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Taumelnde Myonen neu vermessen

Astronomie|Physik

Taumelnde Myonen neu vermessen
Myon-g-2-Experiment
Blick auf den Beschleunigerring des Myon-g-2-Experiments. © Ryan Postel/ Fermilab

Das Myon ist der “schwere Bruder” des Elektrons – und ein für Physiker besonders spannendes Teilchen. Denn sein Verhalten in Magnetfeldern könnte verraten, ob es noch Teilchen oder Kräfte gibt, die im Standardmodell der Teilchenphysik bisher nicht erfasst sind. Schon 2021 lieferte das Myon-g-2 Experiment in den USA erste Hinweise auf eine Abweichung zur Theorie. Jetzt haben Physiker weitere Durchgänge dieser Messungen ausgewertet und dadurch die Messunsicherheiten signifikant verringert. Das Ergebnis bestätigt, dass es beim sogenannten anomalen magnetischen Moment des Myons eine Diskrepanz zum Standardmodell gibt. Dies könnte darauf hindeuten, dass dieses Teilchen tatsächlich durch noch unbekannte Effekte beeinflusst wird. Bis 2025 sollen nun auch die letzten drei Jahre der Messungen ausgewertet sein. Sie könnten die Tür zu einer “neuen Physik” dann endgültig aufstoßen.

Myonen sind “Vettern” der Elektronen, sie teilen viele Eigenschaften mit diesen Elementarteilchen, sind aber 200-mal schwerer als das Elektron. Myonen sind zudem extrem kurzlebig und bleiben nur millionstel Bruchteile einer Sekunde erhalten, bevor sie zerfallen. Wie das Elektron besitzt das Myon ein magnetisches Moment, eine Art inneren Miniatur-Stabmagneten, der in Gegenwart eines Magnetfelds wie die Achse eines Kreisels taumelt – er präzessiert. Die Geschwindigkeit dieser Präzession in einem Magnetfeld hängt dabei vom magnetischen Moment (g) des Myons ab und im einfachsten Fall sagt die Theorie voraus, dass g gleich 2 sein sollte. Allerdings ist das Myon nicht allein auf der Welt: Der Quantentheorie zufolge existiert es wie alle anderen Teilchen in einer Art Quantenschaum oder See aus virtuellen, kurzlebigen Teilchenpaaren. Diese von der Quantenfluktuation erzeugten Teilchen entstehen wie aus dem Nichts und zerfallen in Sekundenbruchteilen wieder. Ihre Präsenz verursacht jedoch Wechselwirkungen mit dem Myon, die auch die Reaktion des Myons auf das Magnetfeld beeinflussen. Wie subatomare „Tanzpartner” greifen sie nach der „Hand” des Myons und verändern dadurch auch das magnetische Moment.

Hinweise auf noch unbekannte “Tanzpartner”

Der subtile Einfluss subatomarer, virtueller Quantenteilchen führt dazu, dass das magnetische Moment des Myons immer ein wenig von g = 2 abweicht. Wie groß diese als anomales magnetisches Moment des Myons bezeichnete Abweichung ist, lässt sich anhand des Standardmodells berechnen. Dieses umfasst alle bekannten „Tanzpartner” und sagt voraus, dass das magnetische Moment dadurch um etwa 0,1 Prozent von 2 abweichen müsste. Das Spannende jedoch: Wenn es noch unbekannte Teilchen oder Kräfte geben sollte, die nicht im Standardmodell der Teilchenphysik erfasst sind, dann könnten sie sich über diesen “Tanz” des Myons verraten. “Folgt man den Hypothesen von neuer Physik, könnten zum Beispiel Teilchen der Dunklen Materie oder zusätzliche Higgs-Teilchen den Wert von g-2 beeinflussen”, erklärt Dominik Stöckinger von der Technischen Universität Dresden. Sollte dies der Fall sein, dann müssten experimentelle Messungen des anomalen magnetischen Moments sich von den theoretisch ermittelten Werten unterscheiden.

Tatsächlich haben Physiker erste Hinweise auf eine solche Abweichung gefunden: Im Jahr 2021 ergaben dies erste Auswertungen des Myon-g-2-Experiments am Fermi National Accelerator Laboratory (Fermilab) in den USA. In diesem Experiment wird ein am Fermilab mit besonders hoher Reinheit erzeugter Myonenstrahl in einem 14 Meter großen Beschleunigerring aus supraleitenden Magneten eingespeist. Die Myonen rasen im Schnitt tausendmal mit fast Lichtgeschwindigkeit durch diesen Ring und werden dabei einem externen Magnetfeld ausgesetzt. Mithilfe von Detektoren im Ring können die Physiker dabei feststellen, wie diese Magnetfelder die Präzession des magnetischen Moments der Myonen verändern. Je genauer die Bewegungen dieser “Kompassnadeln” und die Stärke des äußeren Magnetfelds erfasst werden, desto präziser ist die Messung. Der 2021 auf Basis der ersten sechs Prozent der Messungen veröffentlichte Wert für das anomale magnetische Moment des Myons erreichte eine Messunsicherheit von 460 zu einer Milliarde und wich um 4,2 Standardabweichungen – 4,2 Sigma – von dem im Standardmodell vorhergesagten anomalen magnetischen Moment des Myons ab. Dies reicht noch nicht ganz aus, um die Abweichung offiziell als Entdeckung zu klassifizieren.

Neue Messungen bestätigen Diskrepanz

Jetzt haben die Physiker des Myon-g-2-Experiments die Auswertung der ersten drei Jahre der insgesamt sechsjährigen Laufzeit des Experiments abgeschlossen – und damit die Präzision des Ergebnisses weiter erhöht. Insgesamt wurden dafür mehr als 40 Milliarden Myonen vermessen. Das Resultat lautet:  g-2 = 0.00233184110 +/- 0.00000000043 (stat.) +/- 0.00000000019 (syst.). Dieses Ergebnis bestätigt, dass es beim anomalen magnetischen Moment des Myons eine Abweichung zur Theorie gibt. „Der neue Wert, den wir heute verkünden konnten, untermauert das erste Ergebnis, das wir im April 2021 bekannt gegeben haben“, ergänzt der an den Auswertungen beteiligte Physiker Martin Fertl von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. „Er bringt die Teilchenphysik näher an den ultimativen Showdown zwischen Theorie und Experiment, der neue Teilchen oder Kräfte aufdecken könnte. Hierauf warten wir seit über 20 Jahren.“

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Gleichzeitig hat der Wert die Messunsicherheit vor allem bei der durch experimentelle Faktoren erzeugten systematischen Unsicherheit deutlich verringert. Sie liegt nun nur noch bei 0,2 parts per million. „Das ist eine großartige experimentelle Leistung”, sagt Fertls Kollege René Reimann. Während die systematische Unsicherheit mit 68 Teilen in einer Milliarde damit bereits unter dem gesteckten Ziel liegt, wird die statistische Unsicherheit durch die Menge der analysierten Daten bestimmt. eil bisher erst rund die Hälfte der in den sechs Jahren gesammelten Daten ausgewertet ist, wird sich auch die statistische Unsicherheit noch verringern lassen. Bis zum Jahr 2025, so ist es das Ziel der Myon-2-g-Kollaboration, soll die Analyse abgeschlossen sein. Zugleich wollen theoretische Physiker im Rahmen der „Myon g-2 Theory Initiative“ die Berechnungen auf Basis des Standardmodells weiter verbessern.

„Aus vielen Gründen sind wir sicher, dass unser derzeitiges Verständnis der Physik unvollständig ist. Es könnten zusätzliche Teilchen oder verborgene subatomare Kräfte existieren“, sagt Stöckinger. „Diese Auswertung könnte die Tür zu aufregenden neuen Bereichen der Wissenschaft öffnen.“

Quelle: Muon g-2 Collaboration, Fermi National Accelerator Laboratory

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