Im Jahr 2000, während des Baus einer Autobahn in Altwies in Süd-Luxemburg, entdeckten Archäologen zwei Gräber aus der frühen Bronzezeit. Eines der beiden ist die letzte Ruhestätte von einer Frau und ihrem Kind. Die beiden Skelette liegen in inniger Umarmung, wobei die Erwachsene den Kopf des Kindes in ihrer Hand birgt. Diese Grabpose zeigt große Ähnlichkeit zu einem bereits 1887 entdecktem Grab in Dunstable Downs, Großbritannien – mehr als 500 Kilometer von Altwies entfernt. Ob die beiden Bestattungen auf irgendeine Weise miteinander in Verbindung stehen?
“Der Anblick einer Frau in einer schlafenden Pose, die ein Kind in ihren Armen hält, ist bewegend und ergreifend. Auch wenn dieses friedliche Bild täuschen mag, spiegelt es dennoch eine verlorene Bedeutung wider, die sich über Tausende von Kilometern und zwischen vielen verschiedenen Kulturen erhalten hat”, erläutert Maxime Brami von der Universität Mainz. Wie der Archäologe und seine Kollegen erklären, lassen die Merkmale der beiden Grabstätten vermuten, dass die Menschen der Glockenbecherkultur, der die Skelette zuzuordnen sind, ihre Toten mit streng befolgten Ritualen betrauerte.
Um weitere Erkenntnisse zu erlangen, analysierte die Forschenden die Erbinformationen der menschlichen Überreste. “In Altwies waren eine Frau und ein circa drei Jahre alter Junge begraben, wobei die DNA-Analyse ergab, dass es sich hierbei tatsächlich um Mutter und Sohn handelt”, erklärt Brami. “Jedoch zeigt sich bei Dunstable Downs ein anderes Bild: Eine junge Frau wurde dort mit einem ungefähr sechsjährigen Mädchen begraben, aber aus der DNA erschloss sich, dass die beiden Tante und Nichte väterlicherseits waren.”
Das deute darauf hin, dass zumindest in einigen Gemeinschaften der Frühbronzezeit in Großfamilien zusammenlebten und ihre Verstorbenen gemeinsam bestatteten, wobei biologische und verwandtschaftliche Beziehungen im Vordergrund standen. Das gemeinsame Begräbnis der beiden britischen Skelette legt den Archäologen zufolge nahe, dass die Tante väterlicherseits die Rolle eines Ersatzelternteils für das Kind innehatte – ein Indiz dafür, dass damals die männliche Linie ausschlaggebend für Familie und Besitz waren. “Die Daten, […] könnten auf ein patrilineares Abstammungssystem der westlichen eurasischen Glockenbecherkultur hinweisen”, erläutert Brami.
Bei weiteren Forschungen identifizierten die Archäologen mehr als 100 ähnliche Mehrfachbestattungen von Erwachsenen und Kindern in Eurasien aus derselben Zeit. Warum wurden sie zusammen begraben? Starben sie jeweils gemeinsam, eventuell sogar gewaltsam? Anzeichen von Gewalt fand man an den Skelettresten in Altwies zumindest keine. Als alternativen Grund für die Mehrfachbestattungen vermuten die Forschenden Infektionen oder Epidemien.