Seidenspinner haben keine Nase, sie riechen mit ihren Antennen. Doch während der Geruchssinn von menschlichen Männern und Frauen relativ ähnlich entwickelt ist, leben männliche und weibliche Nachtfalter in völlig unterschiedlichen Geruchswelten, wie Forschende entdeckt haben: Die Antennen und die darauf liegenden Riechhaare der Seidenspinner-Männchen sind hervorragend auf das Erschnüffeln der Pheromone weiblicher Artgenossen spezialisiert – Weibchen hingegen können ihren eigenen Geruch gar nicht wahrnehmen.
„Da die Seidenspinnerweibchen ihr eigenes Pheromon nicht riechen können, wurde lange vermutet, dass ihre langen Riechhaare ebenfalls eine spezifische Funktion haben, die nur bei Weibchen zu finden ist. Die einzige Aufgabe eines Weibchens besteht eigentlich darin, nach der Paarung eine geeignete Pflanze für die Eiablage zu finden. Man hatte daher angenommen, dass die langen Riechhaare der Weibchen auf einen anlockenden Duft von Maulbeerbäumen spezialisiert sind“, sagt Sonja Bisch-Knaden vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena.
Diese Annahme testeten die Forschenden, indem sie die Reaktion der Seidenspinner-Riechhaare auf verschiedene Duftstoffe untersuchten. Dafür nutzen sie natürliche Duftmischungen, wie sie in den Blättern des Maulbeerbaums, dem Raupenkot oder dem Körpergeruch von Faltern vorkommen.
Es zeigte sich, dass Seidenspinnerweibchen den Duft der Maulbeerblätter tatsächlich durch ihre halblangen Riechhaare erschnuppern. Doch das Team von Sonja Bisch-Knaden machte bei seinen Untersuchungen noch eine weitere interessante Entdeckung: „Überraschend war für uns, dass die Nervenzellen in den langen Riechhaaren der Seidenspinnerweibchen nicht wie erwartet auf die Wahrnehmung der Wirtspflanze spezialisiert sind, sondern dass eine der beiden Nervenzellen in langen Riechhaaren sehr empfindlich auf Duftstoffe wie Isovaleriansäure und Benzaldehyd reagiert.“
Isovaleriansäure und Benzaldehyd sind Duftkomponenten von Seidenraupenkot. Dieser scheint für manche Seidenraupenweibchen eine wichtige Informationsquelle darzustellen. So konnten die Forschenden zeigen, dass die mit Raupenkot assoziierten Düfte auf verpaarte Weibchen stärker wirkten, als auf ihre jungfräulichen Kolleginnen. Während verpaarte Weibchen vom Geruch abgeschreckt wurden, zeigten jungfräuliche Weibchen spezifische Reaktion. Vermutlich helfen die Kotgerüche den Weibchen, bei der Eiablage Maulbeerbäume zu meiden, die bereits von vielen Raupen besetzt sind.