Die seismischen Wellen tiefer Erdbeben können weitere Erdstöße in einigen hundert Kilometern Entfernung hervorrufen. Dieser Effekt war bislang nur bei flachen Beben bekannt. Das berichten amerikanische Forscher im Wissenschaftsmagazin Nature (Bd. 424, S. 893 u. 921).
Am 19. August 2002 bebte die Erde am Tonga-Graben im südwestlichen Pazifik in 600 Kilometern Tiefe. Knapp sieben Minuten nach dem Beben, das eine Magnitude von 7,6 hatte, trat in 300 Kilometern Entfernung eine zweite, etwas stärkere Erschütterung in 664 Kilometern Tiefe auf. Wie Rigobert Tibi von der Washington University in St. Louis und Kollegen schreiben, spricht alles dafür, dass das erste Beben das zweite auslöste. Wegen der relativ großen Entfernung gehen die Forscher davon aus, dass seismischen Wellen die Verschiebung der Gesteinsmassen hervorriefen.
Am Tonga-Graben taucht die Pazifische Platte in östlicher Richtung unter die Indo-Australische Platte ab. Erdbeben, die in mehr als hundert Kilometern Tiefe auftreten, sind auf solche so genannten Subduktionszonen beschränkt. Wodurch sie ausgelöst werden, ist noch umstritten. Der Geophysiker Harry Green von der University of Riverside vermutet jedoch, dass in diesem Falle eine plötzliche Umwandlung der Kristallstruktur vom Mineral Olivin zu Spinell die Ursache war.
Bei anderen Mechanismen, die von Forschern in Erwägung gezogen werden, dauert es Modellen zufolge wesentlich länger, bis ein Folgebeben auftritt.
Die Forscher um Tibi untersuchten noch eine weitere Folge von Erdbeben aus dem Tonga-Graben von 1986 und kamen zu dem Schluss, dass dabei ebenfalls eine Art Domino-Effekt eine Rolle spielte.
Ute Kehse