Über Jahrmillionen lag damals der Sauerstoffgehalt der Luft bei bis zu 35 Prozent. Heute sind es demgegenüber nur noch 21 Prozent. Die sauerstoffschwere Luft im Karbon entdeckte Robert Berner von der Yale-Universität in New Haven bereits vor 15 Jahren. Viele seiner Fachkollegen wollten das damals nicht glauben, da der Sauerstoffgehalt in der Luft normalerweise von natürlichen Zyklen eng kontrolliert wird. Mittlerweile haben jedoch mehrere unabhängige Untersuchungen an Fossilien, Gesteinen und von eingeschlossener Urluft die These erhärtet.
Damit fällt die hohe Sauerstoffkonzentration zeitlich genau mit dem Auftreten des Gigantismus zusammen. In den folgenden Erdzeitaltern Perm und Trias ging der Sauerstoffgehalt wieder zurück. Auch die gigantischen Insekten verschwanden damals und erlebten erst in der Kreidezeit vor rund 100 Millionen Jahren mit einem erneuten Anstieg des Sauerstoffgehalts eine Renaissance, wie Robert Dudley von der Universität Texas in Austin in einem Übersichtsartikel schreibt. Dieser zeitliche Zusammenhang ist für Forscher bislang der stärkste Hinweis, dass der hohe Sauerstoffgehalt den Gigantismus gefördert hat.
Von den zugrundeliegenden Mechanismen haben Wissenschaftler jedoch nur eine vage Vorstellung. Dudley richtet sein Augenmerk vor allem auf die Tracheen von Insekten: Über diese Atmungsorgane gelangt bei einer Sauerstoffkonzentration von 35 Prozent rund zwei Drittel mehr Sauerstoff in den Körper als bei heutiger Luftzusammensetzung. Damit stand den Insekten im Karbon mehr Energie zur Verfügung. Insekten konnten so laut Dudley prinzipiell größere Körper entwickeln.
Diese Evolution zum Gigantismus möchte der Forscher nun im Labor nachvollziehen. Dazu hält er Fruchtfliegen in einer künstlichen Atmosphäre mit überhöhten Sauerstoffwerten. Bereits nach fünf Generationen wurden die Tiere im Durchschnitt um 15 Prozent schwerer. “Wir mussten die Sauerstoffkonzentration langsam anheben”, berichtete Dudley in einem Interview mit dem Wissenschaftsmagazin “New Scientist”. Setze man Fruchtfliegen dagegen direkt in eine Atmosphäre mit 35 Prozent Sauerstoff, hindere das deren Wachstum eher.
Dass Insekten in sauerstoffreicher Luft auch mehr leisten, konnten dagegen die Biologen Jon Harrison von der Staatsuniversität Arizona und John Lighton von der Universität Nevada zeigen. Gerade Libellen fliegen in stark sauerstoffhaltiger Luft besonders ausdauernd, fanden die Forscher. Die Resultate bringen auch Licht in ein weiteres Rätsel der Erdgeschichte: Während der hohen Sauerstoffkonzentrationen im Karbon begannen die ersten Insekten zu fliegen. In der Kreidezeit, der zweiten Sauerstoff-Hochphase, erhoben sich dagegen Vögel und Fledermäuse in die Lüfte. Ein hoher Sauerstoffgehalt scheint demnach die Entwicklung des Fluges erleichtert zu haben.
Für die Evolution des Fliegens mindestens so wichtig dürfte jedoch die Luftdichte gewesen sein. Diese schwankt mit dem Sauerstoffgehalt und war also im Karbon und in der Kreidezeit besonders hoch. Bei den damals hohen Luftdichten war das Fliegen energetisch günstiger als in dünner Luft. Das fand Dudley bei Untersuchungen von fliegenden Tieren in einer künstlichen Luft mit geringem Druck heraus, in der er den Luftstickstoff gegen Helium vertauscht hatte.
Das Studium der sauerstoffreichen Epochen könnte neben der Ursache für den Gigantismus und das Fliegen auch Einsichten in das Altern bringen. Heute gelten so genannte Sauerstoff-Radikale, die beim Atmen in Körperzellen entstehen können, als eine der wichtigsten Triebkräfte für das Altern. Bei einem Sauerstoffgehalt von 35 Prozent müssten diese aggressiven Moleküle besonders häufig aufgetreten sein. Die biochemischen Tricks, mit denen Tiere und Pflanzen in den Erdzeitaltern das Sauerstoff-Bombardement ausgehalten hatten, könnten in Zukunft Jungbrunnen ermöglichen.