27. Dezember: Die Ruhe zwischen den Jahren ist für viele Astronomen mit einem Schlag vorbei. Rund 50 000 Lichtjahre von der Erde entfernt registrieren ihre Instrumente eine gewaltige Explosion – die hellste, die bis dahin außerhalb des Sonnensystems gemessen wurde. Alle verfügbaren Weltraum-Observatorien schwenken auf diese Himmelsregion, darunter auch ein betagter NASA-Satellit, der Rossi X-Ray Timing Explorer. Er studiert das Spektakel im Röntgenlicht. Seine Messungen an dem SGR 1806-20 genannten Objekt sollen sich später als Glücksfall erweisen.
Der Flash von SGR 1806-20 ereignete sich bereits 2004. Doch er beschäftigt die Astrophysiker bis heute. Denn damals gewannen sie wertvolle Informationen über die bizarrsten Gebilde im Kosmos: die Neutronensterne. Allmählich lüften sie deren Geheimnisse. Neutronensterne, auch Pulsare genannt, sind kosmische Ruinen mit extremen Verhältnissen (bild der wissenschaft 10/2007, „ Extremisten im All”). Obwohl sie nur etwa den Durchmesser einer Großstadt haben, vereinen sie in ihrem Innern eine ungeheure Masse: Die meisten sind schwerer als unsere Sonne. Sie besitzen deshalb ein brachiales Gravitationsfeld, das alles in der Nähe in seinen Bann zieht. Hinzu kommt ein ungeheures Magnetfeld, Billionen Mal stärker als das Erdmagnetfeld. Schon ihre Geburt ist wie ein Paukenschlag: Neutronensterne entstehen bei einem der energiereichsten Prozesse im All – in Supernovae. Diese Explosionen markieren den Exitus massereicher Sterne.
Doch das Ende des Vorläufersterns ruft einen neuen Himmelskörper ins Leben: Der Kern des Todgeweihten kollabiert zu einem Neutronenstern. Seit Jahrzehnten sind Forscher fasziniert von diesen ultrakompakten Objekten. Denn so extreme Bedingungen wie auf und in Neutronensternen lassen sich in irdischen Experimenten nicht nachahmen. Für Physiker sind sie „Labore”, um die bekannten Naturgesetze bis an die Belastungsgrenze zu testen. Und Astronomen geht es darum, die Extremisten im Club der Sterntypen besser kennenzulernen. Sie haben damit begonnen, das mysteriöse Innere der Neutronensterne zu enträtseln.
WIRBELNDE SCHWERGEWICHTE
Neutronensterne drehen sich außerordentlich rasch um ihre Achse. Der Rekordhalter bringt es auf 716 Umdrehungen pro Sekunde. Axel Jessner erforscht die wirbelnden Schwergewichte seit Jahren. „Obwohl es sich um sehr bizarre Objekte handelt, lassen sich manche ihrer Eigenschaften mit relativ einfacher Physik erklären”, sagt der Astrophysiker, der am großen Radioteleskop von Effelsberg ihren Signalen lauscht. „Mit ihren gewaltigen Magnetfeldern und der raschen Eigendrehung erzeugen Pulsare wie ein Dynamo immense elektrische Felder”, sagt Jessner. „Sie sind so stark, dass elektrisch geladene Teilchen aus der Oberfläche gerissen werden.” Entlang der magnetischen Feldlinien fliegen die Ladungsträger ins All. Ein Elektrotechniker würde so etwas schlicht „Strom” nennen.
Die geladenen Partikel können den Pulsar nicht beliebig schnell verlassen – auch für sie gilt die Lichtgeschwindigkeit als Obergrenze. Deshalb kommt es über der Oberfläche zu einem Stau. Die nachrückenden Teilchen werden von den Ladungskonzentrationen weiter außen abgestoßen, zum Teil sogar zur Oberfläche reflektiert. Die Folge: Die Ladungen schwingen mit hohem Tempo hin und her. Das ist die Quelle von Radiostrahlung – in der Antenne eines gewöhnlichen Radiosenders geschieht nichts anderes. Und was ist die Ursache der regelmäßigen Pulse? Jessner: „Pulsare senden ihre Radiostrahlung gebündelt in bestimmte Raumrichtungen, ähnlich wie die Lichtkegel eines Leuchtturms. Wenn ein solcher Radiokegel über die Erde streicht, registrieren Radioastronomen ein Signal. Eine Umdrehung später kommt der nächste Puls.”
Zwar werden die Neutronensterne bisweilen Sternleichen genannt, aber: „Sie sind alles andere als tot. Viele strahlen energiereiche Gamma- und Röntgenwellen ins All. Und sie lassen sich auch im sichtbaren und im infraroten Licht beobachten”, sagt Anna Watts von der Universität Amsterdam. Der gewaltige Röntgen-Ausbruch von SGR 1806-20 war ein Beweis besonders heftiger Aktivität. Einem sehr hellen Röntgenblitz folgte ein rund 400 Sekunden langes Nachleuchten. Die Strahlung fiel dabei langsam ab, allerdings nicht gleichförmig: „Dem Signal sind schnelle Schwingungen überlagert”, erklärt die britische Astrophysikerin. „Wir haben acht bis neun verschiedene Frequenzen identifiziert, die zwischen 18 und 1800 Hertz liegen.” Die Interpretation der Forscherin: Unter der Wucht der Explosion wurde der gesamte Neutronenstern verformt. Sein massiver Körper schnellte zurück und wurde zu Schwingungen angeregt – wie eine Glocke, die von einem Klöppel angeschlagen wird. Ähnliches geschieht auf der Erde nach schweren Beben: Der gesamte Erdkörper schwingt noch tagelang nach. Was löste das Sternenbeben aus? SGR 1806-20 hat ein besonders starkes Magnetfeld, Experten nennen einen solchen Neutronenstern „Magnetar”. Im Lauf der Zeit wird das Magnetfeld schwächer, dabei verformen sich die Feldlinien, und Spannungen bauen sich auf. „Die Feldlinien brechen gleichsam und verbinden sich neu, um eine neue stabilere magnetische Konfiguration zu finden”, beschreibt Anna Watts den Prozess. Sonnenphysiker kennen Ähnliches von Eruptionen unseres Heimatsterns. Auch hier sind schlagartige Veränderungen im solaren Magnetfeld die treibende Kraft. Kleine lokale Ereignisse dieser Art kommen auf Magnetaren immer wieder vor. Der Ausbruch von 2004 war dagegen ein Ausnahmefall. Watts erklärt: „Dabei ändert sich schlagartig die magnetische Konfiguration des gesamten Sterns. Solche Ereignisse sind mit starken Erdbeben der Stufe 9 vergleichbar.”
Ebenso wie Geophysiker das Erdinnere mit Hilfe von Bebenwellen aufklären, sollen die Wellen des Sternenbebens helfen, den Neutronenstern zu durchleuchten. Langsam formt sich für die Wissenschaftler ein Bild: Auf der Oberfläche ebnet das gewaltige Schwerefeld alles stark ein. Wenn es auf der Sternkruste überhaupt Unebenheiten gibt, so dürften die höchsten „Gipfel” kaum einen Millimeter überragen. Anna Watts meint: „Die feste Kruste ist nach unseren neuen Datenauswertungen höchstens 1,5 Kilometer dick.” Die äußerste Schicht besteht hauptsächlich aus den Atomkernen des Elements Eisen, die in eine Art See aus Elektronen eingebettet sind. Diese Schicht ist sehr dünn. Schon einige Meter tiefer steigt die Dichte stark an, und exotische Atomkerne entstehen, die Kernphysiker zum Teil aus Beschleuniger-Experimenten kennen.
Beim Helmholtz-Zentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt experimentiert man mit solchen Kern-Exoten. Die Versuchshallen dort sind erfüllt vom Lärm der Pumpen, die Experimente finden unter Weltraumvakuum statt. Einzelne Segmente in den Hallen sind durch gewaltige Mauern aus massiven Betonquadern hermetisch voneinander abgeriegelt: Schutzvorkehrungen vor der Strahlung, die bei Kernkollisionen entsteht. Für Sekundenbruchteile können die Physiker hier Atomkerne aus der Kruste der Neutronensterne studieren. Es sind Kerne mit starkem Neutronenüberschuss. „Ein Beispiel ist das künstliche Element Nickel-78″, sagt Karlheinz Langanke, Forschungsdirektor an der Großforschungseinrichtung. Natürliche stabile Nickel-Atome beherbergen zwischen 58 und 64 Protonen und Neutronen in ihren Atomkernen. Das radioaktive Nickel-78 hat mindestens 14 Neutronen mehr. „Kürzlich wurde die Halbwertszeit dieses Isotops von US-Kollegen experimentell bestimmt. Es sind 110 Millisekunden.” In der Kruste der Neutronensterne, wo der enorme Druck die Atome zusammenquetscht, ist Nickel-78 stabil. Das Erzeugen und Vermessen weiterer exotischer Kerne steht an, wenn in einigen Jahren die internationale Experimentieranlage FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research) in Darmstadt den Betrieb aufnimmt.
Zurück zum Neutronenstern: In dessen Kruste ändern sich ab einer kritischen Dichte von 400 000 Tonnen pro Kubikzentimeter die Verhältnisse. Nun ist es für die Neutronen energetisch günstiger, den exotischen Kernen Adieu zu sagen: Sie „tropfen” aus dem Kernverbund und bilden Zonen aus Neutronen-Flüssigkeit. Noch tiefer, bei einer Dichte von 150 Millionen Tonnen pro Kubikzentimeter, endet schließlich die Kruste: Sämtliche Atomkerne lösen sich in ihre Bestandteile auf. In dem See aus Kerntrümmern sind die Neutronen stark in der Überzahl.
„Wenn der Neutronenstern genügend abgekühlt ist, können die Neutronen einen supraflüssigen Zustand einnehmen”, sagt Bengt Friman, Experte für Neutronensterne und Langankes Kollege. „Das ist ähnlich wie bei Helium, das diesen Zustand knapp über dem Absoluten Temperaturnullpunkt erreicht.” Eine solche Flüssigkeit hat seltsame Eigenschaften, ihr fehlt beispielsweise jede innere Reibung. Nach Modellrechnungen ist der Neutronenstern bereits einige Stunden nach seiner Entstehung kühl genug, um supraflüssige Zonen auszubilden. Dass sie tatsächlich existieren, legen Messungen an Radiopulsaren nahe: Ihre „Glitches” – bei denen die Rotationsfrequenz schlagartig erhöht ist – deuten Experten ebenfalls als Sternenbeben, eine Folge der supraflüssigen Schichten im Sterninneren (siehe Kasten „Gemischte Pasta im Sternexoten”).
RÄTSELHAFTE INNERE WERTE
Eine feste Kruste und darunter eine ausgedehnte flüssige Zone – der innere Aufbau der Neutronensterne scheint eher Gesteinsplaneten als normalen gasförmigen Sternen zu ähneln. Kern und Kruste sind allerdings nicht streng voneinander getrennt, sondern durch das starke Magnetfeld miteinander gekoppelt. Außerdem hat die Analogie zu den Gesteinsplaneten ihre Grenzen, da die Verhältnisse ab einigen Kilometern unterhalb der Oberfläche nur schemenhaft bekannt sind. „Bis zur doppelten Dichte der Atomkerne können wir einigermaßen sicher mit der bekannten Physik arbeiten”, erklärt Friman. „Tief im Innern der Neutronensterne steigt die Dichte aber bis zur zehnfachen Atomkerndichte. Bis dahin zu extrapolieren, würde mir Bauchschmerzen bereiten.”
Um mehr herausfinden zu können, brauchen die Forscher vor allem neue Messdaten. Große Hoffnungen richten sie auf die Beobachtungen von Gravitationswellen, die von Neutronensternen ausgehen sollen. Weltweit existieren vier Detektoren, die dazu prinzipiell imstande wären: in den USA, in Japan und Italien sowie bei Hannover die GEO600-Anlage. Für dieses deutsch-britische Experiment ist hierzulande das Albert-Einstein-Institut für Gravitationsforschung zuständig. Dort studiert Luciano Rezzolla das Schicksal von Neutronenstern-Paaren. Solche Doppelsysteme sind durch ihre Gravitation aneinander gekettet und kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Bei Rezzollas Studien handelt es sich zwar um Computersimulationen – aber die Doppelsysteme gibt es tatsächlich. Astronomen haben bereits sechs davon aufgespürt und vier weitere gute Kandidaten im Visier. Der Tanz der Sternruinen bleibt laut Rezzolla ohne Happy End: „Ihre Verbindung ist instabil. Sie strahlen ständig Gravitationswellen ab und verlieren so Energie und Drehimpuls. Das lehrt die Allgemeine Relativitätstheorie.”
WILDER TANZ INS SCHWARZE LOCH
Die Sterne wirbeln auf immer engeren Spiralen umeinander, bis ihre Kollision unausweichlich ist. Das Ende des wilden Tanzes ist ein einzelnes Schwarzes Loch. Unmittelbar vor der Fusion schicken die Neutronensterne ein Todessignal ins All – einen starken Schwall aus Gravitationswellen. In seinen Modellen berechnet Rezzolla, wie ein solches Signal aussehen könnte. „ Gravitationswellen werden der Rosetta-Stein sein zur Entschlüsselung des inneren Aufbaus der Neutronensterne”, meint er. Zwar hat noch niemand Gravitationswellen direkt gemessen, doch Physiker wie Watts und Rezzolla gehen davon aus, dass die aktuelle Detektor-Generation Signale solcher Kollisionen erhaschen kann. Ihre Häufigkeit lässt sich allerdings schwer abschätzen. Hilfe kommt von ungewohnter Seite: Weltweit fahnden rund 200 000 PC-Besitzer nach Kollisionskandidaten unter den Neutronensternen. Sie unterstützen das neue Internet-Projekt Einstein@home, das die Datenbestände der Arecibo-Antenne durchforstet. Sollten sich darin Pulsare auf Spiralbahnen verbergen, deren Umlaufzeiten nur noch Minuten betragen, so könnte die geballte Rechenpower sie aufspüren.
Unterdessen perfektionieren die Wissenschaftler Schritt für Schritt ihre Gravitationswellen-Detektoren, und die Theoretiker zerbrechen sich den Kopf über das Zentrum der Neutronensterne. „ Vielleicht lösen sich dort die Neutronen in ihre Bestandteile auf” , spekuliert Bengt Friman. „Dann müssten dabei auch Quarks frei werden.” In einigen Jahren könnten wir die Antwort erfahren. ■
THORSTEN DAMBECK ist promovierter Physiker und regelmäßiger bdw-Autor. Im Mai-Heft berichtete er über Leben im Sonnensystem.
von Thorsten Dambeck