Die Netzhaut ist der Teil des Auges, der visuelle Informationen empfängt und organisiert. Sie enthält Millionen von lichtempfindlichen Zellen und Nerven und besteht aus fünf verschiedenen Schichten, die zusammen Signale an das Gehirn senden. Während der Aufbau der Retina durchaus bekannt ist, war es Forschern bisher kaum möglich, den komplexen Aufbau in der Praxis zu untersuchen. „Der Wunsch war es daher, eine Modellnetzhaut zu entwickeln, die dem realen Organ sehr ähnlich ist”, sagt Cameron Cowan vom Institut für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB).
Und genau das haben die Forscher um Cowan nun geschafft: Dazu verwendeten sie pluripotente Stammzellen, die sie auf einem Nährmedium zu fünfschichtigen Organoiden kultivierten – also zu künstlicher Netzhaut. Die reifen Organoide reagierten an ihren Oberflächenschichten auf Licht und leiteten über ihre Synapsen visuelle Impulse an die Zellschichten im Inneren – wie es auch im Auge passiert.
Bei der genetischen Analyse der Organoide stellte das Team fest, dass sich ihre Transkriptome – also alle hergestellten Genprodukte – nach der Reifung stabilisierten. Und das sogar langfristig: Die Organoide enthielten die meisten Genprodukte der Netzhautzelltypen bis zu 38 Wochen lang. Daraufhin verglichen die IOB-Forscher die Organoide mit der menschlichen Netzhaut von Organspendern. Der Vergleich ergab, dass die zellspezifische Transkriptome in reifenden Organoiden denen der natürlichen Netzhaut im Laufe der Zeit immer ähnlicher werden. Daraus entwickelten die Forscher erstmals eine Übersicht zu den Zelltypen der künstlichen und echten Retina und erstellten eine öffentlich zugängliche Liste der Transkriptome für jeden Netzhautzelltyp.
Nach Ansicht der Forscher ist dies ein wertvoller Fortschritt auch für die Behandlung von Augenerkrankungen: „Man kann hochwertige Netzhautorganoide kultivieren, die aus den eigenen pluripotenten Stammzellen eines Patienten gewonnen werden”, sagt Cowans Kollegin Magdalena Renner. „Und mit dem Transkriptom-Atlas können sie herausfinden, wo ein Krankheitsgen exprimiert wird.“ So könnten zukünftig gezielt auf einzelne Patienten zugeschnittene Gentherapien entstehen.