Die Sonne pustet uns ständig geladene Teilchen entgegen – dieser sogenannte Sonnenwind kann allerdings auch enorm aufbrausen. Dem bisher intensivsten bekannten Sonnensturm sind nun Forscher durch Analysen von alten Baumringen auf die Spur gekommen. Die hohen Radiokarbon-Werte aus Material von vor 14.300 Jahren legen nahe, dass damals ein Sonnensturm wütete, dessen Ausmaß die bisher bekannten Fälle deutlich übertraf. Heute würde sich ein solches Ereignis katastrophal auf einige technische Systeme auswirken, die mit der Telekommunikation oder Stromversorgung verbunden sind. Deshalb ist es wichtig, das solare Bedrohungspotenzial besser zu kennen, um Vorkehrungen zu treffen, sagen die Forscher.
Sie schenkt uns Licht und Wärme – doch die Sonne gibt noch mehr von sich: Sie traktiert die Erde fortwährend mit einem Strom geladener Teilchen, wie etwa Protonen und Elektronen. Glücklicherweise wird die Lebenswelt durch das Magnetfeld der Erde und die Atmosphäre weitgehend vor dieser Strahlenbelastung geschützt. Bemerkbar macht sich der Sonnenwind in der Regel nur durch ein beeindruckendes Himmelsphänomen: Der Teilchenstrom verursacht in Kombination mit dem Erdmagnetfeld die Polarlichter.
Es ist bekannt, dass die Stärke des Sonnenwindes je nach der solaren Aktivität schwankt und manchmal zu regelrechten Stürmen aufbrausen kann. Der größte, direkt beobachtete Sonnensturm ereignete sich dabei im Jahr 1859. Er erzeugte eine nächtliche Aurora, die so hell war, dass Vögel zu singen begannen, weil sie glaubten, die Sonne sei aufgegangen. Doch nicht nur das: Schon damals verursachte der ungewöhnlich starke Teilchenstrom Schäden an menschlicher Technik – an den Telegrafensystemen.
Sonnenaktivität im Spiegel von Baumring-Daten
Doch offenbar kann es noch viel intensiver stürmen als im Jahr 1859: Frühere Untersuchungen anhand von Radiokarbon-Werten in Baumringen haben bereits Hinweise auf solche extremen Sonnenstürme in den vergangenen 15.000 Jahren geliefert. Dabei handelt es sich um Ereignisse, die mindestens eine Größenordnung stärker ausfielen, als im Fall des 19. Jahrhunderts. Das Nachweisverfahren dieser Ereignisse beruht darauf, dass Bäume einst erhöhte Mengen des Kohlenstoffisotop C14 in ihr Gewebe eingebaut haben, das im Zuge von Sonnenstürmen verstärkt in der Atmosphäre gebildet wurde.
“Radiokarbon wird in der oberen Atmosphäre ständig durch eine Kette von Reaktionen produziert, die durch kosmische Strahlung ausgelöst werden. Vor kurzem wurde dabei gezeigt, dass Sonneneruptionen energiereiche Teilchen erzeugen können, die zu Spitzen in der Radiokarbonproduktion führen können”, erklärt Erst-Autor Edouard Bard, vom Collège de France in Aix-en-Provence. Untersuchungen der C14-Gehalte in Baumringen konnten unter anderem bereits Hinweise auf extreme Sonnenstürme in den Jahren 993 n. Chr. und 774 n. Chr. liefern. Doch der aktuelle Befund verweist nun auf einen Sonnensturm, der etwa doppelt so heftig ausgefallen ist wie diese.
Bard und seine Kollegen entdeckten den neuen Rekordwert in teils versteinertem Holzmaterial, das im Uferbereich des Flusses Drouzet in den südlichen französischen Alpen gefunden wurde. Zur Analyse der Ringe wurde es in feine Scheiben geschnitten. Anhand von Vergleichsmaterial war dann eine Datierung der Strukturen möglich. Anschließend wurde das Material einzelner Ringe beprobt und auf seine Gehalte an Radiokohlenstoff untersucht. Dabei zeigte sich dann eine beispiellose Spitze vor 14.300 Jahren.
Ein solarer „Wutanfall“ zeichnet sich ab
Weitere Hinweise darauf, dass dieser Wert mit einem enormen Sonnensturm verbunden war, lieferten Messungen eines Beryllium-Isotops in grönländischen Eisbohrkernen aus der Zeit. Hohe Werte dieser Substanz gelten ebenfalls als ein Anzeichen der Wirkung energiereicher Teilchen in der Erdatmosphäre. Aus dem enormen Anstieg der Kohlenstoff- und Beryllium-Isotope vor 14.300 Jahren geht hervor, dass die Ursache ein Sonnensturm war, der nun klar als Rekordhalter einzuordnen ist, sagen die Wissenschaftler.
Ihrer Einschätzung zufolge wäre ein solches Ereignis heute mit katastrophalen Schäden an technischen Systemen verbunden. “Extreme Sonnenstürme könnten die Transformatoren in unseren Stromnetzen dauerhaft beschädigen, was zu großflächigen Stromausfällen über Monate hinweg führen würde. Sie könnten auch zu Zerstörungen an Satelliten führen, auf die wir alle für die Navigation und Telekommunikation angewiesen sind. Besonders starke Sonnenstürme würden außerdem ein erhebliches Strahlenrisiko für die Astronauten darstellen”, sagt Seniorautor Tim Heaton von der University of Leeds.
Deshalb kommt der Erforschung der Sonnenaktivität eine große Bedeutung zu, sagen die Wissenschaftler. Denn sie könnte dabei helfen, die Risiken besser einzuschätzen, damit Vorkehrungen getroffen werden können, um unsere Kommunikations- und Energiesysteme widerstandsfähiger gegen starke Sonnenstürme zu machen. Bisher bleibt allerdings unklar, was genau die Extrem-Ereignisse verursacht, wie häufig sie auftreten und ob wir sie irgendwie vorhersagen könnten. “Unser Ansatz ermöglicht es nun zumindest, das Verhalten der Sonne in der Vergangenheit zu untersuchen”, so Bard.
Quelle: University of Leeds, Fachartikel: Philosophical Transactions of the Royal Society A Mathematical Physical and Engineering Sciences, doi: 10.1098/rsta.2022.0206