Intermediäre Schwarze Löcher gelten als wichtiges Bindeglied zwischen den aus Sternen entstehenden Schwarzen Löchern und den supermassereichen Schwerkraftgiganten im Herzen von Galaxien. Jetzt könnten Astronomen eine dieser lange gesuchten Zwischenformen aufgespürt haben – im rund 17.000 Lichtjahre entfernten Omega-Centauri-Kugelsternhaufen unserer Milchstraße. Im Zentrum dieses Überrests einer urzeitlichen Zwerggalaxie entdeckten die Forschenden sieben Sterne, die rasend schnell um ein unsichtbares Zentrum kreisen. Ihre Bahnen und Geschwindigkeiten sprechen dafür, dass es sich dabei um ein Schwarzes Loch von mindestens 8200 Sonnenmassen handelt – ein intermediäres Schwarzes Loch. Sollte sich dies bestätigen, wäre es gleichzeitig das massereichste Schwarze Loch in unserer kosmischen Nachbarschaft.
Schwarze Löcher kommen in unterschiedlichen Größen und Massen vor. Die maximal einige Dutzend Sonnenmassen schweren stellaren Schwarzen Löcher sind am häufigsten, sie entstehen bei Supernova-Explosionen massereicher Sterne. Das andere Extrem bilden supermassereiche Schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien, mit Massen von Millionen oder sogar Milliarden Sonnen. Der uns am nächsten liegende Vertreter dieser Schwerkraftgiganten ist Sagittarius A*, das rund vier Millionen Sonnenmassen schwere zentrale Schwarze Loch der Milchstraße in rund 25.000 Lichtjahren Entfernung. Doch der Theorie nach müsste es auch eine Zwischenform Schwarzer Löcher geben. Diese intermediären Schwarzen Löcher müssten zwischen 100 und 100.000 Sonnenmassen haben und könnten beispielsweise durch serielle Verschmelzungen stellarer Schwarzer Löcher entstanden sein. Sie gelten zudem als mögliche Vorstufen für die supermassereichen Galaxienzentren. Bisher haben Astronomen jedoch nur einige wenige Kandidaten für diese Zwischenstufe finden können. Dadurch bleibt unklar, wo sich diese intermediären Schwarzen Löcher verbergen und wie viele es von ihnen gibt.
Relikt einer vereinnahmten Zwerggalaxie
Doch jetzt könnten Astronomen um Maximilian Häberle vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg eines dieser intermediären Schwarzen Löcher aufgespürt haben – verborgen im Zentrum des Kugelsternhaufens Omega Centauri. Diese Ansammlung von rund zehn Millionen Sternen liegt rund 17.000 Lichtjahre von uns entfernt und ist der hellste und mit Abstand massereichste Kugelsternhaufen in unserer Milchstraße. Er ist am Südhimmel schon mit bloßem Auge als verwaschener kleiner Fleck am Nachthimmel zu erkennen. “Omega Centauri ist ein Sonderfall unter den Kugelsternhaufen der Milchstraße”, erklären die Astronomen. “Denn aufgrund seiner großen Masse, der komplexen Zusammensetzung seiner Sternenpopulation und deren Dynamik gilt der Sternhaufen als Überrest einer von der Milchstraße vereinnahmten Zwerggalaxie.”
Diese Besonderheit von Omega Centauri weckte schon länger die Vermutung, dass sich im Zentrum des Kugelsternhaufens ein intermediäres Schwarzes Loch verbergen könnte – ein wegen der Galaxienverschmelzung nicht mehr weitergewachsener Vorläufer der heutigen supermassereichen Schwarzen Löcher. Allerdings konnten bisherige Beobachtungen keine Anzeichen für ein aktives, Materie verschlingendes und daher Strahlung aussendendes Schwarzes Loch im Zentrum des Haufens finden. Zudem liegen die Sterne im inneren Bereich des Kugelsternhaufens so dicht beieinander, dass man kaum zwischen ihnen hindurchblicken kann. Häberle und sein Team wählten daher einen anderen Ansatz: Sie verfolgten die Bewegungen von Sternen in Omega Centauri, denn besonders schnell kreisende Sterne könnten verraten, ob sich eine unsichtbare große Masse im Zentrum des Haufens verbirgt.
“Rasersterne” verraten verborgenes Schwarzes Loch
Für ihre Suche werteten Häberle und seine Kollegen mehr als 500 Archivbilder des Hubble-Weltraumteleskops aus, die dieses – teilweise nur zu Kalibrierungszwecken – in den letzten gut 20 Jahren von diesem Kugelsternhaufen erstellt hatte. „Die Suche nach schnellen Sternen und die Dokumentation ihrer Bewegung war die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Häberle. Dennoch gelang es: Mithilfe ausgefeilter Analysen ermittelten die Astronomen die Bahnen und Geschwindigkeiten von insgesamt 1,4 Millionen Sternen – es handelt sich um den bisher vollständigsten Katalog der Sternbewegung in Omega Centauri. Noch wichtiger jedoch: Das Team entdeckte sieben Sterne im innersten Bereich des Kugelsternhaufens, die sich weit schneller bewegten als sie eigentlich dürften. “Im Bereich von rund drei Bogenminuten um das Zentrum fanden wir sieben Sterne mit einer Geschwindigkeit von mehr als 2,41 Millibogensekunden pro Jahr”, berichten die Astronomen. Damit überschreitet das Tempo dieser Sterne die Fluchtgeschwindigkeit an dieser Position – sie müssten sich längst aus dem Kugelsternhaufen herauskatapultiert haben.
“Die Präsenz von sieben zentralen Sternen, die sich schneller bewegen als die Fluchtgeschwindigkeit des Haufens kann nur dadurch erklärt werden, dass sie an ein massereiches Objekt nahe des Haufenzentrums gebunden sind”, erklären Häberle und seine Kollegen. Denn die Schwerkraft eines solchen Objekts hält die Sterne dann trotz ihres hohen Tempos fest. Mithilfe eines ergänzenden Modells rekonstruierte das Team, wie schwer das verborgene Objekt mindestens sein müsste, um diese “Rasersterne” festzuhalten. Dabei kamen sie auf eine Mindestmasse von 8200 Sonnenmassen. “Dies macht ein intermediäres Schwarzes Loch zur einzig plausiblen Lösung”, schreiben die Astronomen. Aufgrund der engen Bahnen der schnellen Sterne konnten sie auch ausschließen, dass es sich bei dieser Masse um mehrere, eng beieinanderstehende stellare Schwarze Löcher handelt – dafür wäre schlicht zu wenig Platz.
Bislang bester Beleg für ein intermediäres Schwarzes Loch
Nach Ansicht des Teams liefert dies Bestätigung, dass Omega Centauri tatsächlich ein intermediäres Schwarzes Loch enthält. „Bei früheren Studien der Zentralregionen von Omega Centauri konnte man jeweils kritisch nachfragen: Wo sind denn die Hochgeschwindigkeitssterne? Jetzt haben wir die Antwort, und die Bestätigung, dass Omega Centauri tatsächlich ein mittelgroßes Schwarzes Loch enthält”, konstatiert Häberles Kollegin Nadine Neumayer. Gleichzeitig erbringe die Studie den bislang sichersten Hinweis auf die Existenz solcher mittelschweren Schwarzen Löcher allgemein. Um herauszufinden, wie schwer und groß dieses verborgene Schwarze Loch tatsächlich ist, planen die Astronomen bereits künftige Beobachtungen unter anderem mit dem James-Webb-Weltraumteleskop. Dessen hochauflösende Infrarotspektrometer könnten dabei helfen, die Bewegungen der Rasersterne im Zentrum von Omega Centauri noch besser einzugrenzen und so die genaue Position und Masse des Schwarzen Lochs verraten.
Quelle: Maximilian Häberle (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-024-07511-z