiospermen übereinstimmt.“
Urtümliche Verwandte der Blütenpflanzen
Aus dieser Beobachtung schließen Shi und seine Kollegen, dass die Cupula tatsächlich der Vorläufer des äußeren Integuments war. Ihre Analysen enthüllen, dass es bei den verschiedenen Pflanzengruppen eine erhebliche Vielfalt in der Form der Cupula gab, die wahrscheinlich auf unterschiedliche Reproduktionsstrategien hindeuten. Gemeinsam ist allen aber die gebogene Form, die sich noch heute bei den Samenanlagen der Blütenpflanzen findet. Aufgrund der grundlegenden Ähnlichkeit fassen die Autoren die beschriebenen Pflanzen zu einer Gruppe zusammen, die sie als Angiophyten bezeichnen. Die Exemplare aus dem Mesozoikum charakterisieren sie als Stamm-Angiophyten: „Dabei handelt es sich um ausgestorbene Samenpflanzen, die enger mit den Angiospermen verwandt sind als mit jeder anderen existierenden Gruppe und die eines, aber nicht alle Schlüsselmerkmale der Angiospermen besitzen“, so die Forscher. Durch weitere evolutionäre Entwicklungen seien dann aus einem Vertreter der Angiophyten die Angiospermen hervorgegangen.
„Die von Shi und Kollegen beschriebenen Fossilien entsprechen nicht dem direkten Vorfahren der Blütenpflanzen“, betont der Botaniker und Evolutionsbiologe Douglas Soltis von der University of Florida in einem begleitenden Kommentar, der ebenfalls im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde. „Nichtsdestotrotz liefern sie bisher fehlende, entscheidende Informationen über den Ursprung der Bedecktsamer. Es werden aber dringend mehr Fossilien benötigt, um die Herkunft der Bedecktsamer weiter zu klären.“ Weiterhin offene Fragen seien beispielsweise, wie, wann und woraus weitere einzigartige Merkmale der Blütenpflanzen entstanden sind, die bei den Stamm-Angiophyten noch fehlen, darunter das Fruchtblatt und die Staubblätter.
Quelle: Gongle Shi (Chinese Academy of Sciences, Nanjing, China) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03598-w