Die Erde ist der einzige Planet im Sonnensystem mit einer aktiven Plattentektonik. Aber wie begann diese Drift der Kontinente und was hält sie aufrecht? Dazu hat nun ein Forscherteam eine ganz neue Hypothese aufgestellt. Demnach sind nicht nur die Strömungen im Erdmantel treibende Kraft der Plattentektonik, sondern auch die Sedimente, die von der Erosion in die Plattengrenzen eingebracht werden. Denn sie wirken als Schmiermittel zwischen den kollidierenden Erdplatten, wie die Wissenschaftler erklären. Indizien dafür liefert ein geophysikalisches Modell, das drei in dieser Hinsicht auffallende Perioden der Erdgeschichte aufzeigt.
Die Oberfläche unseres Planeten ist aus gewaltigen Krustenplatten zusammengesetzt, die sich ständig verschieben, zusammenstoßen, auseinanderreißen und in den darunter liegenden Erdmantel abtauchen. Entlang der mittelozeanischen Rücken entsteht dabei ständig neue Kruste, die an den Kontinenträndern wieder in die Tiefe gedrückt und aufgeschmolzen wird. Diese stetige Drift hat im Laufe der Erdgeschichte die Kontinente wandern lassen und Vulkane, Gebirge und Tiefseegräben geschaffen. Heute ist die Tektonik eine der Hauptursachen für Erdbeben. Doch was ist die Triebkraft dieses großen Kreislaufs von Werden und Vergehen irdischer Kruste? Gängiger Theorie nach liegt der Motor der Plattentektonik in den Strömungen des Erdmantels: Als sich die junge Erde von außen her allmählich abkühlte, ließen Temperaturunterschiede im Mantel Konvektionsströmungen entstehen. Die Bewegungen des zähflüssigen Gesteinsmaterials, unterstützt durch den Zug der an den Subduktionszonen absinkenden Erdplatten, ziehen die darüberliegenden Erdplatten mit sich – so die vorherrschende Lehrmeinung.
Sediment als Schmiermittel
Nun jedoch schlagen Stephan Sobolev vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) und Michael Brown von der University of Maryland eine weitere mögliche Triebkraft der Plattentektonik vor. Demnach spielen auch die entlang der Kontinentränder angesammelten Sedimente eine wichtige Rolle für das Tempo und die Stabilität der Plattentektonik. Den Anstoß für diese Hypothese brachte eine Beobachtung an Subduktionszonen: Je mehr Sediment die tiefen Gräben entlang dieser Plattengrenzen enthalten, desto reibungsloser und schneller scheint dort die Plattenbewegung zu verlaufen. “Wir schließen daraus, dass die kontinentalen Sedimente in den Subduktionsgräben als Schmiermittel wirken und dass die Präsenz dieser Sedimente sogar eine notwendige Voraussetzung für eine stabile Plattentektonik sein könnte”, sagen die Forscher. Vor allem in der Frühzeit der Erdgeschichte könnte demnach die Erosion als Hauptquelle von Sedimenten eine wichtige Rolle gespielt haben.
Wenn diese Hypothese stimmt, dann müsste sich dieser Zusammenhang von Sediment und Tektonik auch in der Erdgeschichte widerspiegeln. Demnach müsste in Phasen stärkerer Erosion, die vermehrt Sedimente in die Küstengebiete einschwemmt, auch die Kontinentaldrift stärker gewesen sein. Ob das zutrifft, haben Sobolev und Brown mithilfe geologischer Daten und einem geophysikalischen Modell überprüft. In diesem rekonstruierten sie den Ablauf und das Tempo der Plattentektonik in den letzten drei Milliarden Jahren. Dann suchten sie nach Parallelen zwischen diesem zeitlichen Muster und Phasen verstärkter Erosion.
Drei Schübe für die Kontinentaldrift
Es zeigte sich: Im Laufe der Erdgeschichte hat es drei Zeitperioden gegeben, in denen eine verstärkte Plattentektonik auftrat – und alle drei folgten auf Phasen mit einer besonders intensiven Erosion. “In jeder dieser Phasen haben wir einen Zusammenhang mit der relativen Menge der glazialen Sedimente gefunden”, sagt Brown. Den Anfang macht eine Zeit vor 2,7 bis 2,8 Milliarden Jahren, kurz nach Einsetzen der Kontinentaldrift auf unserem Planeten. “Diese erste Periode folgt einer umfangreichen Vergletscherung und dem Auftauchen der ersten Kontinente aus dem Meer”, berichten Sobolev und Brown. Die noch jungen Landmassen waren damals erstmals der Verwitterung und Erosion ausgesetzt und damit wurden große Mengen an Sedimenten in das Urmeer geschwemmt. Vor 2,2 bis 1,8 Milliarden Jahren folgte eine zweite weltweite Vergletscherung mit entsprechend intensiver Erosion. Sie spielte nach Angaben der Forscher eine wichtige Rolle für den Tektonik-Schub, der Columbia, den ersten Superkontinent der Erdgeschichte, schuf.
Der letzte große Schub folgte nach dem größten Oberflächenerosionsereignis in der Erdgeschichte – der auch als “Schneeball Erde” bezeichneten globalen Eiszeit vor 630 bis 750 Millionen Jahren, wie die Forscher berichten. Als damals die Eismassen wieder tauten, schwemmten sie so viel Sedimente in die Ozeane, dass diese Ablagerungen selbst Gebirge überdeckten und einebneten. Diese als “Große Diskordanz” bezeichnete Schicht ist bis heute unter anderem im Grand Canyon deutlich zu sehen. “Dieses beispiellose Ausmaß der Oberflächenerosion initiierte den gegenwärtigen geodynamischen Zyklus mit seiner anhaltenden globalen Kontinentaldrift und könnte auch die kambrische Explosion des Lebens auf unserer Erde ausgelöst haben”, konstatieren Sobolev und Brown.
Nach Ansicht der beiden Geowissenschaftler sprechen diese Zusammenhänge dafür, dass für die Plattentektonik nicht nur Vorgänge im Erdinneren entscheidend sind, sondern auch die Erosion und Sedimentbildung. “Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die tektonischen Platten dieses Schmiermittel brauchen, um in Bewegung bleiben zu können”, sagt Brown. Noch allerdings muss diese Hypothese weiter überprüft werden, wie auch die beiden Forscher einräumen.
Quelle: Stephan Sobolev (Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, Potsdam) und Michael Brown (University of Maryland, College Park), Nature, doi: 10.1038/s41586-019-1258-4