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Der verwundete Planet

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Der verwundete Planet

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Der circa 100 Kilometer lange Bayerische Wald erstreckt sich entlang der tschechischen Grenze von der Oberpfalz bis nach Oberösterreich. Er bildet das größte Schutzgebiet seiner Art in Europa und zieht unzählige Touristen an. Neben den herbstlich bunten Laubbäumen sind auch abgestorbene Fichten zu erkennen. Sie sind vom Borkenkäfer befallen. © Frederking&Thaler Verlag/Bernhard Lang

Im Bildband „Wie der Mensch die Erde verändert“ zeigt der Fotograf Bernhard Lang Aufnahmen der Erdoberfläche aus der Helikopterperspektive. Der Umwelthistoriker Christof Mauch ordnet die Motive ein. Im Interview berichtet er über die Auswirkungen menschlichen Handels auf die Umwelt – früher und heute.  

Das Gespräch führte JOHANNES BECKER

Über den Interviewpartner

Christof Mauch (*1960) ist der Direktor des Rachel Carson Center for Environment and Society an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Rahmen seiner Tätigkeit ist er ständig mit Umweltproblemen aus globaler Perspektive konfrontiert. Im Bildband erzählt er die verborgenen Geschichten in den Bildern des Fotografen Bernhard Lang.

Prof. Mauch, was hat Sie an den Bildern Ihres Kollegen Bernhard Lang am meisten beeindruckt?

Faszinierend finde ich, dass man nicht auf den ersten Blick und oft auch nicht auf den zweiten Blick weiß, worum es sich handelt. Ein Beispiel sind die Ölschiefergebiete in Estland.  Das, was auf den Bildern tropisch und exotisch erscheint – Wasserfarben wie auf den Malediven – ist in Wirklichkeit extrem giftig. Es verbirgt sich also etwas hinter diesen Bildern und es ist etwas ganz anderes, als das, was es uns auf den ersten Blick vorgibt zu sein.

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Welche Gedanken kommen Ihnen als Umwelthistoriker beim Anblick der Bilder?

Die Bilder machen neugierig. Als Umwelthistoriker erzähle ich Geschichten über das Verhältnis des Menschen zur Natur, auch darüber was uns aus der Helikopterperspektive verborgen bleibt. Was die Bilder vereint, ist letztlich ein verwundeter Planet. Mich interessieren Narrative, die erklären können, warum die Welt, in der wir leben, so aussieht, wie sie aussieht. Für eine solche Erklärung müssen wir uns die Frage stellen, wie und vor allem, warum sich das Verhältnis vom Menschen zu seiner Umwelt im Laufe der Geschichte verändert hat.

Wie beschreiben Sie das heutige Verhältnis des Menschen zur Natur?

Wir sind Parasiten. Ein Parasit ist ein Lebewesen, das aus der ihn umgebenen Welt einen Nutzen zieht. Übrigens überträgt er auch Krankheiten und schert sich nicht darum, was er verursacht, sondern nur was ihm nützt. Wir sollten eher dahin kommen, dass wir Kommensale werden, also Lebewesen, die von einem anderen Wirt leben und sich davon ernähren, aber diesem nicht schaden.

“Die Auswirkungen auf die planetare Gesundheit – auf die Gesundheit von Erde und Mensch – sind immens.”

Einen großen Nutzen hat etwa der Abbau von Braunkohle. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Wir unterschätzen, wie viele Tausende von Toten es jährlich durch Kohle in Europa gibt. Und zwar nicht durch Unfälle, sondern durch Asthma, Bronchitis und Lungenkrebs. Und wir unterschätzen, wie stark wir durch Braunkohleabbau das Grundwasser schädigen. Auf den Bildern von Bernhard Lang sehen wir die ausgegrabenen Löcher, die wir kreieren. Die Auswirkungen auf die planetare Gesundheit – auf die Gesundheit von Erde und Mensch – sind immens.

In welcher Zeit hat der Mensch die Erde am meisten verändert?

Vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Mensch neue synthetische Stoffe geschaffen, die sich ablagern und eine eigene Schicht auf dieser Erdoberfläche bilden. Für mich ist eines der großen Beispiele der Beton. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sprechen davon, dass wir heute im Anthropozän leben, einem Zeitalter, das hauptsächlich von den Aktivitäten des Menschen bestimmt ist. Die Veränderung der Natur durch den Menschen ist also wesentlich größer als die von der Natur selbst. Über Millionen von Jahren hinweg hat die Erde als Akteurin selbst ihre Oberfläche verändert. Das Auftreten von Erdbeben, Erdrutschen, die Bewegung von Gletschern, Vulkanismus, Wind, oder die Sedimentablagerungen von Flüssen – all das waren extreme, naturgemachte Veränderungen unserer Erdoberfläche. Aber in den letzten Jahrzehnten hat der Mensch eine enorme Macht gegenüber der Erdkruste entwickelt, Hiroshima ist nur ein Beispiel dafür.

Foto: Prof. Dr. Christof Mauch, ©Martin Hangen/hangenfoto

Welche weiteren Meilensteine in früheren Zeiten lassen sich ausmachen?

Große Veränderungen brachte die Zeit der Neolithischen Revolution, als man am Ende der Eiszeit sesshaft wurde und als der Mensch fast schon systematisch begann, Tiere zu domestizierten und Pflanzen zu züchten. Es bestand plötzlich die Möglichkeit, in dichten Siedlungen zu leben. Das war der Auftakt für die Vermehrung der Bevölkerung, aber auch für die Ausbreitung von Krankheiten. Die Neolithische Revolution hat sehr große, oft von uns vergessene Veränderungen mit sich gebracht.

Auch die Auswirkungen der Globalisierung sind enorm. Welche Rolle spielt dabei die Erfindung des Containers?

Früher musste man auf Schiffen, Eisenbahnen oder auf Lastwägen Produkte zum Teil unverpackt oder in Säcken und Behältern unterschiedlicher Größe beladen. Durch die Erfindung des Containers entstanden riesige Behälter, die aufeinandergestapelt werden konnten und in der Lage waren, die Effektivität erheblich zu steigern. Der Transport, der früher für die Kosten von Waren ausschlaggebend war, spielt nun keine Hauptrolle mehr. Billige Produkte, die von weit her kostengünstig transportiert werden, haben unsere Welt verändert. Fast alles ist plötzlich überall verfügbar. Das hat Annehmlichkeiten mit sich gebracht, aber auch die Zerstörung von Traditionen. Die Bilder von Bernhard Lang zeigen die bunte Welt der Container, die einem ein Stück weit auch die Geometrisierung der Welt vor Augen führen. Sie stellen dar, dass wir im Zeitalter der Standardisierung leben, aber auch in einer Welt der globalen Monopole.

Beim Stichwort Geometrisierung der Welt stechen im Bildband auch die runden Kreise im griechischen Mittelmeer ins Auge. Überwiegt der Nutzen der Aquakultur ihre Nachteile?

Wir haben eine Chance, die industriell maritime Wirtschaft, die wir Aquakultur nennen, positiv zu nutzen. Auf der einen Seite bringt die Aquakultur Probleme mit sich, wie die Verschmutzung durch Fischkot und Fischabfälle. Wir sehen, dass sich der Genpool verändert, wenn gezüchtete Fische aus den Aquakulturen ausbrechen und sich mit Wildfischen vermischen. Der wuchernde Einsatz von Antibiotika gegen Krankheiten ist ein weiteres Problem. Gleichzeitig gibt es auch positive Seiten der Aquakultur: Sie hilft mit Blick auf die globale Ernährungssicherheit. Und es gibt Lösungen für die Probleme. Wir können Aquakultur zum Beispiel mit Hydrokulturen verbinden und Pflanzen einsetzen, die Fischabfälle aufnehmen und sich von ihnen ernähren. Wir sollten nicht übersehen, dass auch die vielgepriesene traditionelle Fischerei Auswirkungen wie Überfischung und das Aussterben von vielen Fischarten zur Folge hatte.

Mehr zum Thema
  • Die maritime Speisekammer: Die Wildfischbestände der Meere sind maximal befischt – oder bereits überfischt. Dabei stammen nur zwei Prozent der globalen Nahrungsmittelproduktion aus dem Meer. Wir nutzen es falsch, sagen Forscher. Ein bdw+-Artikel von Hartmut Netz.
  • Weizen trotzt Trockenheit: Weltweit suchen Pflanzenzüchter und Landwirte nach neuen, robusteren Sorten, die trotz längerer Dürrephasen stabile Erträge gewährleisten. Ein bdw+-Artikel von Christian Jung.

Wie steht es um ein weiteres zentrales Thema im Bereich der Ernährung, dem Gemüseanbau in riesigen Gebieten, etwa in Almeria?

Das Thema Almeria, die riesigen Gewächshausanlagen in Andalusien nämlich, finde ich sehr interessant. Wenn man auf der Suche nach einem regenarmen Urlaubs- oder Wohnort in Europa ist, würde man sich gerne nach Almeria wünschen. Das Gebiet war früher kaum besiedelt, ein Landstrich mit nur kargem Bewuchs, Sträuchern etwa. Heute wird auf engem Raum Landwirtschaft betrieben – und zwar mit der dreißigfachen Effizienz von einem durchschnittlichen Bauernhof in Europa. Produktion von vegetarischen Lebensmitteln und niedriger Energieverbrauch sind Faktoren, die für Almeria sprechen, für eine ökologische und ökonomische Produktion. Es gibt allerdings zwei Hauptprobleme. Das erste ist der extreme Wasserverbrauch, der sinkende Wasserspiegel und die damit einhergehende Versalzung des Grundwassers. In Andalusien hat man früher aus gutem Grund andere Typen von landwirtschaftlichen Produkten angepflanzt, nämlich Oliven, Trauben und Weizen. Sie brauchen kaum Wasser.

Und das zweite Problem?

Die Verschmutzung durch das Plastik der Gewächshäuser droht zu einer nicht mehr kontrollierbaren Belastung für die Umwelt zu werden und es wäre wichtig gegenzusteuern. 2013 wurde in der Region ein Pottwal an die Küste angeschwemmt, der 17 Kilogramm Plastik in seinem Bauch hatte. In dem Bereich der ökologischen Landwirtschaft wird derzeit für den Ort Almeria an Alternativen auch mit besseren Arbeitsbedingungen für die Arbeiter und Arbeiterinnen geforscht. Es gibt bereits Initiativen, bisher können sie jedoch leider nicht so günstig Produkte produzieren wie diese großen Plastikgewächshäuser.

Sie erzählen im Buch auch Hoffnungsgeschichten. Welche positiven Entwicklungen beobachten Sie?

Der Direktor des ersten Nationalparks in Deutschland, des Nationalparks Bayerischer Wald, hat die Formel geprägt: Natur Natur sein lassen. Sie stand dem bisherigen, geschichtlichen Verhältnis des Menschen zur Umwelt in Deutschland entgegen. Wir haben die Natur immer als etwas gesehen, das uns ökonomischen Vorteil bringen kann. Nachdem der Bayrische Wald mit Borkenkäfern befallen war, hatte man lange Zeit nicht geglaubt, dass er sich positiv entwickeln könnte. Man ging davon aus, es würde das Ende der Landwirtschaft und des Tourismus bedeuten. Heutzutage sind die Menschen stolz auf die Entwicklungen im Wald, der Tourismus boomt. Wir freuen uns darüber, dass es wieder viele neue Arten von Vögeln und Säugetieren gibt. Wir haben erkannt, dass selbst in einer Kulturlandschaft, in einer über Jahrhunderte hinweg von Menschen beeinflussten Landschaft, das Experiment die Natur Natur sein zu lassen, Erfolg haben kann.

“Unser Verständnis von nichtmenschlicher Natur hat sich radikal verändert.”

Wie hat sich der Umgang mit Wäldern und Holz als Wirtschaftsfaktor verändert?

Über Jahrhunderte hinweg hat sich der Wert des Holzes danach bemessen, ob es als Baumaterial oder als Feuerholz eingesetzt werden kann. Als relevant galt nur das Holz und dessen materieller Wert, nicht der Baum an sich. Seit dem 19. Jahrhundert haben wir erkannt, dass der Wald noch andere ökologische Funktionen hat. Unser Verständnis von nichtmenschlicher Natur hat sich radikal verändert. Wir sehen heute Bäume nicht nur als Holz, sondern als Lebewesen, die für das Überleben auf dem vom Klimawandel bedrohten Planeten Erde von großem Wert sind.

Was hilft noch im Kampf gegen den Klimawandel?

Die Renaturierung der Moore zum Beispiel. Sie fassen eine große Menge an Kohlenstoffdioxid, mehr als alle Wälder auf der Welt zusammen. Wenn wir in der Lage sind, sie zu renaturieren, dann können wir dem Problem des Klimawandels ein Stück weit entgegenwirken.

Bernhard Lang und Christof Mauch
Wie der Mensch die Erde verändert
Frederking&Thaler Verlag 2024 € 49,99

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