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Eine neue Form des Mondvulkanismus

Astronomie|Physik

Eine neue Form des Mondvulkanismus
Compton-Belkovich-Anomalie
Thermische Anomalie unter dem lunaren Compton-Belkovich-Komplex. © Matthew Siegler/Planetary Science Institute

Ob die gigantischen Mare oder kleinere Lavareste: Die meisten Relikte urzeitlicher Vulkanausbrüche auf dem Mond bestehen aus Basalt – einem silikatarmen vulkanischen Gestein, das auf der Erde für die ozeanische Kruste typisch ist. Doch wie sich nun zeigt, gab es auf dem Mond einst auch granitische Vulkane. Indiz dafür ist eine thermische Anomalie zwischen den lunaren Einschlagskratern Compton und Belkovich: Dort ist im Untergrund mehr Wärme präsent, als durch die typische basaltische Mondkruste erzeugt werden kann, wie Wissenschaftler ermittelt haben. Die für diese Hitze nötige Anreicherung radioaktiver Elemente sei jedoch nur erklärbar, wenn sich dort im Untergrund eine große Kammer aus erstarrtem granitischen Magma befinde, schreiben sie. Sollte sich das bestätigen, wäre dieser Mondvulkan der erste Fall von granitischem Vulkanismus auf einem anderen Himmelskörper als der Erde.

Dass der Mond einst vulkanisch aktiv war, ist nicht zu übersehen: Die ausgedehnten dunklen Mare auf der uns zugewandten Mondseite bestehen komplett aus erkalteter Basaltlava. Sie stammt aus Ausbrüchen vor rund 3,9 bis 3,1 Milliarden Jahren, bei denen dünnflüssige Lava in diese von Asteroideneinschlägen erzeugten Senken strömte. Die dunkle Basaltlava färbt die lunaren Mare bis heute dunkler als die umgebende Kruste. Gesteinsproben, die Apollo-Astronauten im Mare Serenitatis und im Mare Imbrium einsammelten und zur Erde mitbrachten, bestätigten, dass die lunare Lava vorwiegend aus Basalt besteht – ähnlich wie bei den meisten Himmelskörpern im Sonnensystem. Denn Basalt entsteht relativ leicht, indem Mantelgestein in Vulkanen einmalig aufgeschmolzen wird und wieder erkaltet. Komplizierter ist es dagegen mit dem auf der Erde häufigen Granit: Dieses silikatreiche Gestein entsteht erst durch einen mehrstufigen Prozess, bei dem das Magma mehrfach schmelzen und in veränderter Form wieder erstarren muss. Auf der Erde trugen Plattentektonik und die Anwesenheit von Wasser dazu bei, dass sich durch solche Recyclingprozesse die primär granitische kontinentale Kruste bildete.

Eine lunare Anomalie

Auf dem Mond und anderen Himmelskörpern im Sonnensystem wurden jedoch bisher kaum Granite nachgewiesen. Sie gelten als von Basalt dominiert. Allerdings haben Wissenschaftler bei Analysen der Apollo-Mondproben sehr vereinzelt auch Körnchen von granitischem Material entdeckt. Dieses enthält typischerweise eine hohe Konzentration von Thorium und anderen radioaktiven Elementen. “Aber der Ursprung dieser Granitkörnchen und die Größe der Systeme, die sie erzeugt haben könnten, sind bislang unbekannt”, erklären Matthew Siegler vom Planetary Science Institute in Tucson und seine Kollegen. Ebenfalls rätselhaft ist eine geologische Anomalie, die vor einigen Jahren zwischen den beiden lunaren Einschlagskratern Compton und Belkovich entdeckt wurde. Dort haben Orbitersonden eine erhöhte Schwerkraft – Indiz für Material höherer Dichte – und eine ungewöhnlich hohe Anreicherung radioaktiver Elemente nachgewiesen.

Planetenforscher vermuten schon länger, dass dort in der Frühzeit des Mondes ein großer Vulkankomplex gelegenen haben könnte. Denn im Zentrum des leicht erhöhten Geländes liegen einige domartige Erhebungen mit kraterähnlichen Senken an ihrer Spitze. Es könnte sich demnach um Reste alter Vulkanschlote handeln. Um der Compton-Belkovich-Anomalie auf den Grund zu gehen, haben nun Siegler und sein Team Daten von Orbitersonden ausgewertet, die das Gebiet im Mikrowellenbereich analysiert haben. Besonders detaillierte Daten lieferten dabei die Mikrowellen-Radiometer an Bord der beiden chinesischen Orbitersonden Chang’e 1 und Chang’e 2, die den lunaren Untergrund im Bereich von drei bis 37 Gigahertz abtasten. “Mikrowellen haben eine längere Wellenlänge als Infrarot und können deshalb auch Temperaturen unterhalb der Oberfläche anzeigen”, erklärt Siegler. “Weil China diese Daten zugänglich gemacht hat, konnten wir diesen einzigartigen Datensatz nutzen, um diese interessante Stelle auf dem Mond näher zu erkunden.”

Granitmasse in Untergrund

Die Auswertungen ergaben eine deutlich erhöhte Untergrundtemperatur im Gebiet der Compton-Belkovich-Anomalie: Unterhalb dieser Formation ist die Mondkruste neun Grad wärmer als im normalen Durchschnitt. “Diese vermutete Vulkanregion glühte geradezu im Mikrowellenlicht”, sagt Siegler. “Die einzige Erklärung dafür ist, dass es irgendwo in der tieferen Mondkruste eine Quelle zusätzlicher Wärme geben muss. Compton-Belkovich verbirgt definitiv eine große Wärmequelle unter sich.” Das Team ermittelte in diesem Gebiet einen Wärmefluss von bis zu 180 Milliwatt pro Quadratmeter. “Das ist der größte bisher detektierte Wärmefluss auf dem Mond, er hat rund das 20-Fache des für das lunare Hochland typischen Werts von fünf bis zehn Milliwatt pro Quadratmeter”, schreiben die Wissenschaftler. Bei irdischen Vulkanen oder einem bis heute anhaltenden Mondvulkanismus wäre eine Magmakammer mit schmelzflüssigem Gestein eine naheliegende Quelle dieser überschüssigen Wärme. Aber der Compton-Belkovich-Vulkankomplex – wenn es überhaupt einer ist – brach vor rund 3,5 Milliarden Jahren zuletzt aus.

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Der jetzt detektierte Wärmeüberschuss kann daher nicht von heißem Magma stammen. Stattdessen müssen radioaktive Zerfallsprozesse im Untergrundgestein diese Wärme freisetzen. Um mehr darüber herauszufinden, welches Gestein diese Wärme erzeugt, nutzten Siegler und seine Kollegen geophysikalische Modelle, die Thoriumgehalte und Wärmefluss verschiedener Gesteinstypen simulierten. Am besten zu den Beobachtungsdaten passte dabei ein Modell, bei dem rund 7,5 Kilometer unter dem oberflächennahen Vulkangebiet eine Ansammlung granitischen Gesteins von rund 53 Kilometer Durchmesser liegt – ein sogenannter granitischer Batholith. Dabei handelt es sich um sehr große, vollständig erkaltete und auskristallisierte Magmakörper, die durch wiederholten Einstrom von schmelzflüssigem Gestein in eine große Magmakammer entstanden sind. Bei jeder dieser Episoden schmolz das schon vorhandene und erstarrte Magma wieder auf und im Laufe der Zeit konnte so aus basaltischem Magma ein granitisches Gestein entstehen. Bei diesem Prozess wurden zudem radioaktive Elemente angereichert, die bis heute Zerfallshitze freisetzen und die thermische Anomalie unter dem Compton-Belkovich-Gebiet erzeugen.

“Diese Daten festigen die Schlussfolgerung, dass der Compton-Belkovich-Komplex das Resultat eines granitischen Vulkanismus ist”, schreiben Siegler und sein Team. Damit könnte diese Anomalie auf der lunaren Rückseite das erste Beispiel für ein größeres Granitvorkommen auf dem Mond und den dazu gehörenden Vulkankomplex sein. “Unsere Ergebnisse legen nahe, dass es sich hier um ein hochgradig entwickeltes, mehrstufiges granitisches Magmasystem handelt, das das Ausmaß eines Batholiths besitzt”, so die Forscher. “Ein solches Phänomen war zuvor nur von der Erde bekannt.”

Quelle: Matthew Siegler (Planetary Science Institute, Tucson) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-023-06183-5

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