Ein superschwaches Signal vom brachialsten Ereignis überhaupt: Forscher der BICEP2-Kollaboration um John Kovac gaben in einer Pressekonferenz am Harvard Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) in Cambridge, Massachusetts, bekannt, dass sie ein bestimmtes Polarisationsmuster in der Kosmischen Hintergrundstrahlung gefunden hätten. Diese sogenannten B-Moden wurden schon lange gesucht und sind von bestimmten Modellen der Kosmischen Inflation vorausgesagt worden, die Alan Guth, Andrei Linde, Stephen Hawking und andere Kosmologen Anfang der 1980er-Jahre entwickelt hatten.
Die Kosmische Inflation war eine gigantische Aufblähung des Weltraums und hat diesen erst groß gemacht (siehe die Titelgeschichte von bild der wissenschaft 1/2014). Sie ereignete sich vielleicht 10 hoch minus 37 Sekunden nach dem ominösen Beginn unseres Universums und vergrößerte den Weltraum mindestens um einen Faktor 10 hoch 25.
Diesem Szenario zufolge hätte im Tohuwabohu der Ereignisse die Raumzeit selbst „gebebt”. Und diese Schwingungen müssten einen Abdruck im heißen Urgas und im ersten Licht hinterlassen haben, das in Form der Kosmischen Hintergrundstrahlung heute noch im Mikrowellenlängenbereich das gesamte All erfüllt. Wie stark der Abdruck ist, hängt vom konkreten Modell der Inflation ab. Nicht allen Modellen zufolge reicht seine Stärke aus, um ihn messen zu können. Wenn die neuen Daten wirklich die Spuren des Nachbebens vom ersten Sekundenbruchteil unseres Universums erhascht haben, wäre das ein weiteres starkes Indiz dafür, dass die Kosmische Inflation wirklich stattgefunden hat.
„Das ist ein völlig neues, unabhängiges kosmologisches Indiz dafür, dass die Idee der Inflation passt”, jubiliert Alan Guth vom Massachusetts Institute of Technology.
Vom Südpol zum Anfang der des Alls
Die Messung ist in jedem Fall eine große Leistung, denn die Intensität des Polarisationssignals ist mehr als eine Million Mal schwächer als die selbst schon außerordentlich schwache Hintergrundstrahlung. Geglückt ist die Messung dem Mikrowellen-Teleskop BICEP2 (Background Imaging of Cosmic Extragalactic Polarization) am Südpol. Dieser rund 3000 Meter hohe Ort in der Antarktis hat ideale Beobachtungsbedingungen: stabiles Wetter, Wintertemperaturen um minus 58 Grad Celsius und eine äußerst trockene Luft – sehr wichtig, denn Wasserdampf absorbiert Mikrowellen.
Die Detektoren sind auf nur 0,25 Grad über dem Absoluten Nullpunkt gekühlt. Dadurch erhielten sie ihre enorme Empfindlichkeit. BICEP2 besitzt 512 einzelne supraleitende Mikrowellen-Detektoren, was die Datenrate des 2006 gestarteten Vorläuferexperiments verzehnfacht hat. Inzwischen läuft schon das Nachfolge-Experiment BICEP3 mit 2560 Detektoren.
Das BICEP2-Team hat die Polarisation auf Winkelskalen von eins bis fünf Grad am Himmel gesucht (dem Zwei- bis Zehnfachen des Vollmond-Durchmessers). Und es hat nun tatsächlich in einem Bereich, der von den Inflationsmodellen favorisiert ist, ein Signal gemessen. Und zwar mit über fünf Sigma statistischer Signifikanz (das heißt, ein Zufallsergebnis ist unwahrscheinlicher als 1 zu 3,5 Millionen) – die übliche hohe Anforderung für eine Entdeckung in der Physik. Dass das Signal von polarisierten galaktischen Vordergrundquellen stammt, wollen die Forscher ausgeschlossen haben. Weder passen die räumliche Verteilung noch das Frequenzmuster noch die angenommene Stärke. Die Messung und Auswertung der Daten dauerte rund drei Jahre.
Nobelpreiswürdiges Bild vom Urhimmel
„Der Nachweis des Signals ist eines der wichtigsten Ziele der modernen Kosmologie”, sagt John Kovac vom CfA. Gewöhnliche Dichteschwankungen im Urgas, wie sie indirekt in Form von Temperaturschwankungen in der Kosmischen Hintergrundstrahlung seit 1992 registriert wurden, können die B-Moden nicht verursacht haben. Auch sind die B-Moden nicht mit den E-Moden zu verwechseln, die schon vor über zehn Jahren erstmals gemessen wurden und Polarisationssignale darstellen, die auf Streuprozesse um primordialen Plasma und Gas zurückzuführen sind – ähnlich wie die Polarisation des Sonnenlichts durch Wolken.
„Das wirbelförmige B-Moden-Muster ist ein einzigartiges Signal von Gravitationswellen”, sagt BICEP2-Co-Leader Chao-Lin Kuo von der Stanford University in Kalifornien, der den BICEP2-Detektor entwickelt hat. „Wir machten gewissermaßen das erste Bild von Gravitationswellen am Urhimmel.”
Andrei Linde von der Stanford University, einer der „Väter” der Kosmischen Inflation, bekam Tränen der Rührung in die Augen, als Chao-Lin Kuo ihm von der Entdeckung berichtete (Video hier). „Das ist ein Moment des Naturverständnis von einer solchen Größenordnung, dass es mich überwältigt”, sagte Linde.
„Dies ist eine der größten Entdeckungen des Jahrhunderts”, kommentierte Marc Kamionkowski von der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, auf der Pressekonferenz. “Wenn sie der Überprüfung standhält, ist sie einen Nobelpreis wert.”
Auf dem Weg zur Weltformel
Die nächsten Monate werden zeigen, was die Messungen genau bedeuten, wie robust sie sind und was daraus folgt. Mehrere andere Teleskope suchen ebenfalls nach den Polarisationssignalen. Und im Lauf des Jahres werden auch die entsprechenden Daten der Raumsonde Planck veröffentlicht, von der die bislang besten Messungen der Kosmischen Hintergrundstrahlung stammen (siehe die Titelgeschichte von bild der wissenschaft 9/2013).
Nicht mehr lange auf sich warten lassen dürften auch Polarisationskarten erdgebundener Teleskope wie dem South Pole Telescope, das direkt neben BICEP2 steht, und dem Experiment POLARBEAR in Chile. Tatsächlich wurden vom POLARBEAR-Team am 10. März bereits erste Daten veröffentlicht. Sie lassen zwar noch nicht auf Gravitationswellen schließen, versprechen aber Hinweise auf die großräumige Galaxienhaufen-Struktur des Universums sowie vielleicht auf die Massen der Neutrinos. Das Team vom South Pole Telescope publizierte erstmals B-Moden-Messungen im letzten Jahr, die auf die großräumige Struktur zurückgehen.
Schon jetzt schränken die neuen Daten von BICEP2 das riesige Panorama der Modellvielfalt der Kosmischen Inflation weiter ein. Die Messungen sind vereinbar mit den einfachsten Modellen sowie mit sogenannten „large-field”-Modellen und einer sehr energiereichen Inflationsskala. Das passt zur Vorstellung, dass die Inflation bei Energien stattfand, bei denen die Starke, Schwache und Elektromagnetische Kraft noch eine Einheit bildeten. Diese „Große Vereinheitlichung” herrschte bei ungefähr 10 hoch 16 Gigaelektronenvolt. Das ist eine gigantische Energieskala. “Ein Teilchenbeschleuniger dieser Energie müsste so groß sein wie der Abstand von der Sonne zum nächsten Stern”, sagt BICEP2-Teammitglied Clement Pryke von der University of Minnesota in Minneapolis. Zum Vergleich: Der Large Hadron Collider am CERN bei Genf erzeugte Protonen-Kollisionen mit bis zu 13 Gigaelektronenvolt.
Die BICEP2-Daten würden auch eine Verbindung von Quantenphysik und Allgemeiner Relativitätstheorie bezeugen, denn das Zittern der Raumzeit hätte letztlich quantenmechanische Ursachen – es müsste von Quantenfluktuationen der Gravitation und somit Gravitonen erzeugt worden sein. „Das ist gewissermaßen der erste experimentelle Hinweise für die Quantengravitation”, sagte der Kosmologie Max Tegmark vom MIT gegenüber der Wissenschaftszeitschrift Nature.
Eine bestätigte Theorie der Quantengravitation, mitunter plakativ als „ Weltformel” bezeichnet, existiert allerdings noch nicht. Die neuen Messungen zeigen aber, dass eine solche Theorie nicht nur eine reale Grundlage hat, also nicht bloß ein Wunschtraum von Physikern ist, sondern sogar experimentell zugängliche Konsequenzen besitzt.
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Rüdiger Vaas ist bdw-Astrophysik-Redakteur und hat zum Thema Urknall und Quantengravitation vor kurzem das Buch „ Vom Gottesteilchen zur Weltformel” veröffentlicht.