Die enorme Anziehungskraft supermassereicher Schwarzer Löcher kann selbst Sterne zerreißen – Astronomen sprechen dann von einem “Tidal Disruption Event”. Doch wie oft dies vorkommt, war bisher unklar. Jetzt haben Forschende mithilfe von Infrarotbeobachtungen gleich 18 solcher Ereignisse in nahen Galaxien entdeckt. Dies verdoppelt auf einen Schlag die bisher bekannte Zahl dieser Sternzerstörungen und liefert wertvolle Hinweise darauf, wann und wo sie auftreten. Denn die Beobachtungen enthüllten, dass Tidal Disruption Events in nahezu allen Typen von Galaxien vorkommen können. Zuvor schienen sie vorwiegend in seltenen “Post-Starburst”-Galaxien aufzutreten – Galaxien, die früher eine starke Sternbildung hatten, nun aber quieszent sind. Die neuen Daten widerlegen dies nun.
Im Zentrum nahezu aller Galaxien liegen supermassereiche Schwarze Löcher, Schwerkraftgiganten, deren enorme Anziehungskraft die Entwicklung ihrer Heimatgalaxie entscheidend prägt. Kommt ein Stern dem Schwarzen Loch jedoch zu nahe, bedeutet dies sein Ende: Er wird von den starken Gezeitenkräften zerrissen und zu großen Teilen vom Schwarzen Loch verschlungen. Dabei werden große Mengen an Energie frei, die das aktive Schwarze Loch in nahezu allen Bandbreiten elektromagnetischer Strahlung aufstrahlen lassen. Entdeckt wurden solche Tidal Disruption Events (TDE) zuerst nur über die freigesetzte Röntgenstrahlung, später auch über ihr Aufleuchten im sichtbaren Licht. Rund ein Dutzend dieser gezeitenbedingten Sternzerstörungen wurden darüber nachgewiesen. Allerdings warfen diese Funde auch Fragen auf. Zum einen schienen sie bevorzugt in einem seltenen Typ von Galaxien vorzukommen, die nach einem Schub der intensiven Sternbildung weitgehend inaktiv waren. Zum anderen beobachteten Astronomen deutlich weniger solcher Ereignisse, als es den gängigen Modellen zufolge geben müsste.
Fahndung nach staubverhüllten Sternzerstörungen
Um diese Fragen zu klären, haben nun Astronomen um Megan Masterson vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf neue Weise nach Tidal Disruption Events gesucht. Basis dafür bildete die Vermutung, dass ein Teil dieser Ereignisse möglicherweise durch dichte Staubschleier in den Galaxien verdeckt und daher nicht im optischen Bereich sichtbar sind. Um diese verborgenen TDEs sichtbar zu machen, nutzte das Team Daten des NASA-Weltraumteleskops NEOWISE. Dieses hat in den letzten Jahren fast den gesamten Himmel im infraorten Bereich durchmustert und dabei schwerpunktmäßig transienten, neu auftretenden oder vorübergehenden, Infrarotquellen gesucht. Der Grund: Wenn energiereiche Strahlung beispielsweise von einer Sternzerstörung auf Staubwolken trifft, absorbiert der Staub einen Teil ihrer Energie und heizt sich auf. Dadurch setzt er seinerseits Infrarotstrahlung frei. “Wenn man die TDEs als Ganzes verstehen und sie zur Erforschung der Demografie supermassereicher schwarzer Löcher nutzen will, muss man im Infrarotband suchen”, sagt Masterson.
Mithilfe eines speziellen Algorithmus suchten die Astronomen in den NEOWISE-Daten nach Infrarotemissionen, die von Galaxien im Umkreis von rund 600 Millionen Lichtjahren ausgehen. Bei rund 1000 Galaxien wurden sie fündig. “Die meisten dieser Quellen tauchen in den optischen Frequenzbereichen nicht auf”, berichtet Masterson. Anschließend suchten die Forschenden unter diesen Infrarotquellen nach denjenigen, die ein für Tidal Disruption Events typisches Muster aufwiesen und sich von dem von Supernovae oder aktiven Galaxienkernen unterschieden. Typisch ist demnach ein abrupter, scharfer Peak durch das schnelle Aufheizen des Staubes, gefolgt von einem allmählichen Verblassen, wenn der Staubschleier langsam wieder abkühlt.
18 TDEs auf einen Streich
Die Astronomen wurden fündig: Sie identifizierten 18 Galaxien mit einer starken Infrarot-Emission, die auf ein Tidal Disruption Event hindeutet. Das Fehlen eines optischen Gegenparts zu diese starken Infrarot-Flare legt nahe, dass diese Quellen eine Population von verdeckten TDEs darstellen, die zuvor übersehen wurden”, schreiben Masterson und ihr Team. Modellgestützte Analysen bestätigten, dass die beobachteten Infrarotsignaturen zu einer von Staub verhüllten Sternzerstörung passen. “Damit ist es nun möglich, durch den Staub zu blicken und die Zählung der nahen TDEs zu vervollständigen”, kommentiert der nicht an der Studie beteiligte Astronom Edo Berger von der Harvard University. Schon diese 18 neuen Entdeckungen verdoppeln die Zahl der bisher bekannten Sternzerstörungen und tragen so dazu bei, die beobachtete Zahl den theoretischen Kalkulationen anzugleichen. Ausgehend von ihren Funden schätzen Masterson und ihre Kollegen die Rate der TDEs pro Galaxie auf einmal pro rund 50.000 Jahren. Dies kommt den theoretischen Vorhersagen deutlich näher als die früheren Beobachtungen.
Die Ergebnisse demonstrieren jedoch auch, dass Tidal Disruption Events in verschiedensten Arten von Galaxien auftreten können. “Wenn man in den Himmel schaut und einen Haufen Galaxien sieht, kommen die TDEs repräsentativ in allen vor”, sagt Masterson. “Es ist nicht so, dass sie nur in einer bestimmten Art von Galaxien auftreten, wie man aufgrund von optischen und Röntgenuntersuchungen dachte.” Stattdessen erfolgten die früheren Nachweise solcher Ereignisse wahrscheinlich nur deshalb vorwiegend in Post-Starburst-Galaxien, weil diese meist kaum Staub enthalten und so die Röntgen- und optischen Strahlungsemissionen ungehindert freisetzen, wie die Astronomen erklären. Sie hoffen, mithilfe von weiteren Infrarotbeobachtungen die Häufigkeit von TDEs und die Eigenschaften der Galaxien und Schwarzen Löcher, die sie verursachen, genauer zu klären.
Quelle: Megan Masterson (Massachusetts Institute of Technology, Cambridge) et al., The Astrophysical Journal, doi: 10.3847/1538-4357/ad18bb