Die Sonne bezieht ihre Energie aus der Fusion von Wasserstoff zu Helium. Seit 1938 besagen Theorien jedoch, dass neben einer direkten Verschmelzung von Wasserstoffkernen auch ein zweiter, durch schwerere Elemente katalysierter Fusionsweg existieren muss – der sogenannte CNO-Zyklus. Jetzt ist es Forschern erstmals gelungen, diesen zweiten Fusionszyklus der Sonne direkt nachzuweisen. Sie haben mithilfe eines Neutrino-Detektors unter den italienischen Alpen die Teilchen detektiert, die als Nebenprodukt beim CNO-Zyklus freiwerden. Für die Sonnenforschung und Astrophysik ist dies ein entscheidender Durchbruch.
Unsere Sonne ist ein gigantischer Fusionsofen: Der immense Druck der solaren Schwerkraft und eine Hitze von mehr als 15 Millionen Grad lassen in ihrem Inneren Wasserstoffkerne miteinander verschmelzen. Pro Sekunde verwandeln sich rund 600 Millionen Tonnen Wasserstoff in Helium. In der Sonne erfolgt ein Großteil dieser Fusionsreaktionen durch direkte Verschmelzung von Protonen. Diese sogenannte Proton-Proton-Fusion macht rund 99 Prozent der solaren Fusion aus. Doch schon 1938 postulierten die Physiker Hans Bethe und Carl Friedrich von Weizäcker unabhängig voneinander, dass es in Sternen noch einen zweiten Fusionsweg geben muss. Bei diesem wirken schwere Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff nacheinander als Katalysatoren für die Fusion von Wasserstoff zu Helium. Dieser nach den Elementkürzeln CNO-Zyklus genannte Reaktionsweg soll den Modellen zufolge in masseärmeren Sternen wie der Sonne rund ein Prozent der Kernfusion ausmachen, bei massereicheren Sternen aber die dominante Fusionsform darstellen.
Neutrinos als Boten aus dem Sonneninneren
Wie aber lassen sich diese Vorgänge im Sonneninneren nachweisen? Hier kommen Neutrinos ins Spiel: nahezu masselose Teilchen, die quasi als Nebenprodukt der Fusionsreaktionen freiwerden. Pro Sekunde strömen hunderte Milliarden solcher solaren Neutrinos durch unseren Körper, ohne dass wir es bemerken. Denn diese Teilchen interagieren kaum mit anderer Materie. Nachweisen lassen sie sich daher nur in Detektoren, die enorme Mengen an Wasser, Eis oder anderer Detektormaterie enthalten. Wenn dann doch einmal ein Neutrino mit einem Atom kollidiert, verursacht dies einen winzigen Lichtblitz, der von Photosensoren eingefangen wird. Aus der Energie und dem Spektrum dieser Lichtsignale können Wissenschaftler dann Rückschlüsse auf die Eigenschaften der auslösenden Neutrinos und ihre Herkunft ziehen. Allerdings ist der Nachweis solarer Neutrinos besonders schwierig, weil sie wegen ihrer geringen Energie leicht mit den bei radioaktiven Zerfallsreaktionen freigesetzten Neutrinos zu verwechseln sind.
Eine Anlage, mit der der Nachweis solarer Neutrinos dennoch möglich ist, ist der unterirdische Borexino-Detektor am Gran-Sasso-Laboratorium. Er ist auf gleich mehrfache Weise gegen Störstrahlung durch Zerfallsneutrinos abgeschirmt. Neben der Felsdecke und einer Wasserhülle sind die 278 Tonnen organischer Detektorflüssigkeit noch von zwei weiteren Zonen abschirmender Flüssigkeiten umgeben. Dank dieses Aufbaus gelang es den Forschern der Borexino-Kollaboration in den letzten Jahren bereits, solare Neutrinos der Proton-Proton-Kollision nachzuweisen. Um jedoch die viel selteneren Neutrinos aus dem CNO-Zyklus zu detektieren, mussten sie zusätzliche Reinigungsschritte und statistische Filtermethoden entwickeln. “Die größte Herausforderung war es, den geringen Überschuss zu identifizieren – er entspricht nur einer Handvoll von Ereignissen pro Tag und 100 Tonnen Detektorflüssigkeit”, erklären die Wissenschaftler.
720 Millionen CNO-Neutrinos pro Sekunde und Quadratzentimeter
Doch es gelang: Nach Auswertung der Detektordaten von Juli 2016 bis Februar 2020 haben die Physiker nun erstmals eindeutig Neutrinos identifiziert, die beim CNO-Fusionszyklus der Sonne freigesetzt wurden. Demnach hat ihr Neutrino-Detektor im Schnitt 7,2 solcher CNO-Neutrinos pro Tag und 100 Tonnen Flüssigkeit eingefangen. “Das lässt sich umrechnen in 720 Millionen CNO-Neutrinos, die pro Sekunde und Quadratzentimeter auf die Erde einströmen”, erklären die Borexino-Wissenschaftler. Ihre Werte bestätigen damit, dass eine Fusion nach dem CNO-Zyklus in der Sonne stattfindet und passen auch zu den Modellen, nach denen dieser Fusionsweg rund ein Prozent der gesamten solaren Fusionsreaktionen ausmacht. “Damit haben wir endlich den ersten, bahnbrechenden experimentellen Beleg dafür, wie Sterne schwerer als die Sonne ihr Leuchten erzeugen”, sagt Co-Autor Gianpaolo Bellini von der Universität Mailand.
Ähnlich sieht es auch der nicht an der Studie beteiligte Physiker Gabriel Orebi Gann von der University of California in Berkeley. Er schreibt in einem begleitenden Kommentar: “Die Borexino-Kollaboration präsentiert Ergebnisse, die einen Meilenstein der Neutrino-Physik darstellen. Diese gewaltige Errungenschaft bringt uns näher an ein vollständiges Verständnis unserer Sonne und der Bildung massereicher Sterne.”
Quelle: The Borexino Collaboration (INFN Gran Sasso Laboratories), Nature, doi: 10.1038/s41586-020-2934-0