Das Sonnensystem ist auch nicht mehr das, was es einmal war: Es hat einen Planeten verloren. Zumindest nach der Definition. Allerdings steckt hinter diesem Verlust auch ein Gewinn: Die Zahl der bekannten Himmelskörper im Sonnensystem ist gewaltig gewachsen – und mit ihnen die Perspektive der Astronomen. Die „ Degradierung” Plutos, die ein Echo in den Medien ausgelöst hat wie selten ein Ereignis in der Astronomie, bedeutet daher auch eine fachliche Aufwertung der Außenseiter unseres Sonnensystems: Pluto ist gleichsam die Spitze eines Berg von eisigen Trabanten, die jetzt durch irdische Teleskope immer deutlicher ins Blickfeld gelangen – und im Jahr 2015 erstmals vor Ort inspiziert werden, wenn die am 19. Januar gestartete Raumsonde New Horizons dort ankommt.
Die Entscheidung einer Neudefinition des Begriffs „Planet” fiel dieses Jahr auf der 26. Hauptversammlung der Internationalen Astronomischen Union (IAU). Die IAU ist ein Zusammenschluss professioneller Astronomen und seit ihrer Gründung im Jahr 1919 für die Benennung der Planeten und ihrer Monde zuständig. Die Namen der Planetoiden dürfen die Entdecker selbst wählen, während die IAU die Kometen stets nach ihren Entdeckern nennt. Über 2500 IAU-Mitglieder trafen sich mehrere Tage lang in Prag und stimmten am Ende der Konferenz darüber ab, was künftig als Planet gelten soll. Die Entscheidung fiel am Nachmittag des 24. August und bedeutete die Degradierung Plutos. Bis dahin hatte unser Sonnensystem neun Planeten – Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und eben Pluto –, seitdem sind es nur noch acht.
Wissenschaftlich betrachtet ist das zwar belanglos, doch dahinter steckt eine spannende Forschungsgeschichte, die weit in die Zeit vor Plutos Entdeckung zurückreicht. Das Wort „Planet” kommt vom griechischen „planétes” für „Wanderer” oder „ Umherschweifender”. Schon die alten Kulturen haben Wandel- und Fixsterne unterschieden: Letztere stehen – jedenfalls im Lauf eines Menschenlebens bei Beobachtungen mit bloßem Auge – fest zueinander am Himmel und bewegen sich nur aufgrund der Erdrotation. Die Planeten hingegen ziehen ihre eigenen Bahnen vor dem Hintergrund der Fixsterne.
Schon im Altertum waren die ohne Teleskope sichtbaren Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn bekannt. Da Sonne und Mond damals ebenfalls zu den Wandelsternen gerechnet wurden, ergab sich die magische Zahl sieben, die auch zur Einteilung der Woche in sieben Tage motivierte. Nach der kopernikanischen Wende im 16. Jahrhundert verloren Sonne und Mond den Planeten-Status, aber die Erde – aus dem vermeintlichen Zentrum des Universums vertrieben – erhielt ihn. Als am 13. März 1781 Friedrich Wilhelm Herschel in England den Planeten Uranus entdeckte, war die Sieben wieder komplett – und die Größe unserer damals bekannten kosmischen Heimat, die räumliche Ausdehnung des Sonnensystems, praktisch verdoppelt.
Von Pythagoras und Platon bis Johannes Kepler versuchten zahlreiche Philosophen Zahl und Abstand der Planeten durch mathematische oder metaphysische Überlegungen zu rechtfertigen. Und selbst Georg Wilhelm Friedrich Hegel war überzeugt, in seiner 1801 in Jena erschienenen Habilitationsschrift die Vernünftigkeit der Natur am Beispiel des Sonnensystems bewiesen zu haben. Peinlich nur, dass seine Spekulationen bereits widerlegt waren, denn Giuseppe Piazzi hatte am 1. Januar 1801 in Palermo einen neuen Himmelskörper entdeckt: Ceres. Als Hegel später davon erfuhr, dass seine Theorie nicht mit den Tatsachen übereinstimmte, soll er gesagt haben: „Um so schlimmer für die Tatsachen.”
Ceres wurde als neuer Planet am Himmel gefeiert, aber dabei blieb es nicht. Binnen weniger Jahre wurden Pallas, Juno und Vesta entdeckt – und zahlreiche weitere Objekte folgten. Allmählich stellte sich heraus, dass Ceres mit etwa 950 Kilometer Durchmesser der größte Vertreter eines ziemlich breiten, nach außen hin dicker werdenden Bandes oder Gürtels aus Milliarden von Kleinkörpern zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter ist. Daraufhin wurde Ceres & Co in den 1850er Jahren der Planeten-Status aberkannt. Seither werden die Kleinplaneten als Planetoiden oder Asteroiden bezeichnet. Über eine Million mit mehr als einem Kilometer Durchmesser scheint es zu geben – 90 Prozent davon sind allerdings kleiner als 60 Kilometer. Die Gesamtmasse des Planetoidengürtels beträgt nur ungefähr ein Tausendstel von der unserer Erde. Im Gegensatz zu früheren Spekulationen handelt es sich dabei nicht um die Trümmer eines einstigen Planeten, sondern um Relikte aus der Frühzeit des Sonnensystems. Der störende Schwereeinfluss des riesigen jungen Jupiters hat verhindert, dass diese Urmaterie sich zu einem großen Sonnentrabanten verdichten konnte.
Nicht weniger turbulent verlief die Erforschung des äußeren Sonnensystems. Ortsbestimmungen des Uranus zeigten in den Jahrzehnten nach Herschels Entdeckung zunehmende Abweichungen von den vorausberechneten Positionen. Da man den Gesetzen der Himmelsmechanik vertraute, kam nur eine Erklärung in Frage: Ein noch unbekannter Körper störte durch sein Gravitationsfeld die Uranus-Bahn. Unabhängig voneinander berechneten in monatelanger Arbeit 1845 der englische Astronom John Couch Adams und 1846 der Franzose Urbain Jean Joseph Leverrier die Position dieses Körpers. Und dort fanden ihn dann auch am 23. September 1846 Johann Gottfried Galle und sein Assistent Heinrich Louis d’Arrest in Berlin. Er wurde Neptun genannt. Übrigens hatten verschiedene Astronomen, darunter Galileo Galilei und Joseph Jérôme Lefrançois de Lalande, sowohl Uranus als auch Neptun viele Jahrzehnte vorher schon beobachtet, aber für Sterne gehalten.
Neptuns Bahnparameter zeigten bald ebenfalls Abweichungen von der Theorie. Neue Störungsrechnungen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von den amerikanischen Astronomen Percival Lowell und William Pickering gemacht. Lowell nannte den hypothetischen Störenfried Planet X. 1905 begann er seine Suche nach ihm und führte sie bis zu seinem Tod 1916 fort. Fündig wurde allerdings erst Clyde W. Tombaugh am Lowell Observatory in Flagstaff, Arizona, am 18. Februar 1930. Doch Pluto, wie das neue Mitglied im Sonnensystem nach einem Vorschlag des damals elfjährigen Oxforder Schulmädchens Venetia Burney fortan hieß, entpuppte sich als zu klein (2274 Kilometer Durchmesser nach heutigem Wissensstand), um Neptuns Bahnstörungen hervorzubringen. Außerdem ist Plutos Bahn ganz anders als die aller anderen Planeten: viel stärker geneigt und elliptischer, sodass Pluto sogar während seiner 247,7-jährigen Umlaufzeit 20 Jahre lang der Sonne näher steht als Neptun. Deshalb kamen bald Zweifel auf, ob Pluto wirklich als Planet bezeichnet werden sollte.
Tombaugh jedenfalls suchte 13 Jahre lang weiter nach einem zehnten Planeten, durchmusterte 70 Prozent des Himmels bis zur 17,5. Größenklasse – das entspricht einem Sechstel der Leuchtkraft Plutos – und überprüfte 45 Millionen Sterne. Dabei hätte er einen Planeten wie Neptun noch in der siebenfachen Neptun-Distanz nachweisen müssen – vergeblich. Erst am 22. Juni 1978 entdeckten James W. Christy und Robert S. Harrington Plutos Großmond Charon. Doch mit einem Durchmesser von 1207 Kilometern reichte die zusätzliche Masse nicht aus, um Neptuns Bahnstörungen zu erklären. Tatsächlich sind diese Störungen heute nicht mehr festzustellen. Sie waren vermutlich gar nicht real, sondern beruhten auf Mess- und Rechenungenauigkeiten, wie erst in den Neunzigerjahren klar wurde.
Pluto und Charon sind freilich nur zwei von vielen eisigen Himmelskörpern jenseits der Neptunbahn. Deren Existenz hatte der amerikanische, in Holland geborene Astronom Gerard Peter Kuiper schon 1951 als die Quelle der kurzperiodischen Kometen postuliert. Inzwischen ist klar, dass dieser Kuipergürtel wirklich existiert – historisch exakter müsste er Leonard-Edgeworth-Kuiper-Gürtel heißen, weil Frederick C. Leonard bereits 1930 und Kenneth Edgeworth 1947 ähnliche Überlegungen veröffentlicht hatten. Er befindet sich ungefähr 30 bis 50 Erdbahnradien von der Sonne entfernt. 1992 wurde das erste Kuiper-Objekt entdeckt: 1992 QB1, manchmal auch Smiley oder Georgesmiley genannt. Inzwischen wurden über 900 transneptunische Objekte aufgespürt. Sie sind durchschnittlich zwischen 150 und 800 Kilometer groß und ähneln Pluto oder Charon. Die meisten Kuiper-Objekte sind allerdings kleiner – jedoch zu lichtschwach, um von der Erde aus gesehen zu werden. Doch wenn sie durch Bahnstörungen ins innere Sonnensystem gelangen, sind sie als Kometen gut beobachtbar. Es gibt schätzungsweise über 35 000 Kuiper-Objekte von über 100 Kilometer Durchmesser – über 100-mal mehr als Planetoiden zwischen Mars und Jupiter.
Hinter dem Kuipergürtel schließt sich die „scattered disk” an, eine scheibenförmige Ansammlung von verstreuten Eiskörpern, die im Gegensatz zu den Kuiper-Objekten nicht auf überwiegend kreisförmigen Bahnen laufen, sondern stark elliptische Orbits haben. Inzwischen sind über 100 Objekte aus diesem Bezirk bekannt. Er geht in die Oort-Wolke über, die sich vermutlich zwischen 10 000 und 100 000 Erdbahnradien (1 Lichtjahr) erstreckt und das Sonnensystem wie eine Kugelschale umgibt. Sie wurde 1950 von Jan Hendrick Oort – und zuvor schon 1932 von Ernst Öpik – als Herkunftsort der langperiodischen Kometen postuliert, die aus allen Richtungen ins innere Sonnensystem gelangen, nicht nur nahe der Erdbahnebene wie die kurzperiodischen Kometen. In der Oort-Wolke dürfte es Billionen von „schlafenden” Kometenkernen geben, im viel dichteren, kleineren Kuiper-Gürtel dagegen „nur” einige Milliarden.
Pluto ist also keineswegs ein isolierter Planet, sondern lediglich ein großer Vertreter einer ganzen Gruppe von Himmelskörpern. Deshalb gab es schon in den Neunzigerjahren Versuche, ihm den Planeten-Status zu nehmen. Sie scheiterten aber nicht zuletzt am öffentlichen Protest. In Zugzwang kam die IAU im Sommer 2005, als Astronomen die Entdeckung eines Kuiper-Objekts bekannt gaben, das größer als Pluto ist – und somit der größte „ Neuzuwachs” im Sonnensystem ist seit der Entdeckung von Neptun und seinem Riesenmond Triton 1846. Wollte man konsequent sein, dann musste man dieses neue Objekt entweder als zehnten Planeten anerkennen oder Pluto degradieren.
Die Entdeckung von 2003 UB313, so der vorläufige Name, glückte Michael Brown vom California Institute of Technology, David L. Rabinowitz von der Yale University und Chadwick A. Trujillo vom Gemini Observatory (siehe Kasten links „Wie entdeckt man einen Planeten?”). Bis die IAU den offiziellen Namen beschloss, nannten die Forscher den Himmelskörper Xena – nach der Heldin einer amerikanischen TV-Fantasy-Serie. Seit dem 13. September heißt 2003 UB313 nun IAU-offiziell „(136199) Eris” – nach einer griechischen Göttin, der Tochter der Nyx (Nacht). Die Zahl bezeichnet die Nummer im Katalog der Kleinkörper (Planetoiden) im Sonnensystem.
Eris’ Durchmesser wurde erst auf das 1,3-Fache Plutos geschätzt, inzwischen aber nach Messungen mit dem Hubble-Weltraumteleskop auf 2400 plus/minus 100 Kilometer nach unten korrigiert – damit ist Eris immer noch fünf Prozent größer als Pluto. Gegenwärtig steht sie 14,5 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt – rund 97 Erdbahnradien oder das Dreifache der Sonnendistanz Plutos – im Sternbild Walfisch. Noch nie ist ein ferneres Mitglied unseres Sonnensystems beobachtet worden. Für einen Sonnenumlauf braucht die Außenseiterin rund 560 Jahre. In 280 Jahren wird sie den sonnennächsten Punkt ihrer stark elliptischen Bahn erreichen – im „nur” 38-fachen Sonnenabstand der Erde. Überraschend ist die extrem starke Bahnneigung von 44 Grad. (Lediglich ein ansonsten unspektakuläres Objekt namens 2004 DG77 hat eine vergleichbar große Inklination.) Das ist auch der Grund, warum Eris nicht schon früher entdeckt wurde: Kaum jemand hatte so hoch über der Erdbahnebene gesucht.
Ein Nahinfrarot-Spektrum – gewonnen mit dem 8-Meter-Gemini-Nord-Teleskop auf dem Mauna Kea von Hawaii – weist auf Wassereis und gefrorenes Methan auf der Oberfläche von Eris hin. Nur auf Pluto und dem Neptunmond Triton hat man bisher Methan-Eis im äußeren Sonnensystem gefunden. Im Gegensatz zum leicht rötlichen Pluto erscheint Eris aus noch ungeklärten Gründen grau.
Eris wird von seinen Entdeckern als Kuiper-Objekt klassifiziert, weil sein sonnennächster Bahnpunkt im Kuipergürtel liegt. Die exzentrischen, stark geneigten Umlaufbahnen von Eris und anderen Kuiper-Objekten sind wohl durch eine Kombination mehrerer gravitativer Effekte entstanden. Sie haben dazu geführt, dass größere Objekte – die sich weiter innen im Sonnensystem gebildet haben, wo die Dichte des Urnebels größer und die Akkretion schneller war – nach außen getrieben wurden. Das lässt vermuten, dass noch andere große Kuiper-Objekte mit Inklinationen von mehr als 30 Grad ihrer Entdeckung harren.
Beobachtungen am 10. September 2005 mit dem 10-Meter-Keck-Teleskop auf dem Mauna Kea brachten eine weitere Überraschung: Michael E. Brown und seine Kollegen entdeckten bei Eris einen Mond. Er wurde vorläufig S/2005 (2003 UB313) 1 genannt, inoffiziell auch Gabrielle – nach der Begleiterin der Figur Xena in der amerikanischen TV-Serie. Inzwischen heißt er nach Eris’ mythischer Tochter Dysnomia. Der Mond dürfte etwa 250 Kilometer groß sein und Eris alle zwei Wochen in etwa 30 000 Kilometer Distanz umkreisen. Genaueres soll das Hubble-Weltraumteleskop demnächst herausfinden. Sobald der Abstand und die Umlaufperiode von Dysnomia genau genug bestimmt sind, wird sich die Masse von Eris abschätzen lassen. Denn je massereicher ein Planet ist, desto enger und rascher umrundet ihn ein Mond. Eine solche Gravitationswägung gelang Braun schon bei einem anderen großen Kuiper-Objekt, 2003 EL61, und dessen Mond.
Eris’ Entdeckung machte es unvermeidlich, die Planeten-Definition zu überdenken. Die IAU hatte zwei Jahre lang intern und wenig erfolgreich darüber debattiert, bis sich vergangenen Sommer der IAU-Präsident Ron Ekers und sechs weitere Astronomen und Historiker auf einen Vorschlag einigten, der schon vor der Konferenz in Prag für Kontroversen gesorgt hatte. Demnach hätte ein Himmelskörper als Planet gegolten, wenn
• er so massereich ist, dass die Eigengravitation ihn rund macht (genauer: dass er sich im „hydrostatischen Gleichgewicht” befindet)
• und er einen Stern umkreist, wobei er selbst weder ein Stern noch ein Mond ist.
Eine ungefähr sphärische Gestalt haben alle Körper mit einer Masse über 5 . 1020 Kilogramm (knapp ein Zehntausendstel der Erdmasse), was einem typischen Durchmesser von mindestens 800 Kilometer entspricht. Grenzfälle, so der Vorschlag, müssen durch direkte Beobachtungen entschieden werden. Kleinere Körper sind oft unregelmäßig geformt – wie Kartoffeln.
Außerdem schlug die IAU-Arbeitsgruppe vor, für die Kuiper-Objekte eine neue offizielle Planeten-Kategorie einzuführen: die Plutons oder Plutone. Im Gegensatz zu den klassischen Planeten haben sie eine Umlaufperiode von über 200 Jahren sowie in der Regel eine starke Inklination (eine zur Erdbahnebene beträchtlich geneigte Umlaufbahn) und eine große Exzentrizität (eine von der Kreisform stark abweichende Ellipse und somit einen stark schwankenden Sonnenabstand). Doch gegen den Begriff „Pluton” hagelte es sofort Protest aus der Zunft der Geologen, die damit schon einen in der Erdkruste feststeckenden, bis zu mehrere Hundert Kilometer großen Brocken aus aufgestiegenem, auskristallisiertem magmatischem Gestein bezeichnen. Die IAU machte einen Rückzieher und führte den Begriff „plutonische Objekte” ein, mit einem schon in der Mythologie gebrauchten Adjektiv. Er bedeutet eine klare Aufwertung für Pluto als Prototyp dieser Klasse von Himmelskörpern, die seit den Neunzigerjahren auch transneptunische Objekte genannt wurden.
Doch diesen Vorschlag zur Planeten-Neudefinition lehnten viele Astronomen ab, weil sie ihn für willkürlich hielten. Ihm zufolge gäbe es neben den acht klassischen Planeten noch mindestens vier weitere im Sonnensystem: Ceres, Eris, Pluto und dessen Großmond Charon, der mit Pluto zum Doppelplaneten befördert würde, weil der Schwerpunkt seiner Bahn um Pluto nicht außerhalb von Pluto liegt. (Der gemeinsame Drehpunkt von Erde und Mond befindet sich dagegen noch innerhalb des Erdkörpers).
Aber die Beförderung von Ceres gefiel vielen Astronomen nicht. „Ich würde auf einen Durchmesser von über 1000 Kilometern bestehen, um Ceres aus der Liste zu eliminieren”, kritisierte beispielsweise Karl Glazebrook von der Johns Hopkins University. „ Das ist ein willkürlicher Schnitt, um die gewohnte Ordnung aufrecht zu erhalten und die Lehrbücher nicht umschreiben zu müssen.” Auch der Planeten-Status von Charon kam nicht gut an. Schließlich setzte sich eine natürlicher wirkende Klassifikation durch.
Die Mehrheit der versammelten IAU-Mitglieder optierte dafür, einen Planeten zu definieren als einen Himmelskörper,
• der einen Stern umkreist und weder selbst ein Stern noch ein Mond ist,
• der eine ungefähr runde Gestalt besitzt
• und der die Umgebung seines Orbits freigefegt hat.
Diese letzte Eigenschaft ist der entscheidende Unterschied. Sie bedeutet, dass Himmelskörper, die in Gruppen auftreten, nicht als Planet gelten. Damit war Ceres wieder aus dem Rennen, aber nun auch Pluto, Eris & Co. Als klassische Planeten bleiben die großen acht: die vier terrestrischen Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars und die vier Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Der alte Merkspruch „Mein Vater Erklärt Mir Jeden Samstag Unsere Neun Planeten” hat ausgedient. Der neue könnte lauten: „ Mein Vater Erklärt Mir Jeden Samstag Unseren Nachthimmel”.
Die IAU führte zusätzlich den Begriff „Zwergplanet” ein, der die ersten beiden oben genannten Eigenschaften erfüllen muss und kein Mond ist. Ceres, Pluto und Eris sind definitionsgemäß demnach nun Zwergplaneten. Ferner beschloss die IAU, alle anderen Objekte im Sonnenorbit, wieder ausgenommen die Monde, unter dem Begriff „Kleinkörper des Sonnensystems” zu fassen. Dazu gehören also alle Planetoiden, Kometen und transneptunische oder plutonische Objekte (außer den Zwergplaneten).
„Die Öffentlichkeit wird uns verstehen”, gibt sich Owen Gingerich von der Harvard University zuversichtlich, der Wissenschaftshistoriker mit Schwerpunkt Astronomie-Geschichte ist. Er arbeitete als Vorsitzender der Planeten-Definitionskommision. „Wir haben Pluto zwar degradiert, ihn aber auch befördert.”
Diese neue Einteilung ist konsequent und vernünftig. Freilich sind auch hier die Grenzen unscharf, vor allem was die Eigenschaft „rund” und ihre praktische Feststellbarkeit betrifft. Und wenn schon 400 Kilometer große Objekte rund sein können, würde die Zahl der Planeten im Sonnensystem nach der ursprünglichen Definition rasch auf über 50 hochschnellen – mit womöglich mehreren Hundert weiteren in Zukunft. Insofern ist es richtig, die Klausel einzuführen, dass ein Planet seine Umgebung vollständig dominieren muss. Das heißt allerdings nicht unbedingt, dass sich dort keine weiteren Kleinkörper tummeln dürfen. Vielmehr kann der Planet diese sogar auf seiner eigenen Umlaufbahn ansammeln, wie Jupiters Planetoiden-Familie der Trojaner beweist. Auch muss sich erst noch zeigen, wie sich die neue Definition bei Planeten anderer Sterne bewährt.
Insgesamt war die Resonanz unter Fachleuten gut, auch wenn die Transneptun-Forscher nun kaum noch Chancen haben, einen „ richtigen” Planeten zu entdecken. Und Walt-Disney-Sprecher Donn Walker scherzte mit Anspielung auf den Comic-Hund: „Pluto nimmt die Nachricht locker. Wir haben keinen Anlass zu glauben, dass er einen Astronomen beißen wird.” Im Internet werden allerdings bereits Aufkleber mit „Ich vermisse Pluto” angeboten.
Auch Michael Brown trauert: „Ich bin natürlich enttäuscht, dass Eris nicht der zehnte Planet wurde, aber ich unterstütze die IAU in dieser schwierigen und mutigen Entscheidung”, sagte der Astronom, der kein IAU-Mitglied ist und also auch nicht stimmberechtigt war. „Wissenschaftlich ist es richtig so, zumal Pluto, wäre er heute entdeckt worden, nicht als Planet durchgehen würde.” Trotzdem sieht er den Zwergplaneten nicht vom Thron gestoßen: „Pluto wird immer einen speziellen Status haben – als das erste entdeckte Kuiper-Objekt, als das erste von einer Raumsonde besuchte Kuiper-Objekt und als das hellste und am leichtesten zu erforschende Kuiper-Objekt. Einzuräumen, dass Pluto kein Hauptkörper des Sonnensystems ist, mindert seine wissenschaftliche Bedeutung in keiner Weise.”
Auch die Division for Planetary Sciences (DPS) der American Astronomical Society akzeptiert das IAU-Votum. Mit rund 1300 Mitgliedern – von denen fast ein Drittel nicht aus den USA stammt – ist die DPS die größte internationale Berufsorganisation der Planeten-Wissenschaftler. In einer offiziellen Stellungnahme vom 30. August heißt es: „Letztlich bewährt sich die Definition durch den allgemeinen Gebrauch und die wissenschaftliche Nützlichkeit. Die Schulbücher brauchen nicht weggeworfen zu werden, Pluto ist nicht verschwunden.” Freilich krittelt die DPS noch an einigen Details. Auf der nächsten IAU General Assembly, 2009 in Rio de Janeiro, soll die Planeten-Definition nochmals geprüft und notfalls verfeinert werden.
Für die astronomische Forschung sind reine Terminologie-Fragen unerheblich. Und letztlich sind kulturell gewachsene Definitionen immer willkürlich und unscharf, wie etwa der Begriff „Kontinent” deutlich macht.
Viele Menschen wollen die Degradierung allerdings nicht akzeptieren. Inzwischen hat sich eine „Pluto-Planetenfraktion” organisiert und opponiert gegen den IAU-Beschluss. Initiiert von Mark Sykes vom Planetary Science Institute, Tucson, kamen binnen einer Woche über 300 Unterschriften von Sonnensystem-Forschern zusammen, darunter aus Deutschland Gerhard Neukum und Oliver Hartmann von der Freien Universität Berlin und Stefan Schröder vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung.
„Wir als Planeten-Forscher und Astronomen sind nicht einverstanden mit der Planeten-Definition der IAU und werden sie nicht verwenden. Es ist eine bessere Definition nötig”, schreiben die Wissenschaftler und planen für 2007 bereits eine Konferenz, um eine neue, plutofreundlichere Planeten-Definition auszuarbeiten. „Ich glaube, dass sich an unserer Petition mehr Planeten-Experten beteiligt haben als an der Abstimmung der IAU”, sagte Alan Stern vom US Southwest Research Institute, der Leiter der New-Horizons-Mission. In Prag waren gerade mal 474 der 10 000 IAU-Mitglieder bei dem Beschluss anwesend, zwei Drittel stimmten für die Neudefinition.
Wie immer der Streit um Definitionen auch ausgeht – als „ unleugbar passend” hat Eris’ Entdecker Michael Brown den subtilen Humor der IAU bezeichnet, den größten Zwergplaneten auf seinen Vorschlag hin Eris zu nennen. Denn der Himmelskörper macht seinem Namen schon jetzt alle Ehre – bedeutet er doch „Streit” oder „ Hader”. Die griechische Göttin warf auf einem Götterfest den berüchtigten Zankapfel mit der Inschrift „Der Schönsten”, worauf sowohl Hera als auch Athene und Aphrodite diesen Titel für sich beanspruchten – der Anlass für den Trojanischen Krieg. ■
Rüdiger Vaas
Ohne Titel
• Die Entdeckung zahlreicher Himmelskörper in den Außenbezirken unseres Sonnensystems erforderte eine Neudefinition des Begriffs „Planet”.
• Jetzt hat unsere Sonne nur noch acht Planeten. Pluto und Co heißen fortan „Zwergplaneten”.
Ohne Titel
Am 29. Juli 2005, Freitagnachmittag amerikanischer Zeit, sorgte eine Pressekonferenz in der wissenschaftlichen Welt für Aufsehen: Die amerikanischen Astronomen Michael Brown, David L. Rabinowitz und Chadwick A. Trujillo gaben bekannt, den bislang fernsten Himmelskörper im Sonnensystem entdeckt zu haben. Die Pressekonferenz hatten sie eilig einberufen, da sie befürchteten, dass ihnen jemand die Entdeckung wegschnappen würde. Denn im Prinzip hätte jeder die Daten der Forscher über das Internet ausfindig machen können.
Am 20. Juli hatten die drei Astronomen eine Zusammenfassung für einen wissenschaftlichen Konferenz-Vortrag für den September 2005 veröffentlicht, indem sie über ein im Dezember 2004 entdecktes großes Kuiper-Objekt namens K40506A berichten wollten. Gab man diesen Namen in die Suchmaschine „Google” ein, konnte man die Beobachtungen des 1,3-Meter-SMART-Teleskops und die Himmelskoordinaten rekonstruieren, da manche Observatorien diese Daten im Internet zugänglich halten. Noch vor der Veröffentlichung der Entdeckung hätte also im Prinzip jedermann die Daten einsehen, das Himmelsobjekt mit einem Teleskop mittlerer Größe selbst beobachten und seine Existenz früher bekannt geben können als die eigentlichen Entdecker. Tatsächlich veröffentlichte ein spanisches Forscherteam um José-Luis Ortiz vom Sierra-Nevada-Observatorium wenige Tage später, am 28. Juli, die Entdeckung von K40506A – nun vorläufig 2003 EL61 genannt. Das galt jedoch als zufällige Koinzidenz, da die Astronomen das Objekt angeblich schon über zwei Jahre zuvor beobachtet hatten. Als sich dann aber herausstellte, dass jemand beim Minor Planets Center des Harvard Smithsonian Center for Astrophysics, der offiziellen Datenbasis der International Astronomical Union (IAU), die aktuellen Himmelskoordinaten zweier weiterer, von Browns Team noch nicht bekannt gegebenen Objekten abrief, entschlossen sich Brown und seine Kollegen zur Pressekonferenz, um sich die Priorität zu sichern.
Die Aufzeichnungen der Webserver am Caltech zeigten später freilich, dass ein Computer vom Instituto de Astrofisica in Spanien die Beobachtungslogbücher am 26. Juli 2005 abgerufen hatte. Und vom selben Rechner aus wurde keine zwei Tage später die E-Mail verschickt, in der Ortiz und Pablo Santos-Sanz die Entdeckung von 2003 EL61 bekannt gaben. Diese Koinzidenz beweist nicht zwingend, dass die spanischen Astronomen ihre Entdeckung aufgrund der Daten von Browns Team gemacht hatten – es also gar keine eigene Entdeckung war –, doch die Wahrscheinlichkeit besteht. Die Untersuchungen laufen noch. Ortis gab später zu, dass er die Daten abgerufen hatte – aus Neugier, um herauszufinden, ob das Objekt identisch sei mit jenem, das er schon am 7. März 2003 fotografiert und dann auf alten Fotoplatten bis zurück ins Jahr 1955 ausfindig gemacht hatte. Browns Daten hätte er nicht verwendet, als er die IAU von der Entdeckung informierte – zunächst auf der Basis von nur drei Beobachtungen im Jahr 2003 und dann am 28. Juli 2005 noch mit einer weiteren Messung von einem Amateurteleskop auf Mallorca und alten Archivfotos.
Der Fall zeigt, wie heikel die weltweite Verfügbarkeit der Daten im Hinblick auf wissenschaftliche Prioritätsansprüche und den Lauf der Forschung sein kann. Nachdem Brown und seine Kollegen kurz nach der Bekanntgabe der Entdeckung von 2003 EL61 durch die spanischen Astronomen herausfanden, dass auch ihr Beobachtungslogbuch von 2003 UB313 öffentlich einsehbar war, entschieden sie sich zur sofortigen Bekanntgabe und wählten nicht den üblichen – seriöseren, aber viel längeren – Weg der wissenschaftlichen, begutachteten Publikation.
Ohne Titel
Im Prinzip ganz einfach: Man fotografiere im Abstand mehrerer Tage mehrfach dieselbe Stelle am Himmel und vergleiche die Bilder. Hat ein Objekt seine Position relativ zu den Fixsternen geändert, gehört es in der Regel zum Sonnensystem. Mit Hilfe weiterer Beobachtungen ermittle man nun seine Bahnparameter. Wenn sich dann – und über eine Größenmessung – ausschließen lässt, dass es sich um einen Kleinkörper handelt, also um einen Planetoiden oder einen Kometen, zählt man zum erlauchten Kreis der Planetenentdecker.
In der Praxis ist die Sache freilich nicht so leicht . Clyde William Tombaugh brauchte fast ein Jahr, um mit dieser Methode Pluto zu finden – er hatte zunächst allerdings nur Himmels- regionen abgesucht, die von der Erde aus gesehen der Sonne genau gegenüber standen. Mit einem 33-Zentimeter-Teleskop machte er zahlreiche, eine Stunde lang belichtete Aufnahmen, die er dann im Blinkkomparator miteinander verglich. Durch dieses Gerät werden zwei Fotoplatten in schneller Folge abwechselnd sichtbar gemacht, ähnlich wie bei einem Daumenkino. Dadurch fallen Planetoiden, Kometen – und eben Planeten – aufgrund ihres Hin- und Herspringens vor den Sternen auf, während sich der Lichtwechsel von veränderlichen Sternen durch unterschiedliche Helligkeiten bemerkbar macht. Tombaugh fand Pluto unter 160 000 Sternbildchen durch die Verschiebung von dessen Position um 3,5 Millimeter auf der Fotoplatte. Durch den Einsatz elektronischer Detektoren und entsprechender Software zum automatischen Vergleich von Himmelsaufnahmen hat der Blinkkomparator in der modernen Astronomie seine Bedeutung verloren. Doch das Entdeckungsprinzip ist dasselbe.
Auch Michael Brown und seine Kollegen nutzen dieses Verfahren. Fotografiert hatten sie Eris bereits am 21. Oktober 2003 mit der Palomar-QUEST-Kamera am 1,2-Meter-Samuel-Oschin-Teleskop auf dem Mount Palomar in Kalifornien. Das Teleskop hält seit Herbst 2001 nach neuen Himmelskörpern Ausschau, die QUEST-Kamera ist seit Sommer 2003 in Betrieb. Eris war den Astronomen erst am 5. Januar 2005 aufgefallen, als sie drei innerhalb von drei Stunden aufgenommene Fotos neu analysierten. Denn das Computerprogramm hatte Eris aufgrund seiner langsamen Bewegung – wegen der großen Entfernung – zunächst nicht bemerkt. Eris’ Distanz und Helligkeit konnten erst durch weitere Beobachtungen und Bahnanalysen ermittelt werden. Dabei half auch die Identifizierung von Eris auf einer bereits 1989 aufgenommenen Fotoplatte des UK-Schmidt-Teleskops am australischen Siding Spring Observatory.
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Internet
Die IAU-Planeten-Definition:
www.iau.org/fileadmin/ content/pdfs/Resolution_ GA26 –5–6 .pdf
Homepage von Eris’ Entdecker Michael Brown:
www.gps.caltech.edu/~mbrown/
Web-Seiten zu Venus Express:
www.dlr.de/DesktopDefault.aspx/tabid-726/
sci.esa.int/science-e/www/area/index.cfm?fareaid=64
Mars-Seite des Jet Propulsion Laboratory:
mars.jpl.nasa.gov
Mars Exploration Rover:
marsrovers.nasa.gov/home
Mars Express bei ESA und DLR:
sci.esa.int/marsexpress
www.dlr.de/mars
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www.avanquest.de