Neue Aufnahmen des James-Webb-Weltraumteleskops liefern spannende Einblicke darin, wie und wo in einer Spiralgalaxie neue Sterne entstehen. Denn die hochauflösenden Infrarotaufnahmen machen erstmals auch feinste, bisher von Staub verdeckte Strukturen und Vorgänge rund um die Sternbildung sichtbar. Sie enthüllen unter anderem, dass auch zwischen den Spiralarmen Sterne und massereiche Sternhaufen entstehen können und wie sie ihr Rohmaterial über feine Gasströme erhalten. Zahlreiche leuchtende Gaswolken und Blasen entlang der Spiralarme zeigen zudem, wie die starke Strahlung junger Sterne ihre Umgebung prägen. Die Ergebnisse der Beobachtungen von vier ersten Spiralgalaxien wurden nun veröffentlicht.
Die Sternbildung ist die Grundlage für nahezu alle Himmelskörper und Großstrukturen in unserem Universum. Erst mit der Entstehung von Sternen konnten sich Planetensysteme, Galaxien und Galaxienhaufen bilden, außerdem prägt die Sternbildung die Struktur der Galaxien bis heute. Doch trotz dieser großen Bedeutung kennen Astronomen bisher noch nicht alle Vorgänge und Faktoren, die die Dynamik und den Verlauf der Sternbildung, aber auch der Ausprägung galaktischer Strukturen wie in der Milchstraße beeinflussen. Umso wichtiger ist es, möglichst auch in anderen Spiralgalaxien nähere Einblicke in die Sternbildung gewinnen zu können. Bisher war dies jedoch aus Mangel an geeigneten Teleskopen nur eingeschränkt möglich: Das Hubble-Weltraumteleskop kann die verhüllenden Staubwolken ferner Sternenwiegen nicht durchdringen, erdbasierte Infrarotteleskope waren nicht auflösungsstark genug.
Blick auf Sternentstehung in Spiralgalaxien
Mit dem James-Webb-Weltraumteleskop hat sich dies geändert. Seine hochauflösenden Optiken ermöglichen es nun erstmals, noch fehlende Puzzleteile der Sternentstehung in nahen Galaxien aufzuspüren. Im Rahmen des Projekts PHANGS (Physics at High Angular Resolution in Nearby Galaxies) hat eine weltweite Astronomenkollaboration sich zum Ziel gesetzt, 19 Galaxien in der Nähe der Milchstraße mit der Nahinfrarotkamera (NIRCam) und dem Mittelinfrarotinstrument (MIRI) des Webb-Teleskops ins Visier zu nehmen. Alle 19 Galaxien sind sogenannte “Face-On”-Galaxien – sie kehren uns ihre Breitseite zu und erlauben daher einen umfassenden Blick auf ihre Feinstruktur. Inzwischen sind die Ergebnisse zu den ersten vier untersuchten Galaxien – NGC 628, NGC 1365, NGC 7496 und IC 5332 – ausgewertet und wurden nun in einer Sonderausgabe der “Astrophysical Journal Letters” veröffentlicht.
„Die Klarheit, mit der wir die feinen Strukturen sehen, hat uns wirklich überrascht“, sagt Adam Leroy von der Ohio State University in Columbus. “Wir können direkt sehen, wie die Energie der Sternbildung und junge Sterne das Gas um sie herum beeinflussen, das ist bemerkenswert.” Die sternbildenden Regionen in den vier Galaxien erscheinen als helle Quellen von Infrarotlicht, weil die jungen Sterne und Sternhaufen den sie umgebenden Staub aufheizen und so die infrarote Strahlung erzeugen. Die Aufnahmen des Mid-Infrared Instrument (MIRI) enthüllten unter anderem ein Netzwerk von leuchtenden Hohlräumen in Staubwolken und großen, freigewehten Blasen in den dichten Gasen entlang der Spiralarme dieser Galaxien. In einigen Bereichen liegen diese Blasen so dicht, dass sie ganze Ketten und Haufen von sich überlappenden Hohlräume bilden.
Sternbildung auch zwischen den Spiralarmen
Die Aufnahmen zeigen auch, dass neue Sterne keineswegs nur in den dichteren Spiralarmen der Galaxien entstehen, sondern auch dazwischen. „Durch den Einsatz der beispiellosen Infrarot-Abbildungsfähigkeit des JWST konnten wir die jungen Sterne in feinen Ausläufern aus Gas, den sogenannten Spurs, nachweisen, die sich von den Spiralarmen aus erstrecken”, berichtet Tom Williams vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg. Zwar ist die Sternentstehungsrate in den Spiralarmen wie erwartet höher als in den Bereichen zwischen ihnen. Die Effizienz, mit der Gas in neue Sterne umgewandelt wird, scheint jedoch in der gesamten galaktischen Scheibe konstant zu sein. Die neuen Daten des James-Webb-Teleskops enthüllen zudem, dass sogar massereiche Sternhaufen außerhalb der Spiralarme entstehen können, was bislang umstritten war.
„Die Infrarotbilder ergänzen die vorhandenen Daten des Hubble-Weltraumteleskops aus dem optischen Spektralbereich. Sie bieten Einblicke in Regionen, die bisher durch Staub verdeckt waren”, sagt Nils Hoyer vom MPIA. “Die neue Perspektive, die uns JWST auf die Zentren von Galaxien gibt, trägt damit grundlegend zu unserem Verständnis der Entwicklung von Sternhaufen und Galaxien bei.” Dabei sind diese Daten erst der Anfang: Noch stehen 15 weitere Galaxien auf dem Beobachtungsprogramm der PHANGS-Kollaboration.
Quelle: PHANGS-Kollaboration, Janice Lee (University of Arizona) et al.; The Astrophysical Journal Letters, Special Edition