Das Magnetfeld der Erde ist für uns lebensnotwendig, gleichzeitig aber sind viele Prozesse in dieser magnetischen Schutzhülle noch immer rätselhaft. Eines dieser Rätsel haben nun Forscher mithilfe von vier NASA-Sonden gelöst: Sie haben herausgefunden, wo die Energie der heftigen Turbulenzen bleibt, die die Kollisionszone zwischen Sonnenwind und Magnetfeld kennzeichnen. Demnach findet in dieser Zone eine bisher unbekannte Art der magnetischen Rekonnexion statt, eines Prozesses, bei dem magnetische Energie in Fontänen von Hochgeschwindigkeits-Elektronen umgewandelt wird.
Das Erdmagnetfeld ist der größte und gleichzeitig wichtigste Schutzschild unseres Planeten. Wie ein Faraday’scher Käfig umschließt ihn dieses Gitter aus Magnetfeldlinien und schirmt die Erde so von den energiereichen Teilchen des Sonnenwinds und der kosmischen Strahlung ab. Doch das ständige, energiereiche Bombardement geht am magnetischen Schutzschirm nicht spurlos vorüber: An seiner Außengrenze, kurz hinter der sogenannten Bugstoßwelle, entstehen heftige Turbulenzen. Die Magnetfeldlinien bilden ein komplexes Muster aus ineinander verknäulten Wirbeln. “In diesen Turbulenzen Magnetsphäre-Grenzschicht entstehen große Mengen magnetischer Energie”, erklärt Erstautor Tai Phan von der University of California in Berkeley. Jeder Einstrom von energiereichem Sonnenwind führt dem System weitere Energie zu. Doch wie die Magnetfelder diese Energie wieder loswerden, war bisher unbekannt.
Wo bleibt die Energie?
In weniger turbulenten Zonen des Magnetfelds, beispielsweise im Magnetschweif auf der Nachtseite der Erde, wird die überschüssige Energie in sogenannten Rekonnexionen frei: Die vom Sonnenwind verformten und langgestreckten Magnetfeldlinien kommen sich so nahe, dass es zu einem explosiven Austausch von Ladungen kommt. Gleichzeitig entstehen heiße Fontänen von schnellen Ionen, die als Plasma-Jets weit ins Lal hinausschießen. Rein theoretisch könnte solche magnetischen Rekonnexionen in kleinerem Maßstab auch an der turbulenten Vorderseite des Magnetfelds stattfinden. Bisher jedoch ist es Forschern nie gelungen, diese nachzuweisen. Ein möglicher Grund dafür: “Diese Region besteht aus hunderten von dünnen Feldschichten – viele dieser Schichten sind so dünn, dass sie in ein paar Sekunden oder weniger an einer Raumsonde vorbeifliegen”, erklären Phan und seine Kollegen. “Die Auflösung bisheriger Messonden war nicht hoch genug, um Rekonnexionen in diesen dünnen Magnetfeldschichten zu erfassen.”
Doch das hat sich nun geändert – dank der vier Sonden der NASA-Mission Magnetospheric Multiscale (MMS). Sie durchfliegen seit 2015 in enger Formation den erdnahen Raum und sind speziell darauf ausgelegt, die explosiven, aber kurzlebigen Prozesse der Rekonnexion zu erforschen. Jede der gut drei Meter großen, achteckigen Sonden trägt dafür 25 Sensoren an Bord, einige davon an meterlangen Antennen. Das Entscheidende dabei: Die Instrumente können Präsenz und Verteilung von Ionen und Elektronen mit einer zeitlichen Auflösung von 37,5 beziehungsweise 7,5 Millisekunden messen. “Das ist 80 und 400 Mal besser aufgelöst als alle bisher verfügbaren Daten”, so die Forscher. Damit, so die Hoffnung, könnten die Sensoren gerade schnell genug sein, um die kleinmaßstäbigen und extrem kurzlebigen Rekonnexionen an der turbulenten Vorderseite der Magnetosphäre nachzuweisen – wenn sie denn stattfinden.
Doppelte Elektronen-Fontäne
Die Hoffnung der Wissenschaftler hat sich erfüllt: Am 9. Dezember 2016 gelang es den vier MMS-Sonden tatsächlich, während einer Sonnenwind-Böe, ein ungewöhnliches Ereignis zu detektieren. Die am Abstand von wenigen Kilometern voneinander fliegenden Sonden registrierten eine plötzliche, kurzlebige Zunahme von Elektronen, die von einem der dünnen Magnetfeldschichten ausgingen. Die schnellen Teilchen schossen in genau entgegengesetzten Richtungen aus dieser Schicht heraus, wie die Messdaten verrieten. Aus ihren Merkmalen schließen die Wissenschaftler, dass diese Elektronen-Jets bei einer Rekonnexion entstanden sein müssen. “Wir haben damit den Beweis dafür, dass sich diese Rekonnexionen auch in der Turbulenzzone ereignen, aber auf andere Art als bisher bekannt”, sagt Co-Autor Michael Shay von der University of Delaware. Denn statt der Ionen, wie auf der Nachtseite der Erde, erzeugen die kleinmaßstäbigen Rekonnexionen der Turbulenzzone nur schnelle Elektronen.
“Unsere Ergebnisse stützen damit die Annahme, dass die Rekonnexion eine wichtige Rolle bei der Zerstreuung der Energie spielt, die mit Plasmaturbulenzen im Weltraum und in astrophysikalischen Systemen verknüpft ist”, konstatieren die Forscher. Ihre neuen Erkenntnisse liefern damit nicht nur eine Antwort auf die Frage, ob solche magnetischen Ereignisse in der turbulenten Zone des Erdmagnetfelds möglich sind. Sie erlauben auch Rückschlüsse auf die Energieabgabe anderer turbulenter Systeme. “Turbulenzen gibt es überall im Kosmos: unter anderem auf der Sonne, im interstellaren Medium, in Planetenkernen, in Akkretionsscheiben um Sterne und in Supernova-Überesten”, sagt Shay.
Quelle: Tai Phan (University of California, Berkeley) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-018-0091-5