Mithilfe eines hochreinen Wassertropfens haben Forscher ein bisher ungelöstes Rätsel des Materials Titandioxid geknackt. Denn wenn dieses unter anderem auf Solarzellen und bei der Photokatalyse eingesetzte Material im Dunkeln mit Wasser in Kontakt kommt, bildet sich auf seiner Oberfläche ein seltsam geordnetes Muster von Anlagerungen bisher unbekannter Herkunft. Erst durch einen ultrareinen Wassertropfen und einen raffinierten Vakuumtrick haben die Wissenschaftler nun herausgefunden, woraus diese mysteriöse Schicht besteht – mit überraschendem Ergebnis.
Saubere Oberflächen gibt es nicht – außer im Vakuum. Jeder winzige Regentropfen hinterlässt eine Schmutzschicht, sogar der Kontakt mit gewöhnlicher Luft reicht aus, um eine saubere Materialoberfläche augenblicklich mit einer Schicht verschiedener Moleküle zu überziehen. Diese dünnen Schmutzschichten verändern die Eigenschaften des Materials deutlich, wie sich unter anderem beim Titandioxid (TiO2) beobachten lässt. Dieses weiße Metalloxid wird in Farben, Zahnpasta und Sonnencremes eingesetzt, spielt aber auch eine wichtige Rolle als Photokatalysator und für die Beschichtung von Solarzellen. Wenn Titandioxid jedoch mit feuchter Luft oder Regen in Kontakt kommt, geschieht Merkwürdiges: Im Hellen wird es wasseranziehend, im Dunkeln dagegen wasserabstoßend. Die Veränderungen bei Lichtbestrahlung haben Forscher inzwischen geklärt: Es kommt zu Reaktionen, bei der auf der Oberfläche des Material haftende Moleküle oxidiert werden.
Eiszapfen im Vakuum
“Die umgekehrte Reaktion im Dunkeln aber konnte bisher nie erklärt werden”, sagen Jan Balajka von der Technischen Universität Wien und seine Kollegen. Nähere Untersuchungen hatten aber enthüllt, dass sich auf dem Titandioxid im Dunkeln eine hochgradig symmetrische, geordnete Oberflächenstruktur ausbildet. Gängigen Hypothesen nach könnte es sich dabei um die Reste von Wasser- oder Kohlendioxidmolekülen handeln, die sich angelagert haben. Was wirklich hinter dieser seltsamen Struktur steckt, haben nun die Forscher mit einem raffinierten Experiment untersucht. “Um Verunreinigungen zu vermeiden, muss man solche Experimente im Vakuum durchführen”, erklärt Balajkas Kollegin Ulrike Diebold. “Man muss also einen Wassertropfen, der niemals mit Luft in Berührung gekommen ist, in der Vakuumkammer auf ein Material aufbringen, das vorher auf atomarer Skala gesäubert wurde.” Idealerweise benetzt man das Titandioxid mit dem hochreinen Wassertropfen und beobachtet dann mit einem Rastertunnel-Mikroskop, was sich auf Atomebene tut.
Das Problem dabei: Im Hochvakuum verdampft jeder Wassertropfen sofort. Balajka und sein Team mussten daher zu einem Trick greifen. Sie bauten einen “Kühlfinger” in die Vakuum-Anlage ein. Die Spitze dieses gekühlten Metallstifts kühlten sie auf etwa -140°C ab und ließen dann hochreinen Wasserdampf in die Kammer strömen. Dieser gefriert sofort und an der Kühlfinger-Spitze entsteht ein extrem sauberer kleiner Eiszapfen. Um nun das Titandioxid darunter zu benetzen, erwärmten die Forscher die Metallspitze, bis sich ein Wassertropfen bildetete und auf die Probe tropfte. Jetzt war es möglich, die rätselhafte geordnete Struktur näher zu untersuchen –dachten die Wissenschaftler jedenfalls.
Carbonsäuren statt Wasser
Doch zu ihrem Erstaunen fehlte die sonst nach Wasserkontakt so typische Oberflächenstruktur. Unter den extrem reinen Bedingungen der Vakuumkammer entstand sie offensichtliche nicht – selbst als die Forscher zusätzlich Kohlendioxid einleiteten. “Der einzige Unterschied zwischen den reinen und wasserausgesetzten Oberflächen waren kleinere Kontaminationen”, berichten Balajka und seine Kollegen. Es gab jedoch keinerlei Hinweise auf eine Anlagerung von H2O- oder CO2-Molekülen an die Titandioxid-Oberfläche. “Damit zeigen wir, dass keine der bisherigen Erklärungen korrekt ist”, konstatieren die Forscher. Die rätselhaft geordneten Strukturen müssen aus etwas anderem als Wasser oder Kohlendioxid entstehen – aber aus was?
Die Antwort fanden die Wissenschaftler, als sie das Experiment außerhalb der Vakuumkammer in normaler Raumluft wiederholten. Prompt waren die merkwürdigen Oberflächenstrukturen wieder da. Nähere Untersuchungen zeigen, dass es sich bei diesen Anlagerungen um organische Säuren handelte – Essigsäure und Ameisensäure. Seltsam nur: Unter einer Milliarde Luftmolekülen sind nur einige wenige solcher Carbonsäure-Moleküle zu finden. Typischerweise werden sie von Bäumen und Sträuchern an die Luft abgegeben, wie die Forscher erklären. Doch obwohl diese organischen Säuren nur in so winzigen Mengen in der Luft vorhanden sind, sorgt ihre hohe Bindungsaffinitität zum Titandioxid offenbar dafür, dass sie sich an dieses anlagern, sobald Feuchtigkeit präsent ist.
“Dieses Ergebnis klärt ein lange bestehendes Rätsel: die spontane Umwandlung von anfangs hydrophilen Titandioxid-Oberflächen zu hydrophoben Oberflächen, sobald es dunkel wird”, sagen Balajka und seine Kollegen. Wichtig sei diese Erkenntnis vor allem für den Einsatz von Titandioxid als Photokatalysator, weil die geordnete Schicht aus angelagerten Carbonsäuren die Bindungsstellen des Materials blockiert – und damit seine Reaktionsfähigkeit hemmt.
Quelle: Jan Balajka (Technische Universität Wien) et al., Science, doi: 10.1126/science.aat6752