Doch eine entscheidende Frage blieb weiterhin ungeklärt: Wie können die Sonnenwindteilchen in die Erdatmosphäre eindringen und dort Luftmoleküle zum Leuchten bringen, wenn das Magnetfeld die Atmosphäre eigentlich zuverlässig abschirmt? Hilfe bei der Beantwortung dieser Frage erhielten die Wissenschaftler jetzt von vier Raumsonden, die Daten über das Erdmagnetfeld sammeln, berichtet das Magazin “bild der wissenschaft” in seiner Januar-Ausgabe. Die Satelliten namens Rumba, Samba, Tango und Salsa durchqueren regelmäßig im Formationsflug den auf der Nachtseite der Erde gelegenen Teil des Erdmagnetfeldes.
Dieser Bereich ist besonders interessant für die Wissenschaft, weil er durch den auf die Erde treffenden Sonnenwind in die Länge gezogen wird ein Phänomen, wie man es auch bei den Wellen hinter einem Stein in einem Flussbett beobachten kann. Auf der Basis der Daten, die die Sonden dort gesammelt haben, bekommen Forscher nun so langsam ein Bild davon, was bei der Entstehung eines Polarlichts tatsächlich geschieht.
Am Anfang stehen dabei die geladenen Teilchen des Sonnenwindes, die auf ihrem Weg in Richtung Erde ein eigenes Magnetfeld mit einer häufig wechselnden Orientierung mit sich führen. Trifft dieses Feld in einem Moment auf die Erde, in dem es genau in die entgegengesetzte Richtung wie das Erdmagnetfeld zeigt, heben sich die beiden Felder gegenseitig auf und eine neutrale Zone entsteht. “Die mit den Feldlinien
transportierten geladenen Teilchen spüren hier kein Magnetfeld”, erklärt Axel Korth vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau.
Das hat eine interessante Konsequenz. “Dieses Aufeinandertreffen führt dazu, dass die Magnetfeldlinien aufbrechen und sich in veränderter Ordnung neu verbinden”, so Korth. Es handelt sich dabei um eine Art magnetischen Kurzschluss: Aus den zuerst getrennten Feldlinien von Erd- und Sonnenwindmagnetfeld entstehen neue, vereinigte Linien, die dank ihres irdischen Anteils fest mit dem Nord- und Südpol verbunden sind. Ausgehend von diesen beiden Fixpunkten klappen die Linien dann sozusagen um die Erde herum und bewegen sich auf der sonnenabgewandten Seite wieder aufeinander zu.
Kommen sie einander nah genug, gibt es erneut einen magnetischen Kurzschluss mit der Folge, dass die Feldlinien von Erde und Sonnenwind nun wieder getrennte Wege gehen. “Die vom Sonnenwind in die Länge gezogenen Erdmagnetfeldlinien schnellen jetzt wie Gummibänder in ihre eigentliche Position zurück”, illustriert Korth in “bild der wissenschaft”. Das geht nicht ohne Turbulenzen ab: Da bei dem Zurückschnellen der Linien viel Energie freigesetzt wird, wirbelt das Magnetfeld an diesen Stellen gehörig durcheinander und es entstehen so genannte magnetische Substorms oder Teilstürme.
Dabei passieren zwei Dinge: Die neutrale Zone öffnet einen Eingang im sonst praktisch undurchlässigen Erdmagnetfeld und die Stürme schleudern die Teilchen des Sonnenwindes hindurch bis in die Atmosphäre. Dort treffen die Elektronen und Protonen auf Sauerstoff- und Stickstoffmoleküle der Luft, stoßen mit ihnen zusammen und bringen sie dabei zum Leuchten, kurz: Ein Polarlicht entsteht.
Die Vorstellung eines solchen magnetischen Katapults ist alles andere als neu, denn schon 1961 schlug der britische Physiker James Dungey ein entsprechendes theoretisches Modell vor. Allerdings brauchten die Wissenschaftler bis jetzt, um diese Hypothese mit realen Daten untermauern zu können. Möglicherweise hilft das Verständnis der Magnetkurzschlüsse sogar dabei, andere Phänomene zu verstehen, wie etwa die Ursachen der gewaltigen Explosionen auf der Sonne. Doch egal wie kompliziert die Erklärung für die Bildung der Polarlichter ist eine Aurora borealis, wie die Lichterscheinungen auf der Nordhalbkugel auch heißen, ist und bleibt eines der beeindruckendsten Schauspiele, die die Natur zu bieten hat.