Kein anderes Wirbeltier hat seine Anatomie für ein Schutzkonzept derart verändert: Während sich bei anderen gepanzerten Wesen Oberflächenstrukturen wie beispielsweise Schuppen zu Panzerungen umgewandelt haben, bildete bei den Schildkröten das Skelett die Grundlage: Eine Wirbelsäule oder Rippen sucht man bei ihnen vergebens – im Laufe der Evolutionsgeschichte sind diese Skelettteile nach außen gewandert und verschmolzen schließlich zu einem Panzer. Forscher interessieren sich schon lange dafür, wie und wann es zu dieser ungewöhnlichen Entwicklung gekommen ist. Bei der aktuellen Studie stand nun allerdings die Frage nach dem Warum im Vordergrund.
Anfangs noch keine Schutzfunktion
Die Schlussfolgerungen der Forscher um Tyler Lyson vom Denver Museum of Nature & Science basieren auf Untersuchungen von neuentdeckten Fossilien von Eunotosaurus africanus. Es handelt sich dabei um einen frühen Vertreter aus dem Stammbaum der Schildkröten, der vor etwa 260 Millionen Jahren im heutigen Südafrika lebte. Es war bereits aus früheren Funden bekannt, dass dieses Tier schon verbreiterte Rippen besaß. Man geht davon aus, dass aus dieser Veränderung der Rippen die weitere Entwicklung zum Schildkrötenpanzer hervorgegangen ist.
Verbreiterte Rippen klingen wie eine wenig bedeutende Veränderung – doch das ist nicht der Fall: Sie behindern die Atmung, machen den Oberkörper eines Tieres steif und es dadurch langsam, erklären die Forscher. Das ist der Grund, warum Rippen bei Wirbeltieren normalerweise immer schlank und dünn sind. Es muss bei Eunotosaurus demnach einen wichtigen Grund für die Entwicklung dieser breiten Rippen gegeben haben, der die Nachteile dieser Anpassung ausglich. Die neuen Funde umfassen im Gegensatz zu vorherigen nun sehr gut erhaltene Fossilien, bei denen neben den Rippen auch klar andere Körpermerkmale erkennbar sind. Sie gaben den Forschern Hinweise, wie Eunotosaurus einst gelebt hat und wozu ihm die verbreiterten Rippen gedient haben könnten.
Die breiten Rippen gaben Halt beim Graben
Wie die Untersuchung der Fossilien belegte, kann es allerdings noch keine Schutzfunktion gewesen sein: Beispielsweise war das Genick von Eunotosaurus noch völlig ungeschützt – allein verbreiterte Rippen scheinen wenig sinnvoll, wenn ein Räuber ihm einfach in ungeschützte Körperteile beißen konnte. Wie die Forscher berichten, zeichnete sich stattdessen ab, dass die breiten Rippen ihn zu einem Hochleistungs-Gräber machten: Sie versteiften Eunotosaurus seitlich, so dass er beim Wühlen mit den Vordergliedmaßen nicht so stark zur Seite gedrückt wurde. Dass es sich tatsächlich um ein Wesen handelte, das Erdlöcher grub, spiegelt sich den Forschern zufolge vor allem in seinen Krallen wider. Sie besitzen Merkmale wie sie auch heute noch bei wühlenden Tierarten zu finden sind.
Bild: Bei einem neu entdeckten Fossil von Eunotosaurus sind die breiten Rippen und die Füße erkennbar. Credit: Tyler R. Lyson
Lyson und seine Kollegen vergleichen die Entwicklungsgeschichte des Schildkrötenpanzers nun mit der des Gefieders bei den Vorfahren der Vögeln: Genau wie die Federn zunächst nicht für den Flug entwickelt worden sind, sondern zum Wärmen und zur Schau, dienten auch die Urformen des Schildkrötenpanzers anfangs nicht dem Schutz. “Um der rauen südafrikanischen Umgebung zu entkommen, in der diese frühen Proto-Schildkröten lebten, dienten die Strukturen zunächst dem Graben von Höhlen”, resümiert Lyson. Erst später entwickelten sich dann aus den vorhandenen Strukturen Panzerungen, die zum langfristigen Erfolgskonzept der Schildkröten avancierten, erklären die Wissenschaftler.