Der Landgang der ersten Wirbeltiere vor knapp 400 Millionen Jahren war ein entscheidender Schritt der Evolution. Doch wer der erste Vierbeiner war und wie er aussah, ist bislang ungeklärt. Jetzt haben Paläontologen in Russland das älteste Fossil eines frühen Tetrapoden entdeckt, das aus mehr als nur einem oder zwei Knochenfragmenten besteht. Die Relikte des 372 Millionen Jahre alten Parmastega aelidae verraten, dass dieser frühe Vierbeiner in Verhalten und Kopfform einem Krokodil glich: Er schwamm an der Wasseroberfläche und lauerte dort möglicherweise auf Beute. Dass dieser Tetrapode allerdings schon an Land lief, erscheint angesichts seiner nicht verknöcherten Schultern und Wirbel eher fraglich, sagen die Forscher.
Die ältesten Fußabdrücke eines Tetrapoden sind rund 390 Millionen Jahren alt. Sie belegen, dass es schon damals Wirbeltiere gab, die mit ihren Beinen liefen statt nur wie Fische zu schwimmen. Aus ihnen, so die gängige Theorie, entwickelten sich dann im Laufe der Zeit die Tiere, die den Übergang vom Wasser- zum Landleben meisterten. Doch von diesen Pionieren des Landlebens kennen wir bislang nur wenige, bis zu 373 Millionen Jahre alte Knochenfragmente – und diese Fossilien sind zu unvollständig, um daraus auf das Aussehen und die stammesgeschichtliche Zugehörigkeit dieser frühen Tetrapoden zu schließen. Die ersten vollständigen Skelette von vierbeinigen Landgängern stammen von Gattungen wie Ichthyostega und Acanthostega, die erst gegen Ende des Devon vor rund 360 Millionen Jahren lebten. Ihr Aussehen lässt sich daher zwar rekonstruieren, aber sie lebten zu einer Zeit, in der es schon zahlreiche verschiedene Tetrapoden gab. Die ersten ihrer Gruppe waren sie daher nicht.
372 Millionen Jahre altes Vierbeiner-Fossil
Jetzt haben Pavel Beznosov vom Komi Forschungszentrum im russischen Syktyvkar und seine Kollegen Fossilien entdeckt, die von einem der ältesten bekannten Tetrapoden stammen – und die weit vollständiger sind als die Knochenfragmente früherer Funde. Die mehr als 100 Knochen sind 372 Millionen Jahre alt und stammen von rund einen Meter langen Tieren, die schon wesentliche Merkmale der Tetrapoden aufwiesen. So ähnelt der Schädel der Parmastega aelidae getauften Art dem von Acanthostega, besitzt aber noch größere, auf der Oberseite des Kopfes sitzende Augen. “Das spricht dafür, dass Parmastega an der Wasseroberfläche schwamm, ähnlich wie heute die Krokodile”, berichten die Forscher. “Die Morphologie des Schultergürtels spricht stark dafür, dass Parmastega schon Beine statt paarigen Flossen besaß.” Nach Ansicht von Beznosov und seinen Kollegen handelt es sich demnach bei diesem Tier um den ältesten rekonstruierbaren Tetrapoden, den man bisher kennt.
Doch wo lebte dieser Ur-Vierbeiner? Wagte er sich schon an Land oder war er noch ein Wasserbewohner, der nur anatomisch den ersten Landwirbeltieren glich? Eine mögliche Antwort auf diese Fragen liefert unter anderem das auffällige Fehlen von Beinknochen, Rippen, Wirbeln oder Hüftknochen, wie die Paläontologen erklären. Da in dem feinen Kalkstein der Fundformation selbst sehr zarte Knöchelchen des Schädels erhalten geblieben sind, spricht die Abwesenheit dieser Skeletteile ihrer Ansicht nach dafür, dass sie nicht verknöchert, sondern knorpelig waren. Das aber bedeutet, dass diese Tiere höchstwahrscheinlich noch nicht an Land umherliefen– ihr Skelett war, ähnlich wie bei den Jungtieren von Acanthostega, dafür zu weich. Zudem besaß Parmastega noch ein gut ausgebildetes Seitenorgan, Sensoren, die Fische bis heute zur Wahrnehmung feiner Wasservibrationen nutzen.
Wasserlebendes Raubtier mit Blick aufs Land
“Parmastega gibt uns damit den ersten detaillierteren Blick auf einen frühen Tetrapoden: Er war ein wasserlebendes, an der Oberfläche schwimmendes Raubtier von wenig mehr als einem Meter Länge, das in einer tropischen Lagune lebte”, berichten Beznosov und sein Team. Für seine räuberische Lebensweise spricht ein großes Maul mit spitzen, langen Zähnen. Trotz seiner aquatischen Lebensweise besaß Parmastega aber schon Beine statt Flossen und Augen, die an das Sehen in der Luft angepasst waren. “Das deutet darauf hin, dass dieses Tier durchaus schon mit seiner terrestrischen Umgebung interagierte”, so die Forscher. Unklar ist allerdings, wie und warum. Denn wenn Parmastegas Beine noch zu schwach waren, um ihn außerhalb des Wassers zu tragen, dann kann er seine Beute nicht an Land gesucht und gejagt haben. Wenn er aber Fische und andere Wassertiere fraß, stellt sich die Frage, warum er dann Augen benötigte, die außerhalb des Wassers sehen konnten.
Möglicherweise, so spekulieren die Forscher, suchte dieser Ur-Tetrapode nach Fischkadavern oder Fischen, die am Lagunenufer gestrandet waren. Er könnte auch im Wasser gelauert und dann am Ufer trinkende oder ruhende Beute ins Wasser gezogen haben – ähnlich wie heute Krokodile. Das allerdings weckt die Frage, welche Beute Parmastega jagte, denn Vögel und landlebende Vierbeiner gab es noch nicht. “Diese Entdeckung erinnert uns daran, wie viel es in dieser spannenden Detektivgeschichte noch zu lernen gibt “, schreiben Nadia Fröbisch und Florian Witzmann vom Naturkundemuseum Berlin in einem begleitenden Kommentar.
Quelle: Pavel Beznosov (Komi Science Centre, Ural Branch of the Russian Academy of Sciences, Syktyvkar) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-019-1636-y