Schnelle, effektive Klimaschutzmaßnahmen sind nötig, um die globale Erwärmung aufzuhalten. Doch wann würden sich die positiven Effekte solcher Maßnahmen konkret bemerkbar machen? Das haben nun Klimaforscher mithilfe von Modellsimulationen untersucht. Das Ergebnis: Wenn wir noch in diesem Jahr weltweit auf den strikten Kurs zum Zwei-Grad-Klimaschutzziel einschwenken würden, hätte dies zwar unmittelbare Wirkung auf das Klimasystem. An der globalen Mitteltemperatur nachweisen ließen sich diese Effekte aber wegen der trägen Reaktion des Weltklimas und der großen natürliche Schwankungen erst in einigen Jahrzehnten.
Das Klimasystem der Erde reagiert nur langsam auf Veränderungen, weil viele Puffer seine Reaktion sehr träge machen. Ein Extremfall ist die pazifische Tiefsee, die erst jetzt die Klimaabkühlung der “kleinen Eiszeit” im 16. Jahrhundert widerspiegelt – mit einigen Jahrhunderten Verspätung. Auch die Erwärmung durch die steigenden Treibhausgaswerte in der Atmosphäre macht sich nicht sofort bemerkbar: 2014 errechneten Forscher, dass das von der Menschheit emittierte Kohlendioxid erst nach rund zehn Jahren seine maximale Treibhauswirkung entfaltet. Diese Wirkung hält dann jedoch mindestens ein Jahrhundert an. Die heute ausgestoßenen Treibhausgase haben demnach das Potenzial, noch das Klima unserer Enkel zu beeinflussen. “Der anthropogene Klimawandel kann mit einem Tanker verglichen werden, der mit Vollgas durch die Wellen pflügt”, erklärt Erstautor Bjørn Samset vom Center for International Climate Research in Norwegen. “Wenn man auf volle Kraft rückwärts geht, wird es dennoch einige Zeit dauern, bis man merkt, dass das Schiff langsamer fährt.”
Träge und variabel zugleich
Im Zusammenhang mit dem Klimaschutz weckt dies die Frage, wann sich die ersten positiven Folgen beispielsweise drastischer Emissionsminderungen zeigen würden: “Wenn wir heute unter erheblichem Ressourcenaufwand und mit viel gutem Willen der Öffentlichkeit ein Klimagas stark reduzieren würden – wann könnten wir dann die Vorteile in Form eines verringerten Klimawandels feststellen?”, so Samset und seine Kollegen. Wie sie erklären, ist diese Frage alles andere als trivial. Denn neben der Trägheit des Klimasystems spielen auch seine natürlichen Schwankungen eine Rolle. Sie überdecken den langfristigen Trend und machen es daher schwer, eine Entwicklung – ob positiv oder negativ – eindeutig zu identifizieren. Auch der Effekt des anthropogenen Klimawandels lässt sich deswegen erst bei der Betrachtung längerer Zeiträume statistisch nachweisen. “Ähnlich wie es einige Zeit brauchte, bis wir die globale Erwärmung konkret beweisen konnten, benötigen wir auch einiges an Geduld, bevor wir feststellen können, ob unsere Klimaschutzmaßnahmen die gewünschte Wirkung haben”, erklärt Samset.
Wie lange dies dauern könnte, haben er und seine Kollegen nun in ihrer Studie näher untersucht. Dafür gingen sie als Grundszenario von einer Welt aus, die auf eine Erwärmung von rund 2,6 Grad im Jahr 2100 hinsteuert, dies entspricht dem RCP-Klimaszenario 4.5. Dann simulierten sie, wie stark sich die globale Mitteltemperatur im Jahr 2100 verändern würde, wenn man jeweils einzelne Emissionen wie
CO2, Methan, Lachgas oder Ruß entweder noch in diesem Jahr komplett stoppen würde, sie pro Jahr um jeweils fünf Prozent senken würde oder aber wenn man das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens anstreben würde. Außerdem ermittelten die Forscher, ab wann man bei diesen Szenarien erstmals zweifelsfrei an der globalen Mitteltemperatur einen Unterschied zum Grundszenario nachweisen könnte.
Klares Signal frühestens ab 2033
Die Simulationen ergaben: Selbst wenn wir heute sämtliche CO2-Emissionen stoppen würden, könnten wir den positiven Effekt dieser Maßnahme erst frühestens ab 2033 nachweisen. Bis 2100 ließe sich damit aber immerhin ein Grad Erwärmung vermeiden. Bei einem Klimaschutz entsprechend dem Pariser Klimaabkommen würde es sogar bis 2047 dauern, um erste klare Effekte zu erkennen, wie die Wissenschaftler berichten. Bei anderen Klimagasen wie Methan oder Lachgas wäre die Verzögerung sogar noch etwas stärker. Nur eine Reduktion des Rußausstoßes würde sich etwas schneller bemerkbar machen: etwa ab 2028. “Die Effekte der Emissionsverringerungen lassen sich mit denen des Social Distancing während der Corona-Pandemie vergleichen: Sie wirken vom ersten Tag an, aber wegen der Inkubationszeit dauert es einige Zeit, bis man den Effekt an den Infektionszahlen sieht”, erklärt Samset. “Auf die gleiche Weise führt jede Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes dazu, dass weniger Hitze absorbiert wird, aber bis wir das messen können, vergeht einige Zeit.”
Das bedeutet, dass selbst ein erfolgreicher Klimaschutz zunächst kaum spürbar sein wird. Sowohl die globalen Temperaturen als auch die Wetterextreme werden zunächst weiter ansteigen. Für die Akzeptanz der Maßnahmen und die Kommunikation ihrer Notwendigkeit kann das ein Problem sein, wie auch Michael Brüggemann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg in einem Kommentar zur Studie anmerkt: “Die Tatsache, dass sich der Klimawandel über Jahrzehnte und Jahrhunderte entwickelt, aber die Aufmerksamkeitsspanne medialer Öffentlichkeiten zum Teil nicht über ein paar Tage hinausreicht, ist der Kern des Kommunikationsproblems Klimawandel”, sagt er. “Wir müssen heute handeln, damit es der Menschheit viel später einmal besser geht. Das erfordert viel Verantwortungsgefühl.”
Quelle: Bjørn Samset (CICERO Center for International Climate Research, Oslo) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-020-17001-1