Damit Galaxien wachsen können, benötigen sie Rohmaterial für ihre Sternbildung – kühles, neutrales Gas. Doch jetzt haben Astronomen eine frühe Galaxie entdeckt, der dieses Rohmaterial entzogen wird. Das James-Webb-Weltraumteleskop enthüllte, dass in dieser Galaxie große Mengen neutralen Gases nach außen ausgestoßen werden – höchstwahrscheinlich durch das zentrale Schwarze Loch der Galaxie. Nach Ansicht der Astronomen erklärt dies, warum die GS-10578 getaufte Galaxie trotz ihres noch relativ geringen Alters in ihrem Wachstum stagniert und kaum noch Sterne bildet: Durch den Gasausstrom verliert sie das Rohmaterial für die Sternbildung. Dies bestätigt eine schon seit längerem bestehende Theorie zu diesem Phänomen des sogenannten “Quenching” bei frühen Galaxien: Die frühe Periode der rasanten Sternbildung wurde durch die Aktivität ihrer zentralen Schwarzen Löcher unterbunden oder zumindest vorübergehend gestoppt.
Die meisten Galaxien haben in ihren Anfängen eine Periode rapider Sternbildung durchlebt – sie bildeten tausende neuer Sterne pro Jahr. Zu beobachten ist eine solche Starburst-Phase auch bei vielen frühen Galaxien, die Milliarden Lichtjahre entfernt liegen und die wir daher so sehen, wie sie zu Beginn der kosmischen Entwicklung aussahen. Heutige Galaxien sind dagegen vergleichsweise wenig produktiv. In unserer Milchstraße beispielsweise entstehen pro Jahr nur eine Handvoll neuer Sterne. “Die lokalen, massereichen Galaxien erscheinen wie kolossale Wracks einer glorreichen, aber weit zurückliegenden Sternbildungsgeschichte, auf die ein mächtiges, schnelles Quenching folgte”, erklären Francesco D’Eugenio vom Kavli Institute for Cosmology der University of Cambridge und seine Kollegen. Als Quenching – wörtlich abschrecken – bezeichnen Astronomen den plötzlichen, starken Abfall der Sternbildung.
Frühe Galaxie im Ruhezustand
Viele Galaxien durchlebten ein solches Quenching schon wenige Milliarden Jahre nach dem Urknall. “Solche massiven quieszenten Galaxien haben nur noch wenig bis kein kaltes Gas mehr, den Rohstoff für die Sternbildung”, erklären die Astronomen. Das Galaxienwachstum stagniert dann, sofern es nicht durch eine Galaxienverschmelzung wieder angeheizt wird. Unklar war jedoch bisher, wodurch die Sternbildung bei solchen quieszenten Galaxien gestoppt wird. So könnte die vorhergehende Phase der überaktiven Sternbildung schlicht den gesamten Rohstoff aufgezehrt haben, denkbar wäre aber auch, dass das zentrale Schwarze Loch dieser Galaxien eine Rolle spielt – beispielsweise indem es das kalte, neutrale Gas aus der Galaxie herausbläst. “Der exakte Mechanismus dieses Quenchings ist nicht verstanden, weil die lokalen massereichen Galaxien dies schon vor Milliarden Jahren durchlebten”, so die Astronomen.
Doch nun ist es D’Eugenio und seinem Team gelungen, eine frühe Galaxie aufzuspüren, bei der dieses Quenching gerade erst im Gange ist. Mithilfe des James-Webb-Teleskops untersuchten die Astronomen die ferne, nahezu quieszente Galaxie GS-10578, die rund zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall existierte und damals schon etwa so groß wie die Milchstraße war. “Basierend auf früheren Beobachtungen wussten wir, dass diese Galaxie in einem gequenchten Zustand ist: Sie bildet gemessen an ihrer Größe kaum noch Sterne”, berichtet D’Eugenio. “Doch vor Webb konnten wir diese Galaxie nicht in ausreichendem Detail studieren.” Die neuen Beobachtungen bestätigen nun, dass die Sternbildung bei GS-10578 tatsächlich nahezu zum Erliegen gekommen ist. Pro Jahr bildet sie nur noch rund 19 Sonnenmassen an neuen Sternen, wie das Team ermittelte. Das sei weniger als Fünftel dessen, was für normale Galaxien dieser Größe zu jener Zeit normal war.
Schwarzes Loch treibt Gas nach außen
Die Aufnahmen des Webb-Teleskops enthüllten auch eine mögliche Ursache für diesen Stopp der Sternbildung: Neben dem normalen Ausstrom ionisierter Gase, die bei vielen Galaxien auftreten, entdeckten die Astronomen einen starken Ausstrom kühler, neutraler Gase aus dieser Galaxie. Pro Jahr wurden dadurch bis zu 100 Sonnenmassen an Gas in hohem Tempo nach außen und bis ins All hinaus transportiert. “Dieser Ausstrom neutralen Gases reicht aus, um die Sternbildung stoppen, in dem er ihr den nötigen Rohstoff entzieht”, schreiben D’Eugenio und seine Kollegen. Als Urheber dieses Gasverlusts identifizierten sie das zentrale Schwarze Loch der Galaxie. Dessen Aktivität treibt das Gas nach außen: “GS-10578 beherbergt einen aktiven Galaxienkern und auf das Feedback dieses supermassereichen Schwarzen Lochs gehen die Ausströme zurück”, erklären die Astronomen. “Auch wenn wir anhand nur eines Zielobjekts keine allgemeinen Schlüsse ziehen können, zeigt dies, dass die Auswirkungen eines aktiven Galaxienkerns dazu fähig sind, neutrale Gasausströme mit hoher Masse und hohem Tempo zu verursachen – ausreichend, um die Sternbildung zu unterbrechen.”
Die Beobachtungen in der fernen Galaxie GS-10578 belegen damit, dass ein zentrales Schwarzes Loch seine Heimatgalaxie tatsächlich “aushungern” kann. “Wir wussten, dass Schwarze Löcher einen großen Einfluss auf ihre Galaxien haben und wahrscheinlich kommt es durchaus häufig vor, dass sie deren Sternbildung unterbinden. Aber erst mit dem Webb-Teleskop konnten wir dies bestätigen”, sagt Co-Autor Roberto Maiolino von der University of Cambridge. Die Astronomen wollen die Galaxie GS-10578 als nächstes mit dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) in Chile anvisieren, um mithilfe von dessen Radioteleskopen auch die kühlsten, dunkelsten Gasanteile der Galaxie beobachten zu können.
Quelle: Francesco D’Eugenio (Kavli Institute for Cosmology, University of Cambridge) et al., Nature Astronomy, doi: 10.1038/s41550-024-02345-1