Einst besaß die kleine Welt im Asteroidengürtel einen Ozean im Untergrund, von dem es möglicherweise noch Reste gibt. Diese Vermutung stützen nun Untersuchungsergebnisse des Urvara-Kraters im Süden des Zwergplaneten Ceres: Daten aus der „Verlängerung“ der NASA-Mission Dawn zeigen dort Spuren von Kryovulkanismus auf. Noch lange nach der Entstehung des Einschlagsbeckens stiegen demnach Salzlösungen aus der Tiefe empor und es wurden organische Verbindungen abgelagert.
Er ist der Größte der Kleinen: Mit rund 950 Kilometer Durchmesser ist der Zwergplanet Ceres der massivste Brocken im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Wie erstaunlich komplex dieser Himmelskörper ist, haben die Daten der NASA-Sonde Dawn bereits eindrucksvoll aufgezeigt: Zwischen 2015 und 2018 umkreiste sie Ceres und lieferte dabei detaillierte Aufnahmen. Im Visier der Wissenschaftler standen dabei vor allem die Krater. Der wohl auffälligste ist „Occator“ auf der Nordhalbkugel von Ceres. Die Untersuchungen seiner Strukturen haben bereits spannende Hinweise auf verborgene Merkmale des Zwergplaneten geliefert. Denn in seinem Inneren wurden salzhaltige Überbleibsel einer unterirdischen Sole entdeckt, die offenbar bis in jüngste geologische Zeit durch kryovulkanische Prozesse an die Oberfläche gelangte. Zudem gab es bereits Hinweise darauf, dass Ceres eine ausgesprochen komplexe Chemie besitzt: Im Krater „Ernutet“ wurden Anzeichen von freiliegenden kohlenstoffhaltigen – sogenannten organischen Verbindungen entdeckt.
Detaillierter Blick auf den Urvara-Krater
„Die großen Impaktstrukturen auf Ceres verschaffen uns Zugang zu den tieferliegenden Schichten“, sagt Andreas Nathues vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen. In der aktuellen Studie haben er und seine Kollegen deshalb nun eine weitere markante Narbe des Zwergplaneten ins Visier genommen: Mit einem Durchmesser von 170 Kilometern ist „Urvara“ der drittgrößte Ceres-Krater. Die Ergebnisse basieren auf bisher nicht ausgewerteten Aufnahmen und spektroskopischen Daten der Dawn-Mission. Sie entstanden bei ihrer „Verlängerung“: Nach Ablauf der geplanten Aktionen reichte der verbleibende Treibstoff noch für riskante Manöver. Die Astronomen lenkten Dawn dabei auf stark elliptische Bahnen, um die Sonde an manchen Stellen möglichst nahe an die Oberfläche von Ceres zu bringen. So entstanden Aufnahmen des Urvara-Kraters, die Strukturen von nur einigen Metern Größe abbilden.
Wie die Forscher berichten, zeigen die Bilder mehrfach terrassierte Steilhänge, die das Einschlagsbecken umschließen. Etwas abseits der Kratermitte fällt außerdem eine etwa 25 Kilometer lange und drei Kilometer hohe Bergkette besonders auf, die von schroffen Klippen, Geröllfeldern, aber auch auffallend glatten Bereichen und weiteren Strukturen gekennzeichnet ist. Ganz besonders spannend sind dabei einige Flecken von hellem Material, die denen im Occator-Krater ähneln.
Kryovulkanismus und organische Verbindungen
Zunächst bestimmten die Forscher das Alter der unterschiedlichen Bereiche: Dazu zählten sie kleine Einschlagsspuren in dem Kratergebiet aus: Da ältere Oberflächen mehr Zeit hatten, Einschläge kleinerer Brocken aus dem Weltall „anzusammeln“, weisen sie mehr Krater auf als jüngere. Die ursprünglichsten Gebiete im Urvara-Krater sind den Ergebnissen zufolge etwa 250 Millionen Jahre alt – damals entstand er also durch den Einschlag eines Asteroiden. „Unsere Auswertungen ergaben allerdings, dass verschiedene Bereiche des Kraters sehr unterschiedlich alt sind“, sagt Co-Autor Nico Schmedemann vom Institut für Planetologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. „Der Altersunterschied beträgt dabei bis zu 100 Millionen Jahre. Das deutet darauf hin, dass dort Prozesse am Werk waren, die noch lange nach der eigentlichen Entstehung des Kraters gewirkt haben“, erklärt der Wissenschaftler.
Zu den jüngeren Oberflächen innerhalb des Kraters zählen demnach die ausgedehnten glatten und dunklen Bereiche. Außerdem gibt es Strukturen, die die Forscher als Senktrichter identifizieren, die wahrscheinlich durch Gasaustritt im Untergrund entstanden sind. Weitere Hinweise auf die einstige geologische Aktivität gingen zudem aus den Analysen der spektrographischen Aufnahmen hervor. Dabei standen vor allem die hellen Flecken im Visier. Anhand der Merkmale des von den Oberflächen reflektierten Lichts waren Rückschlüsse auf ihre mineralogische Zusammensetzung möglich.
Salziges Nass im Untergrund?
Wie sich zeigte, handelt es sich um Salze. Besonders interessant war dabei: An einem Hang westlich der zentralen Bergkette stellten die Forscher eine vergleichsweise junge Ablagerung von Salzen in Kombination mit organischen Verbindungen fest, wie sie bisher nicht bekannt waren. „Diese organischen Verbindungen, die sich im Urvara-Krater auf der Südhalbkugel abzeichnen, unterscheiden sich deutlich von denen in den Gebieten im Ernutet-Krater auf der Nordhalbkugel“, betont dabei Co-Autor Guneshwar Thangjam vom indischen National Institute of Science Education and Research in Bhubaneswar.
Die Untersuchungsergebnisse des Urvara-Kraters werfen damit weiteres Licht auf die komplexen Merkmale von Ceres. „Insgesamt zeigt sich uns im Urvara-Krater ein ausgesprochen komplexes Bild, das wir noch nicht vollständig verstehen und das Raum für Interpretationen lässt. Einiges spricht jedoch dafür, dass eine salzhaltige Sole im Spiel war, die aus dem Innern nach oben stieg und weitere Prozesse in Gang setzte“, sagt Nathues. Die aktuellen Ergebnisse untermauern somit auch eine spannende Theorie, die sich bereits zuvor auf der Grundlage der Dawn-Daten entwickelt hat: Ceres besaß möglicherweise einst einen in der Tiefe gelegenen Ozean, der organische Verbindungen enthielt. Reste haben vielleicht sogar bis heute in flüssigen Reservoirs in etwa 40 Kilometern Tiefe überdauert. Denn der hohe Salzgehalt könnte sie vor dem Gefrieren bewahrt haben, so die Vermutung.
Durch weitere Datenauswertungen wollen sich die Wissenschaftler nun der genaueren Erforschung der organischen Verbindungen widmen. „Die Frage nach dem Ursprung und der Entstehung organischer Stoffe auf Ceres bleibt offen. Antworten könnten Auswirkungen auf unser Verständnis der gesamten geologischen Geschichte von Ceres haben und möglicherweise Verbindungen zu Fragen der Astrobiologie herstellen“, sagt Thangjam abschließend.
Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-022-28570-8