Eine geheimnisvolle Welt aus Wasser und Eis im Visier: Der Eispanzer des Jupitermonds Europa könnte sich zum Teil aus sogenanntem Frazil-Eis bilden – „Schneeflocken“ die von unten auf die Deckstrukturen „rieseln“, berichten Forscher. Dies geht aus Vergleichen mit irdischen Beobachtungen dieses Prozesses hervor. Das Besondere ist dabei, dass Frazil-Eis vergleichsweise salzarm ist. Demnach könnte der Eispanzer „reiner“ sein als bisher gedacht, was eine erhebliche Bedeutung für die Erforschung der potenziellen Lebenswelt hat, sagen die Wissenschaftler.
Europa hat’s in sich, geht aus verschiedenen Studien der letzten Jahre hervor: Man geht mittlerweile davon aus, dass der frostige Begleiter des Jupiter einen riesigen Ozean aus flüssigem Salzwasser unter seiner kilometerdicken Eiskruste besitzt. Dies hat den etwa erdmondgroßen Himmelskörper ins Zentrum bei der Suche nach außerirdischen Lebensformen in unserem Sonnensystem gerückt. Denn im Hinblick auf die erstaunliche Anpassungsfähigkeit des irdischen Lebens erscheint es möglich, dass sich auch in der verborgenen Unterwasserwelt Europas Organismen entwickelt haben. Mehr Informationen über den geheimnisvollen Eismond soll bald die geplante NASA-Mission “Europa Clipper” liefern: Eine Sonde soll auf einen Orbit um Europa einschwenken, um verschiedene Daten zu sammeln.
Die Antarktis als Modell
Unter anderem ist dabei auch geplant, die Kruste mittels eisdurchdringendem Radar zu analysieren, um ihren Aufbau zu untersuchen und möglicherweise darunter zu blicken. Mit der Entwicklung des entsprechenden Radargeräts für den Europa Clipper sind Wissenschaftler der University of Texas in Austin beschäftigt. Für die Leistungsfähigkeit sind grundlegende Vorabinformationen dazu hilfreich, wie die Eisdecke beschaffen sein könnte. Um Hinweise zu erhalten, orientieren sich die Wissenschaftler an Strukturen und Prozessen auf der Erde, die denen auf Europa entsprechen könnten. “Wir können durchaus die Erde nutzen, um Rückschlüsse auf Europa zu ziehen”, sagt Seniorautor Donald Blankenship. Konkret richtet sich der Blick dabei auf die Antarktis: Frühere Studien deuten darauf hin, dass die Temperatur, der Druck und der Salzgehalt des Wassers unter dem Eis ähnlich sind wie im Fall des Jupitermondes.
Im Rahmen ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler nun beim antarktischen Schelfeis die beiden wichtigsten Arten des Wachstums von unten. Die eine Form basiert auf dem sogenannten Kongelationseis. Es handelt sich dabei um den Zuwachs auf den bestehenden Eisoberflächen. Die andere Version beruht auf der Anlagerung von sogenanntem Frazil-Eis. Diese Flocken aus Eisnadeln oder -plättchen bilden sich im kalten Meerwasser und treiben dann nach oben. Wie ein Schnee von unten setzen sie sich dadurch auf den Eisoberflächen ab und werden anschließend integriert.
Möglicherweise weniger Salz im Eis
Wie die Wissenschaftler berichten, herrscht unter dem Eis Europas wahrscheinlich nur ein geringer Temperaturgradient – die Werte ändern sich in der Tiefe nur wenig. Unter diesen Bedingungen kommt es im Fall der Antarktis besonders intensiv zur Bildung von Frazil-Eis, geht aus den Untersuchungen hervor. Den Berechnungen der Forscher zufolge könnte somit auch ein erheblicher Teil des Eispanzers von Europa auf den Ansammlungen der Unterwasserschneeflocken zurückzuführen sein.
Dies wäre wiederum mit einem wichtigen Aspekt verbunden, geht aus der Studie hervor. Denn während Kongelationseis zehn Prozent des Salzes des umgebenden Meerwassers enthält, ist Frazil-Eis viel reiner und würde nur 0,1 Prozent des Salzes des Europa-Wassers aufweisen, aus dem es sich bildet. Das bedeutet, dass die Eishülle um Größenordnungen reiner sein könnte als bisher angenommen. “Bei der Erforschung Europas interessieren wir uns sehr für den Salzgehalt, denn es handelt sich um einen Faktor mit vielschichtiger Bedeutung“, so Erstautorin Natalie Wolfenbarger. Er beeinflusst viele Aspekte – von der Festigkeit über die Wärmebewegung bis hin zu den Kräften, die eine Art von Eistektonik antreiben könnten. Außerdem hat der Salzgehalt eine praktische Bedeutung: Er beeinflusst, wie das Radar des Clippers das Eis durchdringen wird, betonen die Wissenschaftler.
“Diese Arbeit eröffnet ganz neue Dimensionen beim Blick auf ferne Ozeanwelten und die Prozesse, die in ihnen ablaufen”, kommentiert Steve Vance vom Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena, der nicht an der Studie beteiligt war. “Sie schafft die Voraussetzungen dafür, wie wir uns auf die Analyse des Eises durch Europa Clipper vorbereiten können“, so der Wissenschaftler.
Quelle: University of Texas at Austin, Fachartikel: Astrobiology, doi: 10.1089/ast.2021.0044