Die Erde hat sie, der Jupiter und auch die Venus: Fast alle Planeten im Sonnensystem haben Polarwirbel in ihrer Atmosphäre. Ob jedoch unser Heimatstern, die Sonne, auch diese typischen Wirbelformationen besitzt, ist ungeklärt. Ihr Plasma ist stark magnetisch und das könnte die sonst typischen Strömungen verändern oder sogar verhindern. Eine magnetohydrodynamische Simulation liefert nun mehr Aufschluss. Demnach bilden sich auch im solaren Plasma charakteristische Wirbel. Diese entstehen als geordneter Kranz aus gegenläufigen Vortices auf rund 55 Grad solarer Breite und wandern dann im Laufe des Sonnenzyklus polwärts. Dabei verringert sich ihre Zahl. Wie viele Polarwirbel übrigbleiben und wie geordnet diese sind, hängt jedoch von der Magnetstärke des jeweiligen Sonnenzyklus ab, wie das Team berichtet. Während des solaren Maximums verschwinden diese Polarwirbel zudem.
Polarwirbel sind ein für Planetenatmosphären typisches Phänomen: Die Rotation der Planeten erzeugt eine Corioliskraft, die die vorherrschenden Luftströmungen auch in polaren Regionen prägt. Auf der Erde bildet sich dadurch sowohl um den Nord- als auch den Südpol ein Ring starker Winde. Diese Polarwirbel schließen die kalte Luft an den Polen ein und beeinflussen je nach Stabilität und Durchlässigkeit das regionale Wetter bis in gemäßigte Breiten hinein, aber auch den Ozonabbau über den Polen. Auch auf anderen Planeten im Sonnensystem gibt es solche Polarwirbel. Besonders spektakulär sind sie auf den von rasenden Stürmen geprägten großen Gasplaneten Jupiter und Saturn. So bilden sich auf dem Jupiter gleich mehrere dicht gepackte Wirbelstürme über den Polen – acht über dem Nordpol und fünf am Südpol. Auf dem Saturn entsteht durch die Luftströmungen ein sechseckig geformtes Strömungsband am Nordpol, der Südpolwirbel ist dagegen kreisförmig. Diese Unterschiede geben Planetenforschern Hinweise auf den Aufbau und die Dynamik der Atmosphäre dieser Planeten.
Wie sehen die polaren Wirbel der Sonne aus?
Die Sonne ist jedoch ein Sonderfall: Zwar rotiert auch sie und ist daher ähnlichen Kräften ausgesetzt. Aber anders als bei den Atmosphären von Planeten oder Monden ist ihr solares Plasma magnetisch. “Daher wird erwartet, dass diese Magnetfelder die Existenz oder Nichtexistenz, das Aussehen und auch die Entwicklung der polaren Vortices auf der Sonne beeinflussen”, erklären Mausumi Dikpati vom National Center for Atmospheric Research in Colorado und ihre Kollegen. Hinzu kommt, dass sich die solaren Magnetfelder im Verlauf des elfjährigen Sonnenzyklus verändern: Bei jedem Maximum des Sonnenzyklus polt sich das Magnetfeld um, so dass jeweils 22 Jahre zwischen zwei Maxima gleicher Polung liegen. Parallel dazu bewegen sich Strömungen stark magnetisierten Plasmas im Laufe des Zyklus allmählich polwärts. Das größte Problem der Sonnenforschung sind jedoch fehlende Beobachtungsdaten: Die Erde und alle anderen Planeten umkreisen die Sonne auf Höhe ihres Äquators. Daher sehen wir unseren Stern immer nur von der Seite. Und auch die Sonnenbeobachtungs-Observatorien im All bleiben in der Planetenebene. Wie die Pole der Sonne aussehen, konnte daher noch keine Sonnensonde genauer erforschen.
Deshalb haben nun Dikpati und ihr Team das Geschehen an den solaren Polen mithilfe von magnetohydrodynamischen Simulationen untersucht. Ausgehend von physikalischen Gesetzmäßigkeiten rekonstruierten sie, wie sich die Plasmaströmungen mit und ohne Magnetfeld im Laufe eines Sonnenzyklus verhalten müssten. Die Simulationen ergaben: Auch die Sonne bildet Polarwirbel. Das komplexe Muster dieser magnetischen Plasmavortices ähnelt dabei eher dem auf dem Gasplaneten Jupiter als der einfachen Ringströmung auf der Erde. “Unser Hauptergebnis ist, dass sich im Laufe des Sonnenfleckenzyklus ein Ring aus Wirbeln bildet”, berichtet das Team. Dieser Wirbelring aus gegenläufig rotierenden Strömungen entsteht etwa auf 55 Grad solarer Breite und bewegt sich dann immer weiter polwärts. “Der Ring schrumpft dabei und verliert während seiner Bewegung Wirbel, bis schließlich nur noch ein Wirbelpaar sehr nahe am Pol übrigbleibt”, schreiben Dikpati und ihr Team. Als Triebkraft für diese polare Konzentration identifizierten sie die Rossby-Wellen im Sonnenplasma, großräumige wellenförmige Strömungen, die durch die Interaktion der Sonnenrotation mit dem Plasma entstehen.
Wirbelzahl abhängig von Magnetfeldstärke
Wie viele Wirbel sich im polaren Sonnenplasma bilden und wie sie sich entwickeln, hängt allerdings davon ab, wie stark ausgeprägt das Magnetfeld im betreffenden Sonnenzyklus ist. Für einen durchschnittlichen Zyklus mit eher schwachem Magnetfeld zeigten die Simulationen einen Kranz von acht regelmäßig angeordneten Plasmawirbeln, die sich dann am Pol bis auf zwei reduzierten. Fällt das Magnetfeld hingegen stärker aus, bilden sich anfangs weniger Wirbel, die auch weniger deutlich geordnet sind. Nach ihrer Polwanderung bleiben zwei bis vier ebenfalls weniger regelmäßig angeordnete Wirbel übrig. “Die Form und Bildung der Polarwirbel hängt demnach entscheidend von der Stärke des driftenden Hintergrundmagnetfelds ab”, konstatieren Dikpati und ihre Kollegen. Dabei scheinen schwächere Magnetfelder die Bildung der Wirbel zu begünstigen.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis zeigten die Simulationen jeweils beim solaren Maximum: Wenn die Sonnenaktivität den Höhepunkt im elfjährigen Sonnenzyklus erreicht, verschwinden die Polarwirbel – vermutlich im Kontext der Umpolung des solaren Magnetfelds. Das bedeutet auch, dass künftige Missionen zur Untersuchung der solaren Pole zeitlich daran angepasst werden müssten. “Man würde sonst eine Sonnenmission starten, die die solaren Pole komplett zur falschen Zeit beobachtet”, erklärt Dipatis Kollege Scott McIntosh. Dies betrifft auch die 2020 gestartete europäische Sonnensonde Solar Orbiter. Sie umkreist die Sonne zurzeit in stark elliptischen Orbits, bei der sie der Sonne immer näher kommt und sich immer weiter von der Äquatorebene entfernt. An ihrem sonnennächsten Punkt wird der Solar Orbiter in einer um 24 Grad gegen den Äquator geneigten Umlaufbahn kreisen. Dies soll den Sonnenforschern einen ersten, wenn auch schrägen Blick auf die Polarregionen der Sonne ermöglichen. Diese Phase der Mission beginnt im Dezember 2026 – es könnte daher sein, dass die anfänglichen Aufnahmen noch keine Polarwirbel erspähen, weil das 2024 begonnene solare Maximum noch nicht weit genug zurückliegt. “In jedem Fall unterstreichen unsere Resultate die Notwendigkeit für zukünftige Missionen, die die Sonnenpole zu anderen Zeiten als dem solaren Maximum beobachten können”, schreibt das Team.
Quelle: Mausumi Dikpati (National Center for Atmospheric Research, Boulder) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2415157121