Die 32,8 Kilogramm Plutonium aus der Cassini-Sonde würden rechnerisch ausreichen, um die Hälfte der Menschheit an Krebs erkranken zu lassen – ein theoretischer Wert, denn dazu müßte sich der gefährliche Stoff gerade so in der Atmosphäre verteilen, daß nur Ballungsgebiete verseucht würden. Wie real das Risiko eines Unfalls ist, ist umstritten. Die NASA gibt die Wahrscheinlichkeit, daß die Trägerrakete Titan-IV beim Start explodiert, mit 1 zu 20 an. Eine sehr optimistische Einschätzung: Bei zwölf Starts ist die Titan-IV zweimal explodiert.
Die Gefahr, daß Plutonium freigesetzt wird, schätzt die NASA mit einem von 500 Starts noch niedriger ein. Die Strahlendosis für die betroffene Bevölkerung wäre dabei so gering, daß sie gegenüber der natürlichen Strahlung nicht auffallen würde – sagt die NASA.
“Verantwortungsvolle Wissenschaftler und Ingenieure hätten so ein Projekt längst gestrichen”, meint dagegen der Strahlenphysiker Dr. John Gofman von der Universität Berkeley. Cassini-Gegner aus aller Welt haben sich im “Globalen Netz gegen Waffen und Kernenergie im All” organisiert, um gegen das 3,4 Milliarden Dollar teure Projekt zu protestieren. Sie sehen das größte Risiko weniger beim Start 1997, sondern eher zwei Jahre später.
Dann kehrt die Sonde von einer Venus-Umrundung zurück, um sich im Schwerefeld der Erde Schwung für den weiten Weg zum Saturn zu holen. Das Manöver ist nötig, weil Cassini 5,5 Tonnen wiegt und keine Rakete in der Lage ist, die schwere Sonde so zu beschleunigen, daß sie es zum Saturn schafft. Bei dem sogenannten “Swing-by” im August 1999 rast Cassini mit 68000 Kilometern pro Stunde nur 500 Kilometer nah an der Erde vorbei.
Weniger als eins zu einer Million sei die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Manöver schiefgehe und Cassini in der Erdatmosphäre wie ein Meteor verglühe, versichert die NASA. In diesem “extrem unwahrscheinlichen Fall” rechnet die NASA mit 120 zusätzlichen Krebstoten. Dr. Ernest Sternglass, emeritierter Professor von der medizinischen Fakultät der Universität Pittsburgh kommt mit denselben Daten auf eine Zahl von 10 bis 20 Millionen Toten. Den Unterschied erklärt Sternglass damit, daß die NASA ihre Daten aus den Atombomben-Explosionen von Hiroshima und Nagasaki bezieht, wo die radioaktive Strahlung sehr stark war. Sternglass untersuchte dagegen die Reaktorunfälle von Tschernobyl und Three Mile Island und fand heraus, daß schwache radioaktive Strahlung ein viel stärkeres krebsauslösendes Potential hat, als sich aus den alten Daten extrapolieren läßt.
Mit den riskanten Swing-by-Manövern haben die Raumfahrt-Experten noch wenig Erfahrung. Bis jetzt hat erst eine Raumsonde die Erde angesteuert: die Galilei-Sonde, die gerade den Jupiter erforscht. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls ist, kann also niemand sagen – bis tatsächlich einmal der Ernstfall eintritt.
Bis heute gab es 24 Missionen der NASA, bei denen Plutonium benutzt wurde. Drei davon schlugen fehl: 1964 verglühte ein Navigationssatellit mit einem Kilogramm Plutonium in der Erdatmosphäre. Das Plutonium verteilte sich weltweit. Ein weiterer Unfall ereignete sich 1968: Beim Start des Nimbus-B-Satelliten stürzten zwei Kilogramm Plutonium in den Pazifik vor Kalifornien, die aber geborgen werden konnten. Bei der Unglücksmission Apollo-13 waren vier Kilogramm Plutonium an Bord, die auf dem Mond hätten bleiben sollen. Sie fielen in den Tonga-Graben, als die Mondlandefähre in der Erdatmosphäre verglühte. Dabei wurde wahrscheinlich keine Radioaktivität freigesetzt. Danach kam es zu keinen weiteren Unfällen mit Plutonium, vor allem weil die Raumfahrtnationen zumindest im sonnennahen Bereich zunehmend Solarzellen benutzten, um ihre Raumfahrzeuge mit Strom zu versorgen. So begnügten sich alle bisherigen Mars-Flüge der Viking-Sonden in den Siebzigern oder des spektakulären Pathfinders in diesem Juli mit Sonnenstrom.
Doch im letzten November kam Plutonium wieder ins Gerede. Im Erdorbit versagte die Rakete der russischen Mars-96-Mission. Die Sonde mit 200 Gramm Plutonium stürzte zurück zur Erde. Zunächst hieß es, sie sei in den Pazifik gefallen, doch später stellte sich heraus, daß sie wahrscheinlich über Chile und Bolivien verglühte.
Das Plutonium erzeugt in den Raumsonden elektrischen Strom, allerdings nicht in Kernreaktoren, sondern in sogenannten Thermoelektrischen Radioisotopen-Generatoren (RTG). Durch radioaktiven Zerfall heizt sich keramisches Plutoniumdioxid auf, wodurch elektrischer Strom gewonnen wird. In den RTG wird nicht das waffentaugliche Plutonium mit dem Atomgewicht 239 und einer Halbwertszeit von 24000 Jahren verwendet, sondern das stark radioaktive Isotop Plutonium 238 mit einer Halbwertszeit von 87 Jahren. Für Missionen ins äußere Sonnensystem, wo die Strahlung der Sonne immer schwächer wird, gab es bisher keine Alternative zu diesen Generatoren.
Die Cassini-Kritiker sind der Meinung, daß neue Solarzellen, die von der europäischen Raumfahrtagentur ESA entwickelt wurden, genügend Energie liefern könnten, wenn zusätzlich stromsparende Instrumente eingebaut würden. NASA und ESA bestreiten das. Selbst für die mageren 700 Watt, die Cassini konsumiert, müßten die Solarkollektoren die Größe von mehreren Tennisplätzen haben, damit sie genügend Energie von der weit entfernten Sonne einsammeln. Dadurch würde Cassini viel zu schwer und wäre schwieriger zu manövrieren. Zudem sei das Risiko eines mechanischen Fehlers im Faltmechanismus der Solarpaddel zu hoch, sagen die NASA-Ingenieure.