Wenn Planeten ihren Stern eng umkreisen, erzeugt die Schwerkraft des Sterns starke Gezeitenkräfte, die den Planeten abbremsen und seinen Orbit noch weiter verengen können. Der Planet gerät so auf einen spiraligen Todeskurs, der mit dem Sturz in den Stern endet. Jetzt haben Astronomen einen heißen Gasriesen identifiziert, der einen solchen Todeskurs eingeschlagen hat. Der heiße Jupiter Kepler-1638b kommt seinem Stern allmählich näher und wird in ferner Zukunft von ihm verschlungen werden. Dieser Gasriese ist dabei der erste Exoplanet um einen alternden, sich bereits ausdehnenden Stern, bei dem ein solcher spiralig verengender Orbit nachgewiesen wurde.
Wenn sich unsere Sonne in mehreren Milliarden Jahren dem Ende ihres Lebenszyklus nähert, wird sie sich allmählich immer weiter ausdehnen und sich in einen Roten Riesen verwandeln. Ihr Radius nimmt dabei so stark zu, dass sie nach und nach alle inneren Planeten des Sonnensystems zerreißen und verschlingen wird. Doch schon vorher kann eine zu große Nähe zum Stern zur Gefahr werden. Der Schwerkrafteinfluss des Sterns erzeugt Gezeitenkräfte in nahen Planeten, die diese abbremsen und dadurch ihre Umlaufbahn allmählich verengen. Einen ähnlichen Effekt übt die Gravitation der Erde auf den Mond aus: Auch sein Tempo und seine Umlaufbahn haben sich im Laufe der Milliarden Jahre Erdgeschichte durch Gezeitenwechselwirkungen verkürzt. Astronomen haben zudem vor einigen Jahren auch einen Exoplaneten entdeckt, der sich auf einem solchen spiralig enger werdenden Orbit befindet.
Exoplanet um einen anschwellenden Unterriesen
Jetzt hat ein Team um Shreyas Vissapragada vom Center for Astrophysics | Harvard & Smithsonian in den USA einen weiteren exoplanetaren “Todeskandidaten” ausgemacht. Dabei handelt es sich um einen durchaus prominenten Exoplaneten, denn der heiße Gasriese Kepler-1638b war im Jahr 2009 der erste Exoplanet, den das Weltraumteleskop Kepler anhand seines Transits aufgespürt hatte. Allerdings dauerte es weitere zehn Jahre, bis weitere Beobachtungen die Existenz dieses Planeten betätigen konnten. Kepler-1638b liegt rund 5000 Lichtjahre von uns entfernt und ist etwa so groß wie der Jupiter, aber fünfmal schwerer als dieser. Der extrasolare Gasriese umkreist einen alternden Stern, der den Wasserstoffvorrat in seinem Kern schon fast völlig aufgebraucht hat. Dadurch hat sich die Kernfusion in eine den Kern umgebende Schale verlagert. Als Folge dieses Schalenbrennens schwillt der Stern an und wird zu einem sogenannten Unterriesen.
Der Gasriese Kepler-1638b umkreist seinen Stern im Abstand von nur 0,05 astronomischen Einheiten – das entspricht etwa einem Achtel des Abstands vom Merkur zur Sonne. Der Planet benötigt daher nur rund 3,8 Tage für einen Umlauf um seinen Stern. Er ist damit einer von weniger als einem Dutzend bekannten Exoplaneten, die einen anschwellenden Unterriesen umkreisen. Schon vor einigen Jahren gab es erste Hinweise darauf, dass sich dies auf den Orbit von Kepler-1638b auswirkt. Um dem nachzugehen, haben Vissapragada und seine Kollegen nun weitere Beobachtungsdaten dieses Exoplaneten gesammelt und ausgewertet. Zusätzlich zu den Transitdaten des Weltraumteleskops Kepler nutzten sie dafür Daten des Hale Telescope in Südkalifornien und des NASA-Weltraumteleskops Transiting Exoplanet Survey Telescope (TESS), das seit 2018 in Betrieb ist. Zusammen ermöglichten es diese Daten, die Orbitalperioden des Planeten über 13 Jahre hinweg zu messen und zu vergleichen.
131 Millisekunden langsamer pro Jahr
Die Analysen bestätigten, dass sich die Umlaufbahn von Kepler-1638b unter dem Einfluss der stellaren Gezeitenkräfte schon leicht verändert hat. Den Messungen zufolge verkürzt sich die Umlaufzeit des heißen Gasriesen pro Jahr um 131 Millisekunden. “Wir haben schon früher Exoplaneten beobachtet, die sich im Spiralkurs ihren Sternen annähern, aber noch nie zuvor haben wir dies bei einem Exoplaneten um einen alternden Stern am Ende seines Lebenszyklus nachgewiesen”, sagt Vissapragada. “Die Theorie besagt, dass solche Unterriesen besonders effektiv darin sind, den Orbits der sie umkreisenden Planeten Energie zu entziehen.” Demnach sorgen der sich zusammenziehende Sternenkern und die sich ausdehnenden äußeren Schichten dafür, dass solche weit entwickelten Sterne stärkere Gezeitenkräfte auf ihre Planeten ausüben. “Jetzt können wir diese Theorie anhand der Beobachtungen überprüfen”, so Vissapragada.
Die starken Gezeitenkräfte des Sterns könnten auch erklären, warum der Planet Kepler-1638b heißer und heller erscheint als er eigentlich dürfte: Die an ihm zerrenden Anziehungskräfte dehnen und stauchen sein Inneres und heizen es dadurch zusätzlich auf. Die Astronomen vergleichen dies mit der Wirkung des Jupiters auf seinen Mond Io. Dessen Inneres ist durch die Gezeitenkräfte so stark aufgeheizt, dass Io der am stärksten vulkanisch aktive Himmelskörper im gesamten Sonnensystem ist. Auf ähnliche Weise könnte auch Kepler-1638b durch die Gezeitenkräfte seines Sterns aufgeheizt werden. “Jetzt, wo wir erstmals Belege für den spiraligen Orbit eines Planeten um einen weit entwickelten Stern haben, können wir mit seiner Hilfe unsere Modelle der Gezeitenphysik präzisieren”, sagt Vissapragada. “Das Kepler-1638-System kann uns so in den nächsten Jahren als himmlisches Laboratorium dienen.” Die Astronomen planen zudem, den heißen Gasriesen und seinen Stern weiter im Auge zu behalten.
Quelle: Shreyas Vissapragada (Center for Astrophysics | Harvard & Smithsonian, Cambridge, USA) et al., The Astrophysical Journal Letters, doi: 10.3847/2041-8213/aca47e