Je nach Temperatur des Meerwassers setzt sich das Plankton in den Ozeanen aus unterschiedlichen Spezies zusammen. Eine neue Studie legt nun nahe, dass die einzelligen Algen in den Polarmeeren bei steigenden Wassertemperaturen von Bakterien verdrängt werden könnten. Damit würde die Basis der Nahrungsnetze in den Polarmeeren zusammenbrechen. Da die Algen zudem viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre binden, könnte ihr Verschwinden den Klimawandel weiter verschärfen.
Das Phytoplankton bildet die Grundlage für große Nahrungsnetze in den Ozeanen. Die winzigen Algen und Cyanobakterien betreiben Photosynthese und bilden so mit Hilfe von Sonnenlicht und aus der Atmosphäre gebundenem Kohlendioxid organisches Material, das die Nahrungsgrundlage für die Tiere des Meeres bildet – von winzigem Krill bis hin zu Walen. Je nach Breitengrad unterscheiden sich die Phytoplankton-Gemeinschaften in den Ozeanen. Grund dafür sind in erste Linie Unterschiede bei der Wassertemperatur und damit verbunden im Nährstoffgehalt der oberen Wasserschichten.
Lebensgemeinschaften von Pol zu Pol
Ein Team um Kara Martin von der University of East Anglia in Norwich hat die Phytoplankton-Gemeinschaften der Weltmeere nun erstmals in einem umfassenden Forschungsprojekt von Pol zu Pol erfasst. Im Rahmen von vier Forschungsexpeditionen entnahmen Martin und ihre Kollegen in verschiedenen geografischen Breiten Proben aus dem Arktischen Ozean, dem Nord- und Südatlantik und dem Südpolarmeer. Sie analysierten das in den Proben enthaltene Erbgut sowie die vom Phytoplankton hergestellten Proteine und konnten anhand dessen Rückschlüsse darauf ziehen, welche Spezies an den jeweiligen Orten zu welchen Anteilen vorkamen.
Die Phytoplankton-Gemeinschaften in allen Ozeanen basieren auf einem Zusammenspiel zwischen verschiedenen Gruppen von einzelligen Organismen: Prokaryoten, also Mikroorganismen ohne Zellkern wie beispielsweise Cyanobakterien; und Eukaryoten, also Lebewesen mit Zellkern, zu denen die Algen zählen.
Unsichtbare Aufteilung
Die Studie zeigt nun: Wie sich diese Lebensgemeinschaften zusammensetzen, verschiebt sich nicht allmählich mit dem Breitengrad. Stattdessen teilen sie sich in zwei große geografische Gruppen auf – diejenigen in kälteren, polaren Gewässern und diejenigen in wärmeren, nicht-polaren Gewässern. „Obwohl Ozeane wie ein homogenes Medium erscheinen, gibt es Unterschiede bei den Nährstoffen, den Temperaturen und anderen physikalisch-chemischen Eigenschaften“, erklärt Co-Autor Igor Gregoriev vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien. „Auch wenn es im Ozean keine Grenzen gibt, haben wir festgestellt, dass es eine unsichtbare Aufteilung der Phytoplankton-Gemeinschaften gibt.“
In den kälteren Gewässern in der Nähe der Pole kommen schwerpunktmäßig Eukaryoten vor, in wärmeren Gewässern dagegen dominieren Prokaryoten. Der Umbruch bei der Artenzusammensetzung wird den Forschern zufolge durch die Temperatur des Oberflächenwassers definiert. Bis zu einer durchschnittlichen Oberflächentemperatur von 14 Grad Celsius herrschen polare Lebensgemeinschaften vor, die reich an Eukaryoten sind, in wärmeren Gewässern dagegen nicht-polare Lebensgemeinschaften mit einem höheren Anteil an Prokaryoten.
Weitreichende Folgen für Nahrungsnetze
Anhand eines Modells aus dem fünften IPCC-Klimabericht modellierten die Autoren, wie sich diese Temperaturgrenze in den Ozeanen angesichts des Klimawandels im Verlauf der kommenden Jahrzehnte verschieben wird. Demnach werden die polaren Phytoplankton-Gemeinschaften bei zunehmender globaler Erwärmung immer weiter in Richtung der Pole gedrängt und durch Mikroben ersetzt, die an wärmere Wassertemperaturen angepasst sind. Betroffen wären der Analyse zufolge vor allem Gebiete zwischen dem 40. und 60. Grad nördlicher Breite, also etwa zwischen Rom und Oslo.
„Das hätte erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Nahrungsnetz und damit auf die Ökosystemleistungen, von denen wir alle abhängen”, sagt Martins Kollege Thomas Mock. Tiere wie Wale, Robben und auch viele kommerziell genutzte Fische würden ihre Nahrungsgrundlage verlieren. „Ein wichtiger Teil unserer Lebensmittel stammt aus der Fischerei im Nordatlantik, Nordpazifik und Südpazifik, und zwar dank des eukaryotischen Phytoplanktons – nicht der Prokaryoten. Prokaryoten sind nicht in der Lage, all die Proteine und Lipide zu produzieren, die Eukaryoten produzieren.“
Auswirkungen auf das Klima
Auch auf das Weltklima hätte diese Veränderung in der Zusammensetzung des Phytoplanktons möglicherweise einen bedeutenden Einfluss. „Eukaryotisches Phytoplankton ist für mindestens 20 Prozent der jährlichen globalen Kohlenstofffixierung verantwortlich“, schreiben die Autoren. Wird es zunehmend verdrängt, könnte sich der globale Kohlenstoffkreislauf verändern. „Ich denke, dass diese Studie dazu dienen kann, politische Entscheidungsträger auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ökosysteme zu mindern“, sagt Mock. „Wir haben nun einen neuen Blick darauf, wie sich die Erwärmung auf die marinen Gemeinschaften auswirkt und damit auch auf den Menschen. Das Wichtigste, was wir nun tun müssen, ist, den Ausstoß von CO2 zu reduzieren.“
Quelle: Kara Martin (University of East Anglia, Norwich, UK) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-021-25646-9