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Er hat seinen Kindheitstraum wahr gemacht: Als Astronaut führte Alexander Gerst 166 Tage lang Experimente auf der Internationalen Raumstation (ISS) durch. Die Erde als kleiner blauer Punkt in der Unendlichkeit des Universums – „Blue Dot“ ist der Name der Mission 2014. Sein Bildband zeigt faszinierende Bilder und lässt den Leser bei so mancher Anekdote schmunzeln.
Die Umrisse Südeuropas im Dunkeln mit funkelnden Knotenpunkten, dort wo etwa Lissabon und Madrid liegen. Feuerkugeln und Blitze über dem Nahen Osten. Regenwälder, durch die sich Forststraßen „wie Krebsgeschwüre“ ziehen. Gerst erkennt vom Weltall aus, wie wir Menschen unseren Planeten prägen. Lichtverschmutzung, Krieg und Rodung: Aus der Ferne zeigt sich das Desaster in seiner ganzen Ausprägung. Staatsgrenzen gibt es vom Weltall aus gesehen nicht. Doch Gersts Fotos lassen auch die Schönheit erkennen: die Gletscher der Anden im Süden Chiles, die Sumpfgebiete um den europäischen Fluss Wolga und die Wirbelstraßen aus Wolken über den Meeren unseres „Blauen Planeten“.
Ein Geophysiker im All
Der Leser erfährt, dass Gersts größte Sorge war, sich kurz vor der Mission noch ein Bein zu brechen und dass er vor dem Start „Über den Wolken“ von Reinhard Mey hörte. Im Handgepäck hatte er ein DFB-Trikot. Der begleitende Text beantwortet Fragen, die sich so mancher Raumfahrt-Interessierte stellt: Wie oft wechselt ein Astronaut die Unterwäsche? Kann man in der Schwerelosigkeit gut schlafen? Und wie schmeckt Astronauten-Kost? Der Bildband ist chronologisch aufgebaut, jedem der sechs Monate im All ist ein Kapitel gewidmet. Der Leser begleitet den Astronauten im Alltag auf der ISS und erlebt, wie wichtig die gute Zusammenarbeit im Team ist. Gersts Erzählungen machen Gänsehaut – etwa wenn er bei einem Außeneinsatz frei im Weltraum schwebt. Lars Abromeit hat die Geschichten aufgezeichnet. Die beiden kennen sich seit 2005. Der Journalist Abromeit unternahm damals eine Recherchereise in die Antarktis, wo Gerst für seine Doktorarbeit in Geophysik die Eruptionen des Vulkans Erebus erforschte. Die Texte sind aus der Ich-Perspektive Gersts geschrieben, wodurch das Geschehen auf der ISS sehr erlebbar wird.
Seifenblasen, die nicht platzen
Gerst will auch Kinder für die Raumfahrt begeistern. Als „Sendung mit der Maus“-Fan hat er Fragen von Mädchen und Jungen von der ISS aus beantwortet und im Projekt „Aktion 42“ durften Schüler Gerst Versuche vorschlagen, die er später mit 42 Materialien und Gegenständen an Bord der ISS ausprobierte. So konnte er in der Schwerelosigkeit Seifenblasen mit Nadeln durchstechen, ohne dass sie platzten. Um neue Erkenntnisse für Medizin, Technik und die Klimaforschung zu gewinnen, führte Gerst mit seinem Team im Auftrag von Wissenschaftlern mehr als 160 Experimente in der Schwerelosigkeit durch. So haben etwa Osteoporose-Patienten, die an Knochenschwund leiden, ihre Medikamente auch der Raumfahrtforschung zu verdanken.
Im Juni 2018 brach Gerst zu seiner zweiten Mission „Horizons“ auf – seit Anfang Oktober ist er der neue Kommandant auf der ISS. Wenn wir abends den Blick auf den Sternenhimmel richten, sehen wir vielleicht die Raumstation, wie sie hoch über unseren Köpfen die Erde umrundet.
Alexander Gerst
166 Tage im All
Aufgezeichnet von Lars Abromeit
Frederking & Thaler, München, 2018, € 40,00