Astronomische Forschung der besonderen Art: Forschende haben mit Unterstützung eines Bürgerwissenschaftlers zwei Mikrometeorite im Staub eines Hausdachs aufgespürt. Durch Analysen der Winzlinge und Computersimulationen konnte das Team anschließend ihren Ursprung im Sonnensystem bestimmen. Einer stammt demnach aus dem erdnahen Bereich, der andere könnte dagegen sogar aus dem weit entfernten Kuipergürtel zu uns gelangt sein. Das neue Verfahren könnte in Zukunft dazu beitragen, anhand von Mikrometeoriten neue Einblicke in die Geschichte des Sonnensystems zu gewinnen, sagen die Forschenden.
Unbemerkt rieseln sie ständig auf unseren Planeten: Bei den sogenannten Mikrometeoriten handelt es sich meist um Partikel des kosmischen Staubes, die im Gegensatz zu ihren größeren Verwandten typischerweise nur einige hundert Mikrometer groß sind. Durch ihr geringes Gewicht werden sie beim Eintritt in die Erdatmosphäre stark abgebremst, wodurch sie nicht komplett verglühen und bis auf die Erdoberfläche gelangen können. So fängt sich die Erde täglich etwa 100 Tonnen dieser Körnchen aus dem Weltraum ein.
„Mikrometeorite sind wesentlich häufiger als größere Meteorite, wir könnten also aus ihnen viel mehr Daten generieren und eine Menge über unser Sonnensystem lernen. Denn sie können aus sehr unterschiedlichen Bereichen stammen“, sagt Co-Autorin Beate Patzer von der Technischen Universität Berlin (TU Berlin). „Bisher ist es allerdings noch eine große Herausforderung für die Wissenschaft, etwas über den Entstehungsort der auf der Erde gefundenen Mikrometeoriten herauszubekommen“, so die Astrophysikerin.
Bürgerwissenschaftler erkennt Mikrometeoriten
Am Anfang der Studie stand zunächst die Suche nach Mikrometeoriten. Dafür musste sich das Team nicht etwa in entlegene Fundregionen begeben, sondern nur auf das Dach des Physikgebäudes der TU-Berlin. Denn auch auf Hausdächer fallen immer wieder Mikrometeorite, wie mittlerweile bekannt ist. Deshalb hat das Team für seine Suche einfach die Ablagerungen auf dem Physikgebäude-Dach zusammengefegt und eingesammelt. „Das Material wurde dann in Wasser aufgeschwemmt, um kleine Blätter und Ähnliches loszuwerden. Danach heizten wir das Sediment auf 600 Grad auf, um Mikroben und anderes organisches Material zu zerstören. Anschließend wird das Material noch gesiebt, dann geht die Suche nach den Mikrometeoriten los“, sagt Erst-Autorin Jenny Feige von der TU Berlin.
Wie das Team berichtet, begeistern sich nicht nur Astrophysiker für die kosmischen Winzlinge und stöbern sie auf diese Weise auf: Es hat sich eine weltweite Community aus Bürgerwissenschaftlern entwickelt, die Mikrometeorite auf ihren Hausdächern sammeln und mittels Lichtmikroskopie identifizieren. Einigen von ihnen wird dadurch ein besonderer Expertenstatus zugesprochen – so auch dem Hobby-Mikrometeoriten-Forscher Scott Peterson aus Minneapolis. „Deshalb haben wir ihn gebeten, einen Blick auf unsere Proben zu werfen, denn er hat einfach das beste Auge bei der Identifizierung von Mikrometeoriten unter dem Mikroskop“, sagt Feige.
Unter den zahlreichen winzigen Partikeln, die etwa von Schweißarbeiten, Feuerwerk oder dem Abrieb im Straßenverkehr stammen, entdeckte Peterson dann tatsächlich zwei Mikrometeoriten. Sie ließen sich an charakteristischen Merkmalen erkennen, die entstehen, wenn die kosmischen Staubpartikel beim Flug durch die Erdatmosphäre erhitzt und geschmolzen werden. Nachdem sie dabei einen Großteil ihrer Masse verloren haben, kristallisiert der Rest aus und bildet je nach Art der jeweiligen Umgebungsbedingungen unterschiedliche Strukturen. So besitzt der eine der beiden Mikrometeoriten eine Struktur, die an einen Schildkrötenpanzer erinnert. Bei dem anderen Exemplar hatten sich dagegen offenbar beim Aufschmelzen bestimmte Metalle vom Rest getrennt und sind dann beim Abkühlen zu einem kugeligen Teilgebilde erstarrt. „Anhand dieser Nase kann man darauf schließen, dass dieser Mikrometeorit mit dem Kügelchen voran in die Atmosphäre eingedrungen ist“, sagt Feige.
Dem Ursprung auf der Spur
Anschließend widmete sich das Team dann der Herausforderung, dem Ursprung der beiden Mikrometeoriten auf den Grund zu gehen. Hinweise können dabei Analyseergebnisse des Materials liefern. „Anhand des Verhältnisses von unterschiedlichen Isotopen mit verschiedenen Halbwertszeiten und einem physikalischen Modell, das die Bildung dieser Isotope beschreibt, kann man auf die Flugzeit der extraterrestrischen Staubteilchen bis zur Erde schließen – und damit auf ihren Herkunftsort im Sonnensystem“, erklärt Patzer. Feige führt dazu weiter aus: „Wir haben für diese Art der Analyse nun allerdings erstmals eine aufwendige Computersimulation erstellt, die mögliche Umlaufbahnen der interplanetaren Staubteilchen, die Größe der Staubkörner, ihre Zusammensetzung und Dichte, Strahlungsprofile der Sonne und der kosmischen Strahlung aus dem interstellaren Raum, Verdampfungsraten während des Eintritts in die Erdatmosphäre und noch eine Vielzahl anderer Parameter berücksichtigt“.
Die wichtigsten Hinweise aus dem Material können die radioaktiven Isotope Aluminium-26 und Berylllium-10 liefern, erklären die Forschenden. Diese Substanzen wurden in den beiden Mikrometeoriten und weiteren Exemplaren von anderen Fundorten mittels einer speziellen Form der Massenspektrometrie ermittelt. Die Ergebnisse konnten dann mit den Informationen aus der Computersimulation verglichen werden, die die Anreicherung dieser Radioisotope in den Mikrometeoriten je nach Flugzeit und damit Herkunftsort im All vorhersagt.
Eine „Schildköte“ aus dem äußeren Sonnensystem
Wie das Team berichtet, konnten sie auf diese Weise den beiden Funden vom Dach sowie vier weiteren Mikrometeoriten mit großer Wahrscheinlichkeit einen Ursprungsort im Sonnensystem zuordnen. Der Mikrometeorit mit der Schildkröten-Optik stammt demnach aus dem äußeren Sonnensystem. Er könnte sich aus Kometen im Bereich des Jupiters oder aus Gesteinsmaterial im Kuipergürtel gebildet haben. Der Mikrometeorit mit der „Nase“ stammt dagegen aus dem inneren Sonnensystem bis hin zum Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, sagen die Forschenden.
Sie sehen in ihrem Ansatz nun erhebliches Potenzial für die Forschung: „Mit dem Ergebnis konnten wir die grundsätzliche Eignung unserer Methode zeigen“, sagt Feige. Es zeichnet sich demnach eine interessante Möglichkeit ab, mithilfe von Mikrometeoriten astronomische Einblicke zu gewinnen. Abschließend hebt die Forscherin dabei den wichtigen Aspekt des Fundortes hervor: „Funde auf unseren Hausdächern sind besonders wertvoll, denn hier kennen wir die Aufenthaltszeit der Mikrometeoriten auf der Erde sehr präzise: Sie kann nicht älter als das Dach selbst sein. Bei Funden aus der Tiefsee oder der Antarktis dagegen könnten die Mikrometeoriten auch schon Millionen Jahre dort liegen, was die Ergebnisse unsicherer macht“, sagt Feige.
Quelle: Technische Universität Berlin, Fachartikel:
Philosophical Transactions of the Royal Society B, doi: 10.1098/rsta.2023.0197