Vor gut einem Jahr raste der interstellare Komet 2I/Borisov durch unser Sonnensystem. Diese Chance haben Astronomen genutzt, um anhand des von diesem Brocken reflektierten Lichts mehr über seine Zusammensetzung zu erfahren. Ihre Auswertungen enthüllen nun: Der Komet unterscheidet sich von fast allen Kometen im Sonnensystem bis auf einen. Der als besonders ursprünglich geltende Komet Hale-Bopp zeigte in den 1990er Jahren ein ähnliches Polarisationsmuster. Die Forscher schließen daraus, dass 2I/Borisov in seinem Heimatsystem unter ähnlichen Bedingungen entstanden sein muss – und dass er der ursprünglichste je beobachtete Komet ist.
Unser Sonnensystem bewegt sich nicht isoliert durch das All: Immer wieder durchfliegen auch Objekte extrasolaren Ursprungs unsere kosmische Heimat. Der erste bekannte interstellare Besucher ist das im Oktober 2017 entdeckte Objekt Oumuamua. Dieser zigarrenförmige, rund 400 Meter lange Asteroid oder Komet raste an der Sonne vorbei und verschwand in den Weiten des Alls, bevor Astronomen ihn näher untersuchen konnten. Anders ist dies mit dem zweiten interstellaren Besucher: 2I/Borisov wurde im August 2019 von dem Amateurastronomen Gennady Borisov entdeckt, als er noch im Anflug auf das innere Sonnensystem war. Das hohe Tempo von 150.000 Kilometer pro Stunde und die Flugbahn legen nahe, dass auch dieser Brocken extrasolaren Ursprungs war. Erste Beobachtungen zeigten, dass 2I/Borisov einen von einer Gas- und Staubwolke umhüllten Kern sowie einen Schweif besaß – beides klare Merkmale eines Kometen.
Licht-Polarisation verrät Kometeneigenschaften
Um mehr über seine Zusammensetzung zu erfahren, haben Forscher um Stefano Bagnulo vom Armagh Observatory in Irland den interstellaren Kometen im Winter 2019/2020 mehrfach mit dem Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile ins Visier genommen. “Die Ankunft von 2I/Borisov aus dem interstellaren Raum stellt die erste Gelegenheit dar, die Zusammensetzung eines Kometen aus einem anderen Planetensystem zu untersuchen”, erklärt Co-Autorin Ludmilla Kolokolova von der University of Maryland. „So können wir überprüfen, ob sich das Material, das von diesem Kometen stammt, irgendwie von unserer heimischen Variation unterscheidet.“ Das Team nutzte das FORS2-Instrument am VLT, um das von 2I/Borisov reflektierte Licht auf seine Polarisation hin zu untersuchen. Diese Polarimetrie erlaubt es, anhand der Veränderungen in der Schwingungsebene des Lichts auf die chemische und physikalische Zusammensetzung zu schließen und die Merkmale des interstellaren Kometen mit denen von Kometen aus unserem Sonnensystem zu vergleichen.
Es zeigte sich: “Die Polarisation von 2I/Borisov unterscheidet sich ziemlich von dem, was wir bei den Kometen in unserem Sonnensystem beobachten”, berichten die Astronomen. Konkret zeigte der interstellare Komet eine deutlich höhere Polarisation als die heimischen Brocken – mit einer Ausnahme: Komet Hale-Bopp. Er war bei seiner Passage in den späten 1990er Jahren mit bloßem Auge leicht zu sehen und gilt als einer der ursprünglichsten bisher bekannten Kometen. “Zur Zeit seiner Messung war die polarimetrische Kurve von Hale-Bopp steiler und höher als von jedem anderen zuvor gesehenen Kometen”, erklären Bagnulo und seine Kollegen. Diese Merkmale gelten als typisch für sehr ursprüngliche, noch nicht verwitterte und von Sternenwinden veränderte Kometen. Astronomen gehen deshalb davon aus, dass Hale-Bopp vor seiner letzten Passage erst einmal an unserer Sonne vorbeigeflogen ist.
Noch extremer als Hale-Bopp
Der interstellare Komet 2I/Borisov zeigt eine ähnliche Polarisationskurve wie Hale-Bopp – obwohl letzterer mit einem 20 bis 35 Kilometer großen Kern weit größer ist als der nur rund 400 Meter große 2I/Borisov. „Die Tatsache, dass die beiden Kometen bemerkenswert ähnlich sind, legt nahe, dass die Umgebung, in der 2I/Borisov entstanden ist, sich in ihrer Zusammensetzung nicht so sehr von der Umgebung im frühen Sonnensystem unterscheidet“, sagt Co-Autor Alberto Cellino vom Astrophysikalischen Observatorium von Turin. Beide Objekte könnten demnach am eisigen äußeren Rand ihres Systems gebildet worden sein. Die Daten legen zudem nahe, dass beide Kometen aus vorwiegend kleineren Staub- und Eisteilchen bestehen.
(Video: ESO)
Doch wie die Messdaten zu 2I/Borisov ergaben, hat dieser interstellare Komet eine noch extremere Polarisationskurve als der aus unserem Sonnensystem stammende Hale-Bopp. Bagnulo und seine Kollegen schließen daraus, dass dieser eisige Brocken noch ursprünglicher und unveränderter sein könnte als der heimische Komet. „2I/Borisov könnte der erste wirklich unverfälschte Komet sein, der jemals beobachtet wurde“, sagt Bagnulo. Das Team ist überzeugt, dass der Komet noch nie nahe an einem Stern vorbeigeflogen ist, bevor er 2019 die Sonne passierte. Er trägt damit noch die Moleküle in sich, aus denen er einst in seiner extrasolaren Umgebung entstand. Jetzt hoffen die Astronomen, bei der nächsten Passage eines interstellaren Objekts noch bessere Chancen der Untersuchung zu haben. „Die Europäische Weltraumagentur ESA plant den Start von Comet Interceptor im Jahr 2029, der die Fähigkeit haben wird, ein nächstes besuchendes interstellares Objekt zu erreichen, wenn es auf einer geeigneten Flugbahn entdeckt wird“, sagt Bagnulo.
Quelle: Stefano Bagnulo (Armagh Observatory & Planetarium, Armagh) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-021-22000-x