Das im Juli 2023 in All gestartete Weltraumteleskop Euclid soll im Verlauf seiner sechsjährigen Mission die bisher umfassendste Karte des “dunklen” Kosmos erstellen. Jetzt hat die europäische Weltraumagentur ESA die ersten wissenschaftlichen Aufnahmen des Teleskops veröffentlicht. Sie demonstrieren die Leistungsfähigkeit des 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt am Lagrangepunkt 2 stationierten 1,2-Meter-Teleskops. Seine Besonderheit ist es, dass es in nur einem Durchgang einen großen Himmelsausschnitt in hoher Auflösung und Schärfe abbilden kann. Mithilfe einer Kartierung des Kosmos im Infrarot und sichtbaren Licht soll Euclid dabei helfen, die Einflüsse der Dunklen Materie und der Dunklen Energie im Universum zu enträtseln.
Hauptaufgabe des Weltraumteleskops Euclid ist es, aufzuklären, wie die beiden “dunklen” Komponenten des Kosmos – Dunkle Materie und Dunkle Energie – unser Universum zu dem gemacht haben, was es heute ist. Während die Dunkle Materie über ihre Gravitationswirkung die Verteilung der Galaxien, Galaxienhaufen und anderer Großstrukturen im Kosmos beeinflusst, gilt die Dunkle Energie – wenn es sie denn gibt – als Gegenspieler der Gravitation. Diese mysteriöse, nicht nachgewiesenen Kraft soll die Expansion des Kosmos vorantreiben und für die beschleunigte Ausdehnung des Alls verantwortlich sein. Welcher Natur diese beiden “dunklen Zutaten” des Universums sind, ist jedoch noch völlig ungeklärt. Hinzu kommt, dass bisherige Kartierungen der Materieverteilung und Messungen der kosmischen Expansion einige mit gängigen Modellen schwer erklärbare Diskrepanzen ergeben haben.
Schnell und hochauflösend zugleich
“Euclid wird es Kosmologen erstmals ermöglichen, die beiden konkurrierenden dunklen Mysterien zusammen zu untersuchen”, sagt ESA-Wissenschaftsdirektorin Carole Mundell. Um bei der Lösung dieser kosmischen Rätsel zu helfen, soll das am 1. Juli 2023 gestartete Weltraumteleskop Euclid die Expansionsrate und die Massenverteilung im Kosmos über die letzten zehn Milliarden Jahren hinweg kartieren. Die Besonderheit von Euclid gegenüber anderen Teleskopen ist seine Fähigkeit, einen großen Himmelsausschnitt in nur einem Durchgang scharf und mit hoher Auflösung abzubilden. Dadurch ist dieses Teleskop besonders gut für die Kartierung des Kosmos geeignet. “Euclid wird am Ende seiner sechsjährigen Mission 14.000 Quadratgrad beobachtet haben – 35 Prozent des Gesamthimmels”, erklärt Maximilian Fabrizius vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching und an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. In Kombination mit Bilddaten von bodengebundenen Teleskopen soll so der größte und präziseste Multiwellenlängenkatalog der extragalaktischen Astronomie entstehen.
Für diese Aufgabe ist das Euclid-Teleskop mit zwei wissenschaftlichen Instrumenten ausgerüstet, dem Visible Instrument VIs und dem Nahinfrarot Spektrograf und Photometer NISP. Mit VIS wird Euclid den schwachen Gravitationslinseneffekt vermessen und für die Kartierung der Massenverteilung nutzen: Wenn im Vordergrund eine große Masse präsent ist – beispielsweise eine Ansammlung Dunkler Materie – verzerrt sie das Licht der Hintergrundgalaxien auf bestimmte Weise. Anhand dieser Verzerrungen lässt sich ermitteln, wie groß die Vordergrundmasse ist. Das NISP-Spektrometer kann dank seiner Sensitivität im Nahinfrarotbereich bis in den frühen Kosmos zurückschauen und dabei die Rotverschiebung und damit die genauen Entfernungen und Abstände der Galaxien messen. Das liefert Aufschluss über die Ausdehnung des Universums.
Die ersten fünf Aufnahmen
Jetzt hat das Euclid-Teleskop, nach einer mehrmonatigen Test- und Kalibrierungsphase die ersten fünf wissenschaftlichen Aufnahmen erstellt und zur Erde gesendet. Sie demonstrieren, dass das Teleskop die in es gesetzten Erwartungen vollauf erfüllt: “Wir haben noch nie zuvor so detailreiche astronomische Aufnahmen wie diese gesehen”, sagt Euclid-Projektwissenschaftler René Laureijs von der ESA. “Sie sind sogar noch schöner und schärfer als wir gehofft haben und zeigen uns viele zuvor unerkannte Merkmale in wohlbekannten Gebieten des nahen Universums.” So zeigt eine dieser Aufnahmen den rund 240 Millionen Lichtjahre entfernten Perseus-Galaxienhaufen, eine der massereichsten Strukturen im gesamten Universum. Mit nur einem Blick hat das Euclid-Teleskop tausend der zum Perseus-Cluster gehörenden Galaxien abgebildet und zeigt darüber hinaus noch 100.000 weitere Galaxien aus dem Umfeld dieses Haufens. „Mit Euclids riesigem Bildfeld und seiner hohen Empfindlichkeit lassen sich die Galaxien im Perseus-Galaxienhaufen bis an ihre äußersten und leuchtschwächsten Regionen vermessen”, sagt Matthias Kluge vom MPE.
Eine weitere Aufnahme zeigt den rund 7800 Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen NGC 6397. Diese Gebilde aus tausenden durch Schwerkraft aneinander gebundenen Sternen gehören zu den ältesten Objekten im Kosmos. “Euclid ist zurzeit das einzige Teleskop, das einen gesamten Kugelsternhaufen auf einmal aufnehmen und trotzdem noch selbst die schwachleuchtenden Sterne in dessen Außenbereichen scharf darstellen und vom kosmischen Hintergrund trennen kann”, erklärt Davide Massari vom Nationalen Institut für Astrophysik in Italien. Die Interaktion von Kugelsternhaufen mit ihren Galaxien und ihre Bewegungen können mehr über die Verteilung und Einflüsse der Dunklen Materie verraten. Interessant sind Kugelsternhaufen aber auch, weil sie als Bausteine für frühe, noch unregelmäßig geformte Galaxien gelten. Eine solche irreguläre Galaxie, NGC 6822, ist daher das dritte Bild von Euclid. Außerdem hat das Teleskop noch die rund elf Millionen Lichtjahre entfernte Spiralgalaxie IC 342 und den berühmten Pferdekopfnebel im Sternbild Orion aufgenommen.
„Die frühen Daten von Euclid sind atemberaubend!”, kommentiert Koshy George von der LMU München. “Mit dem großen Gesichtsfeld, der Klarheit und der Empfindlichkeit der VIS- und NISP-Instrumente können wir viele neue Details um die Galaxien herum über einen weiteren Bereich entdecken, als es bisher möglich war.“ Damit hat das Euclid-Teleskop schon in seinen ersten Bildern bewiesen, dass es die in es gesetzten hohen Erwartungen mehr als erfüllt. Wie die ESA mitteilt, werden nun noch einige letzte Justierungen am Weltraumteleskop vorgenommen, bevor dann Anfang 2024 der wissenschaftliche Routinebetrieb beginnt. Im Verlauf der Mission sollen dann einmal im Jahr neue Datensätze veröffentlicht werden.
Quelle: European Space Agency (ESA), Max-Planck-Institut für Astronomie