Eine Höhle im Untergrund gilt als besonders günstiger Standort für eine künftige Mondstation, denn dort wären Astronauten vor den harschen Bedingungen der Oberfläche geschützt. Jetzt haben Planetenforscher eine solche Höhle entdeckt. Sie liegt im Mare Tranquillitatis in einer rund 100 Meter großen Grube mit senkrechten oder sogar überhängenden Wänden. Radardaten zeigen nun, dass von diesem runden Krater in der Mondoberfläche ein Höhlengang ausgeht. Dieser Lavagang ist rund 45 Meter breit und mindestens 30 bis 80 Meter lang – wahrscheinlich sogar länger. Die Aufnahmen legen zudem nahe, dass diese Lavahöhle unter dem “Mare Tranquillitatis Pit” für Astronauten zugänglich sein könnte.
Der Mond ist kein sehr gastlicher Ort für Astronauten – eher im Gegenteil. Denn der Erdtrabant hat keine Atmosphäre und kein schützendes Magnetfeld. Wer sich auf der Oberfläche aufhält, ist deshalb der harten kosmischen Strahlung, dem Sonnenwind und dem Bombardement durch Meteoriten schutzlos ausgesetzt. Gleichzeitig gibt es extreme Temperaturschwankungen: Scheint die Sonne, heizt sie die Oberfläche auf bis zu 120 Grad auf. Im Schatten und in der Mondnacht dagegen fallen die Temperaturen bis auf frostige minus 170 Grad. Wenn in naher Zukunft Menschen zum Mond zurückkehren und dort länger als nur ein paar Tage bleiben sollen, benötigen sie daher besonderen Schutz. Die dünnen Wände einer Raumkapsel oder gar eines aufblasbaren Habitats reichen dafür nicht aus. Neben massiven Mondbauten aus verklebtem Regolith suchen Planetenforscher daher nach lunaren Refugien in Form von Höhlen oder anderen geologischen Formationen, die Astronauten einen natürlichen Schutz bieten könnten.
Schräger Blick in die Tranquillitatis-Grube
Schon länger richtet sich die Aufmerksamkeit dabei auf auffällige “Löcher” in der Mondoberfläche: meist kreisrunde, bis zu 100 Meter große Öffnungen, die vor allem in den einst vulkanischen Basaltregionen der Mondmare entdeckt wurden. An einigen Stellen scheinen sogar ganze Ketten von Senken, eingesenkten Gräben und solchen Öffnungen vorzukommen. Auf der Erde finden sich solche „Skylights“ genannten Löcher häufig dort, wo im Untergrund hohle Lavagänge verlaufen. Durch den Einsturz der Höhlendecke entstanden die Öffnungen. “Obwohl inzwischen mehr als 200 solcher Löcher in verschiedenen geologischen Formationen und Breiten des Mondes detektiert worden sind, ist bislang unklar, ob diese Öffnungen zu längeren Höhlengängen im Untergrund führen”, erklären Leonardo Carrer von der Universität von Trient in Südtirol und seine Kollegen. Denn die Kameras und Radarinstrumente von Raumsonden im Mondorbit können meist nur senkrecht oder maximal leicht schräg in diese Öffnungen hineinblicken. Sie zeigten so zwar steile Wände und teilweise auch Überhänge der Felswände, aber nicht, ob es am Grund der Löcher seitlich weitergeht.
Deshalb haben Carrer und sein Team nun die Daten eines Radargeräts ausgewertet, das schräger auf die Mondoberfläche blicken konnte als andere. Dieses Mini-Radiofrequenz-Instrument (Mini-RF) an Bord des Lunar Reconnaissance Orbiter der NASA ist ein seitwärts blickendes polarimetrisches Radar mit synthetischer Apertur (SAR). “Unter den richtigen Bedingungen kann das von diesem Radar abgestrahlte elektromagnetische Feld die Öffnungen durchdringen und dabei teilweise auch unterirdische Gänge in Form messbarer Radarsignale sichtbar machen”, erklären die Forscher. Für ihre Höhlenfahndung haben sie Aufnahmen analysiert, die dieses Radar vom größten und tiefsten lunaren Skylight erstellt hat, dem Mare Tranquillitatis Pit im Meer der Ruhe. Dieses zylindrische Loch hat einen Durchmesser von rund 100 Metern und ist rund 75 bis 80 Meter tief. Sein Grund ist von einer Mischung aus feinerem Regolith und bis zu zehn Meter großen Felsbrocken bedeckt – möglicherweise Trümmer der einstigen Höhlendecke.
Ein Lavagang am Grubengrund
“Im Jahr 2010 hat das Mini-RF-Instrument Daten gesammelt, die auch diese Öffnung im Mare Tranquillitatis umfassten”, berichtet Seniorautor Lorenzo Bruzzone von der Universität von Trient. “Jetzt, Jahre später, haben wir diese Daten mithilfe komplexer Signalverarbeitungstechniken erneut analysiert.” Dabei zeigte sich eine Auffälligkeit: “Die Aufnahmen enthüllen eine anomale Zunahme der Radarechos jenseits der Westseite der Grube”, berichten sie. Diese hellen Signale sind nicht mit Oberflächenstrukturen an dieser Stelle zu erklären und müssen daher von einer Struktur stammen, die unter der lunaren Oberfläche in direkter Nachbarschaft des Mare Tranquillitatis Pits liegt. Wie die Forscher erklären, stammen ganz ähnliche Radarsignale auf der Erde meist von Felsüberhängen in Skylights, unter denen ein Gang in den Untergrund hineinreicht. Um zu überprüfen, welche geologischen Formationen im Skylight des Mare Tranquillitatis die beobachteten Radarsignale hervorrufen haben könnten, führten Carrier und sein Team eine ergänzende Computersimulation durch, in der sie verschiedene Formen und Strukturen und ihre Darstellung im Radar virtuell nachstellten.
Die Analysen ergaben, dass die Radarsignale am besten durch die Existenz eines Höhlenganges im Untergrund erklärbar sind. Dieser Gang könnte einen Durchmesser von rund 45 Meter haben und 30 bis 80 Meter weit seitlich in den Untergrund reichen – möglicherweise noch weiter. Denn wegen des schrägen Winkels der Radarstrahlen reichen diese nicht weiter seitlich in den Hohlraum hinein, wie das Team erklärt. Ihren Daten zufolge ist der Gang wahrscheinlich nur leicht geneigt und könnte daher vom Grund des Skylights gut zugänglich sein. “Diese Entdeckung liefert damit den ersten direkten Nachweis einer zugänglichen Lavahöhle unter der Oberfläche des Mondes”, sagt Bruzzone. Gleichzeitig könnte der Fund darauf hindeuten, dass es solche Lavagänge – wie schon länger vermutet – auch in anderen Bereichen der lunaren Mare gibt. Damit könnte diese Strukturen möglicherweise als Stützpunkte für künftige Mondmissionen dienen, aber auch wertvolle Informationen über die geologische Vergangenheit des Mondes liefern. “Die künftige direkte Erkundung dieser Strukturen könnte entscheidende Einblicke in die Entstehung der lunaren Maria geben, indem sie uns Zugang zu Lavaproben unterschiedlichen Alters bietet.”
Quelle: Leonardo Carrer (University of Trento) et al., Nature Astronomy, doi: 10.1038/s41550-024-02302-y