Sterne, die ihre Helligkeit zyklisch verändern, sind im Kosmos nichts Ungewöhnliches. Astronomen haben jedoch einen Stern entdeckt, der zu keiner der gängigen Klassen der Veränderlichen zu passen scheint. Der rund 25.000 Lichtjahre entfernte Stern VVV-WIT-08 leuchtete jahrelang stabil ohne Schwankungen, verlor dann aber rund ein halbes Jahr lang 97 Prozent seiner Leuchtkraft – um dann weiter zu strahlen als wäre nichts geschehen. Dieses Verhalten deutet zwar auf eine Okkultation durch einen Begleiter hin, aber keines der denkbaren Objekte und Szenarien kann alle Merkmale dieser Verdunklung erklären.
Schon die alten Ägypter beobachteten, dass die Helligkeit mancher Sterne regelmäßig schwankt. Die Ursache für dieses Pulsieren ist jedoch ganz unterschiedlich. In einigen Fällen handelt es sich um Doppelsterne, deren Partner sich abwechselnd verdecken oder deren Schwerkrafteinfluss die Leuchtkraft beim Partner schwanken lässt. Es gibt aber auch interne Prozesse, die einen Stern regelmäßig heller und dunkler werden lassen. Bei solchen Cepheiden verändern sich Temperatur und Helligkeit, weil sie zwischen Phasen der intensiveren Kernfusion und des Aufblähens wechseln. Die Helligkeitswechsel dieser Sterne sind sogar so regelmäßig, dass Astronomen sie als kosmische Entfernungsmesser nutzen können.
Insgesamt sind veränderliche Sterne damit wichtige Werkzeuge, um tiefere Einblicke in die Physik und Entwicklung der Sterne zu erhalten, aber auch in die Dynamik des Kosmos als Ganzem. Unter anderem deshalb sind Astronomen ständig auf der Suche nach neuen veränderlichen Sternen. Eines der Projekte dazu ist der VISTA Variables in the Via Lactea survey (VVV). In ihm kartieren Forschende schon seit fast einem Jahrzehnt regelmäßig rund eine Milliarde Sterne der Milchstraße auf Helligkeitsveränderungen im Infrarotbereich hin. Dafür nutzen sie das VISTA-Teleskop der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile. “Dabei stoßen wir manchmal auf veränderliche Sterne, die in keine etablierte Kategorie passen. Wir nennen sie dann WIT für ‘What is This'”, erklärt Koautor Philip Lucas von der University of Hertfordshire.
200 Tage lang fast verschwunden
Einen besonders ungewöhnlichen “WIT”-Stern hat das Team um Lucas und Erstautor Leigh Smith von der University of Cambridge nun rund 25.000 Lichtjahre von uns entfernt in einem der sternendichten Bereiche nahe dem Milchstraßenzentrum entdeckt. Der Stern VVV-WIT-08 hat etwa die Masse der Sonne, ist aber rund 100-mal größer als sie. “Sein Spektrum spricht dafür, dass es sich um einen eher kühlen Riesen mit einer Effektivtemperatur von rund 3600 Kelvin handelt”, erklären die Astronomen. So weit, so normal. Doch im Frühjahr 2012 veränderte sich der zuvor stabil und gleichmäßig strahlende Stern plötzlich: Er verlor 97 Prozent seiner Leuchtkraft. “Dieses einzelne, glatte und nahezu symmetrische Verdunklungs-Ereignis hielt rund 200 Tage an”, so Leigh und sein Team. Anschließend nahm der Stern wieder an Helligkeit zu und strahlt seither ohne weitere Schwankungen mit seiner ursprünglichen Leuchtkraft.
Ungewöhnlich ist nach Angaben der Forscher vor allem die lange Dauer dieser Verdunklung und das offensichtlich lange Intervall zwischen solchen Ereignissen – in den 17 Jahren der Beobachtung trat es nur einmal auf. Bislang kennen Astronomen nur zwei Sterne, die so lange Wiederkehrperioden von Verdunklungen zeigen. Zu diesen gehören der Stern Epsilon Aurigae, der alle 27 Jahre von der Staubscheibe seines Begleiters verdeckt wird, und der Rote Riese TYC 2505-672-1, bei dem sogar 69 Jahre zwischen den Ereignissen liegen. Doch keiner dieser Sterne zeigt einen so drastischen Helligkeitsverlust, der noch dazu alle Wellenbereiche des sichtbaren und Infrarotlichts gleichermaßen betrifft, wie Leigh und seine Kollegen erklären. Das weckt die Frage, was die Ursache dieser Verdunklung von Stern VVV-WIT-08 sein könnte. Aus ihren Beobachtungen schließen die Astronomen, dass der Grund wahrscheinlich nicht im Inneren des Sterns liegt: “Das Verhalten der Lichtkurve von VVV-WIT-08 korrespondiert mit keiner bekannten stellaren Variabilität”, so die Forscher. Die Symmetrie der Lichtkurve und das ansonsten schwankungsfreie Leuchten des Sterns passen weder zu einem Roten Riesen noch zu einem Jungstern.
Wer ist der Okkultator?
Die Astronomen vermuten daher, dass eine Okkultation vorliegt – die Bedeckung des Sterns durch ein vor ihm vorbeiziehendes Objekt. “Das okkultierende Objekt muss einige Kernmerkmale aufweisen: Es muss durch die Schwerkraft an den Riesenstern gebunden sein, sehr leuchtschwach sein, einen Radius größer 50 Erdradien haben und elliptisch erscheinen”, erklären Smith und seine Kollegen. Sie haben mithilfe eines Modells alle denkbaren Kandidaten überprüft. Der auf den ersten Blick wahrscheinlichste Okkultator wäre ein von einer großen Staubscheibe umgebener Begleitstern in einem weiten Orbit. Allerdings passt keine der gängigen zirkumstellaren Scheiben zu den Merkmalen der Lichtkurve, wie die Astronomen berichten. Die Scheiben um Jungsterne sind zu kurzlebig und hinterlassen zudem eine klar erkennbare Infrarotsignatur. Eine Trümmerscheibe um einen älteren Stern wäre nicht dicht und undurchsichtig genug, diejenige um einen Weißen Zwerg dagegen nicht groß genug, um die lange und fast vollständige Verdunklung zu erklären.
Ebenfalls denkbar wäre ein Begleitstern, der dem Riesenstern Material absaugt und dadurch eine ausgedehnte Gasscheibe bildet. “Der Massentransfer vom Riesenstern in den Schwerkraftbereich eines Begleiters könnte die Präsenz einer verdeckenden Scheibe erklären”, erklären Smith und sein Team. “Dieses Szenario ist verlockend, weil es gleichzeitig eine bequeme Erklärung dafür bietet, warum der Stern kleiner ist als erwartet.” Allerdings müsste der Orbit des Begleiters dann riesig sein. Er wäre dann zu weit entfernt, um dem Stern Material abzusaugen. Denkbar wäre allerdings, dass es sich bei dem Begleiter um ein Objekt mit besonders großer Schwerkraft handelt, wie einen Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch. Deren Akkretionsscheiben emittieren zwar normalerweise Röntgenstrahlung, es gibt aber auch Ausnahmen, wie die Forschenden erklären.
Nach Ansicht der Astronomen kann keines der Szenarien vollständig erklären, wodurch der Riesenstern VVV-WIT-08 so lange und vollständig verdeckt wurde. “Die Dauer, Tiefe und Achromatizität der Verdunklung macht dieses Ereignis außergewöhnlich ungewöhnlich – sein Geheimnis ist noch nicht gelüftet”, so Smith und seine Kollegen. Sie hoffen aber, künftig noch weitere Fälle solcher Ereignisse zu entdecken. Zwei Kandidaten könnten sie im Rahmen der VISTA-Durchmusterung bereits aufgespürt haben.
Quelle: Leigh Smith (University of Cambridge, UK) et al., Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, doi: 10.1093/mnras/stab1211