Die Erde wird ständig von energiereichen Teilchen aus dem tiefen Weltraum getroffen – der kosmischen Strahlung. Doch am 27. Mai 2021 fing ein Teleskopverbund in den USA das Signal eines kosmischen Teilchens ein, das Astronomen Rätsel aufgibt. Denn dieses “Amaterasu” getaufte Teilchen prallte mit der enormen Energie von 244 Exaelektronenvolt auf die Erdatmosphäre – zehn Millionen Mal mehr als selbst der stärkste Teilchenbeschleuniger der Erde erzeugen kann. Damit gehört dieses Teilchen zu nur einer Handvoll von Ereignissen auf diesem Energieniveau. Was diese kosmischen Partikel freisetzt, ist bisher völlig unklar. Ebenfalls rätselhaft ist die Herkunft des Amaterasu-Partikels: Es scheint aus einer fast leeren Zone unseres Universums gekommen zu sein.
Die kosmische Strahlung ist im Weltall omnipräsent. Auf der Erde wird jedoch ein großer Teil dieser energiereichen geladenen Partikel vom Magnetfeld und der Atmosphäre abgefangen. Dennoch dringen einige so weit durch, dass sie mit Gasatomen in der Atmosphäre kollidieren und einen ganzen Schauer sekundärer Teilchen erzeugen können. Deren Menge, Energie und Richtung erlaubt es zumindest in Ansätzen, zu rekonstruieren, was für ein Teilchen mit welcher Energie und aus welcher Richtung uns getroffen hat. So scheinen Teilchen mit eher geringeren Energien von der Sonne, benachbarten Sternen und auch vom Zentrum der Milchstraße auszugehen. Auch bei Supernovae oder an Schwarzen Löchern wird kosmische Strahlung in Form beschleunigter Teilchen frei. Weitgehend ungeklärt ist dagegen der Ursprung des energiereichsten Anteils der kosmischen Strahlung. Diese Teilchen rasen mit Energien von mehr als einem Exaelektronenvolt durch das All – das entspricht einer Trillion Elektronenvolt oder dem millionenfachen der Kollisionsenergie von Protonen im Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) am Forschungszentrum CERN.
Energien im Exaelektronenvolt-Bereich
Bisher haben Astronomen nur gut zwei Dutzend kosmische Teilchen detektiert, die zu dieser ultraenergiereichen kosmischen Strahlung (UHECR) gehören. “Bei Energien von mehr als 100 Exaelektronenvolt liegt der Einstrom bei weniger als einem Teilchen pro Jahrhundert und Quadratkilometer”, erklären Astronomen der Telescope Array Collaboration. Zu den wenigen Ereignissen dieser Art gehört das sogenannte Oh-My-God-Teilchen, das im Jahr 1991 detektiert wurde und eine Energie von 320 Exaelektronenvolt hatte. “Der Ursprung solcher UHECR-Teilchen liegt gängiger Annahme nach in den energiereichsten Phänomenen des Universums, wie den relativistischen Ausströmen Schwarzer Löcher, Gammastrahlenausbrüchen oder großräumigen Schockwellen von Galaxienkollisionen”, erklären die Astronomen. Allerdings ist die Entfernung, über die die Teilchen eine so hohe Energie beibehalten können, begrenzt: Sie interagieren mit dem Mikrowellenhintergrund des Kosmos und werden dadurch abgebremst. Gängiger Theorie nach können die energiereichsten UHECR daher maximal aus Entfernungen von 160 bis 320 Millionen Lichtjahren stammen.
Doch jetzt berichten Astronomen um Toshihiro Fuji von der Osaka Metropolitan University von einem erneuten Rekord-Ereignis. Am 27. Mai 2023 fingen die über eine Fläche von 700 Quadratkilometer verteilten Teilchendetektoren des Telescope Array in Utah den sekundären Teilchenschauer eines kosmischen Partikels ein, das die enorme Energie von 244 Exaelektronenvolt besaß. “Als ich diesen extrem energiereichen kosmischen Strahl entdeckte, dachte ich erst, dass hier ein Fehler vorliegen müsste, denn er zeigte ein für die letzten 30 Jahre beispielloses Energieniveau”, sagt Fuji. Einzig das Oh-My-God-Teilchen war noch ein wenig energiereicher. Nähere Analysen legten nahe, dass es sich bei dem aktuellen, nach der japanischen Sonnengöttin “Amaterasu” getauften Teilchen wahrscheinlich um ein Proton oder größeres geladenes Teilchen gehandelt haben muss.
Wo kommen diese Partikel her?
Um herauszufinden, woher das Amaterasu-Teilchen kam, werteten die Astronomen die Winkel aus, mit denen die sekundären Teilchen auf die Detektoren trafen. Weil Partikel mit so hohen Energien kaum durch kosmische Magnetfelder und andere im Weg liegende Einflüsse abgelenkt werden, lässt sich daraus zumindest die grobe Flugrichtung
rekonstruieren. “Man kann dann herausfinden, von wo am Himmel diese Teilchen stammen”, erklärt Co-Autor John Matthews von der University of Utah. Als die Astronomen die Flugbahn des Amaterasu-Teilchens rekonstruierten, zeigte sich jedoch Überraschendes: Das Partikel schien aus dem lokalen Void zu stammen – einer relativ leeren Zone des Alls in der Nähe unserer lokalen Gruppe von Galaxien. “In diesem Void gibt es nur eine kleine Zahl von Galaxien und keine von diesen ist ein Ort, an dem UHECR-Teilchen durch Beschleunigung entstanden sein könnten”, schreiben die Astronomen. In dem Void gibt es weder Gammastrahlenquellen noch andere kosmische Phänomene, die genügend Energie erzeugen. Es gibt zwar in Richtung der Flugbahn eine aktive Galaxie, diese liegt aber knapp zwei Milliarden Lichtjahre entfernt und damit jenseits der Maximalentfernung für solche ultraenergiereichen Teilchen.
“Das ist wirklich ein Rätsel – was geht hier vor?”, sagt Matthews. Hinzu kommt, dass die wenigen bisher eingefangenen UHECR-Ereignisse aus ganz unterschiedlichen Richtungen zu kommen scheinen. Auch das Oh-My-God-Teilchen kam aus einem anderen Teil des Himmels. “Es gibt offenbar keine Ballung dieser Hochenergie-Ereignisse”, erklären die Astronomen. Was die Ursache dieser extrem energiereichen Teilchen im Exaelektronenvolt-Bereich ist, bleibt daher vorerst ein Rätsel.
Quelle: Telescope Array Collaboration, Science, doi: 10.1126/science.abo5095