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Sanfte Riesen im Urzeitmeer

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Sanfte Riesen im Urzeitmeer
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So könnte Tamisiocaris borealis ausgesehen haben (Jakob Vinther / University of Bristol)
Bisher hielt man die großen Ur-Gliederfüßer des Kambriums für gefährliche Räuber. Die furchteinflößenden Kopfklauen der Anomalocariden legten dies nahe. Doch jetzt enthüllen neue Fossilfunde aus Nordgrönland eine ganz andere, sanftere Seite dieser Urzeitriesen. Denn zumindest einige von ihnen ernährten sich mit Hilfe einer raffinierten Filtertechnik von Plankton – ähnlich wie die heutigen Blauwale. Diese Erkenntnis wirft einige bisherige Vorstellungen über die Lebenswelt in den Ozeanen vor rund 520 Millionen Jahren über den Haufen.

Sie waren die ersten großen Räuber der Erde: Vor 520 Millionen Jahren dominierten die krebsähnlichen Anomalocariden das Urzeitmeer. Sie gehören nicht nur zu den ersten Mehrzellern der irdischen Lebenswelt, mit einer Länge von bis zu zwei Metern waren sie auch ziemlich groß. Diese frühen Gliederfüßer trugen Seitenlappen an ihrem segmentierten Rumpf, die sie wahrscheinlich zu guten und wendigen Schwimmern machten. Zudem besaßen sie an ihrem Kopf zwei lange, stachelbewehrte Anhänge, mit denen sie selbst größere Beute fingen – so dachte man jedenfalls bisher. Doch die nun in der Sirius Passet-Formation in Nordgrönland entdeckten Fossilien zeichnen ein anderes, vielseitigeres Bild. Bei den Funden handelt es sich um insgesamt fünf Teile von Kopfanhängen der Anomalocariden-Art Tamisiocaris borealis. Von dieser Art war bisher nur ein zerbrochenes Teilstück eines solchen Anhangs bekannt. Daraus aber ließ sich nicht entnehmen, wie dieses Tier aussah und wie es sich ernährte.

Borstenreihen als Planktonnetz

Jakob Vinther von der University of Bristol und seine Kollegen haben nun die neuen Funde genauer untersucht und kommen zu einem überraschenden Schluss: Tamisiocaris borealis war gar kein gefährlicher Räuber der Urzeitmeere. Stattdessen nutzte er seine langen Kopfanhänge als Sieb, um damit Plankton aus dem Wasser zu fischen. Davon zeugen die langen, nach unten gerichteten Stacheln an den Anhängen, die sich seitlich verzweigen und überlappen. Ausgestreckt bilden sie eine Art Kamm, den der Urzeit-Gliederfüßer durch das Wasser gezogen haben könnte wie eine Art Netz. Rollte er dann die Anhänge zum Mund hin ein, bildeten ihre Borsten einen dichten Käfig, in dem gefangene Organismen hängeblieben. Dieser Filter war so fein, dass er Partikel ab rund 0,5 Millimetern Größe festhielt, wie die Wissenschaftler berichten.

“Diese primitiven Arthropoden waren damit, ökologisch gesehen, die Haie und Wale des Kambriums”, erklärt Vinther. Denn in diesen beiden Tiergruppen gibt es heute sowohl fleischfressende, aktiv jagende Räuber als auch große, aber friedliche Filtrierer wie die Blauwale, die sich von den kleinsten Organismen des Meeres ernähren. Die Anomalocariden müssen sich demnach schon vor mehr als 520 Millionen Jahren in ganz unterschiedliche Formen aufgespalten haben, die im Urzeit verschiedenen ökologische Nischen besetzten. “Die Tatsache, dass damals bereits große, freischwimmende Filtrierer die Meere durchschwammen, verrät uns viel über das Ökosystem des Kambrium”, so Vinther. Denn um ihren Nahrungsbedarf durch Filtrieren zu decken, müssen die großen Gliederfüßer entsprechend reichlich Plankton gefunden haben.

“Wir glaubten früher, dass die Anomalocariden ein seltsames, gescheitertes Experiment der Evolution sein müssen. Jetzt zeigt sich, dass sie eine evolutionäre Explosion durchlebten und im Urzeitmeer vom Topräuber zum Planktonfresser alles abdeckten”, konstatiert Koautor Nicholas Longrich von der University of Bath. Die ersten Riesen der irdischen Tierwelt mögen daher vielleicht ein Experiment der Evolution gewesen sein – aber es war ein sehr erfolgreiches.

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Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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