Studien, die sich mit der Entwicklungsgeschichte des Hundes befasst haben, kamen bislang zu keinen eindeutigen Ergebnissen. Einige Untersuchungen haben sich mit anatomischen Merkmalen von Fossilien befasst. Sie fanden Hinweise auf hundeartige Eigenschaften bei bis zu 36.000 Jahre alten Funden. Diese Ergebnisse gelten aber nicht als Beweise, denn die anatomischen Abgrenzungen zum Wolf sind wegen ihrer geringen Ausprägung nicht eindeutig. Auch genetische Untersuchungen lieferten bisher keine zweifelsfreien Daten. Sie beruhen auf Hochrechnungen anhand der sogenannten molekularen Uhr. Es handelt sich um ein Verfahren zur Bestimmung des Zeitpunkts der Aufspaltung zweier Arten von einem gemeinsamen Vorfahren. Dabei dient die Mutationsrate im Erbgut als Anhaltspunkt: Je mehr Mutationen zwei Arten unterscheiden, desto länger liegt ihre Aufspaltung zurück.
Ist die molekulare Uhr richtig kalibriert?
Der knifflige Punkt bei dieser Methode ist: Man muss die Häufigkeit von Mutationen präzise erfassen können, um so die Taktgeschwindigkeit der molekularen Uhr richtig zu kalibrieren. Im Fall von Hund und Wolf kamen die neusten Datierungen anhand der molekularen Uhr zu dem Ergebnis, dass die Trennung der beiden Entwicklungslinien erst vor etwa 16.000 Jahren stattgefunden hat.
Die aktuelle Studie der Forscher um Love Dalén of the Swedish Museum of Natural History in Stockholm basieren auf der Untersuchung von Überresten eines Wolfes von der sibirischen Taimyrhalbinsel. Radiokarbondatierungen zufolge streifte er vor 35.000 Jahren durch die dortige Tundra. Den Wissenschaftlern gelang es, dem Fund Erbmaterial zu entlocken, das sie anschließend sequenzierten. Vergleiche dieser DNA mit der von heutigen Wölfen und Hunden offenbarte dann: Der Tamir-Wolf entstammte einer Population, die nahe der Aufspaltung der Entwicklungslinien zum heutigen Wolf und Hund existiert hat.
Frühere Domestikation als bisher gedacht
Anhand der genetischen Informationen des Tieres konnten die Forscher zudem die Mutationsraten bei Wolf und Hund feiner bestimmen – also die molekulare Uhr neu kalibrieren. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sie deutlich langsamer tickt, als bisherige Studien angenommen hatten. Mit anderen Worten: “Hunde könnten schon viel früher als allgemein angenommen domestiziert worden sein”, so Dalén. Anhand ihrer Ergebnisse kommen die Forscher nun zu einem Zeitrahmen von 27.000 bis 40.000 Jahren. Dies würde sich mit den Ergebnissen der anatomischen Untersuchungen von fossilen Funden decken.
In dieser Zeitspanne kam es den Forschern zufolge wohl mehrmals parallel zur Domestikation des Wolfes und damit zur Entwicklung des Hundes. Frühere Studien kamen ebenfalls zu dieser Schlussfolgerung. Dalén und seinen Kollegen konnten zudem zeigen, dass Tamir-Wölfe offenbar auch noch einmal später in nordische Hundelinien eingekreuzt wurden: Sibirische Huskys und grönländische Schlittenhunde tragen entsprechende genetische Spuren. Es hieß also wohl gleich mehrfach in der Domestikationsgeschichte: Es war einmal ein Wolf, der schloss Freundschaft mit Menschen…