Nur schwer ist der verwaschene Umriss auf dem Bild als Silhouette einer Katze zu erkennen. Er erinnert mehr an erste fotografische Gehversuche des frühen 19. Jahrhunderts als an einen Blick in die Zukunft der Fotografie. Und doch hat der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger mit seinem Team damit die Tür zu einer neuen Ära der Bildgebung aufgestoßen. Das Zauberwort heißt „Quanten-Imaging”: eine Methode, die sich grundlegend von der normalen Fotografie unterscheidet. Denn während dabei stets das Licht eingefangen wird, das zuvor auf das – abgelichtete – Motiv traf, wird bei dem Quantenverfahren Licht um das Motiv herumgeführt. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten. Vor allem: Sonst unsichtbare Dinge lassen sich sichtbar machen.
Die Basis dafür sind die Gesetze der Quantenphysik. Sie verleihen mikroskopischen Teilchen wie Photonen – den Partikeln des Lichts – fremdartig anmutende Erscheinungsformen. Zum Beispiel verbinden sie sich so miteinander, dass ihre räumliche Entfernung keinerlei Rolle spielt. Und sie führen zu Phänomenen, die selbst für Physiker schwer zu verstehen sind. Aber in raffinierten Experimenten werden sie offenkundig, und sie lassen sich im Rahmen der Quantenmechanik erklären. Drei dieser absonderlichen Eigenheiten nutzten Anton Zeilinger und die brasilianische Physikerin Gabriela Barreto Lemos von der Universität Wien für das Quanten-Imaging:
· Die Heisenberg’sche Unschärferelation, die verhindert, dass sich sowohl Ort als auch Geschwindigkeit eines Teilchen gleichzeitig genau messen lassen.
· Die Verschränkung, die einem Partikelpaar feste gemeinsame Eigenschaften verleiht.
· Und „Schrödingers Katze”, die zeigt, dass verschiedene Quantenzustände parallel existieren können.
Zunächst zu der ominösen Katze: Der österreichische Physiker Erwin Schrödinger ersann dieses Gedankenexperiment in den 1930er-Jahren. Dabei wird eine fiktive Katze in eine Kiste gesperrt, die über einen eingebauten Todesmechanismus verfügt. Der wird ausgelöst vom Zerfall eines radioaktiven Atoms, der rein zufällig erfolgt und dessen Zeitpunkt sich nicht vorhersagen lässt. Schrödingers Folgerung aus den Gesetzen der Quantenmechanik: Solange die Kiste verschlossen bleibt, kann man nicht wissen, ob das Atom bereits zerfallen ist. Damit befindet sich das Atom quantenphysikalisch zugleich in beiden möglichen Zuständen – zerfallen und nicht zerfallen. Deshalb, schloss er, muss auch die Katze gleichzeitig tot und lebendig sein.
Widersprüche sind in der Quantenwelt Realität
Damit wollte der Pionier der Quantentheorie eigentlich auf die absurden Folgen der damals noch jungen Theorie hinweisen. Doch Tausende Experimente haben seither gezeigt: Dass zwei sich widersprechende Möglichkeiten parallel existieren, ist in der Quantenwelt Wirklichkeit. So kann ein Elektron simultan links und rechts herum rotieren. Im Fachjargon heißt das Superposition. Erst die Messung des Drehsinns, auch „Spin” genannt, wählt eine der beiden Möglichkeiten aus. Die Katze im tot-lebendigen Zombiezustand hat eine atemberaubende Konsequenz: die Verschränkung. Das heißt: Zwei Teilchen lassen sich zu einer quantenphysikalischen Einheit verbinden, die sich durch nichts wieder lösen lässt. Realisierbar ist das etwa, indem die beiden Partikel gemeinsam aus dem Zerfall eines dritten Teilchens hervorgehen oder vorübergehend in Kontakt treten. Dadurch erhalten die so verschränkten Partner gemeinsame Eigenschaften – zum Beispiel einen Netto-Spin von Null. Die Spins der beiden Teilchen müssen dann stets entgegengesetzt gerichtet sein, um sich in der Summe aufzuheben. Das Gespenstische daran: Die magische Intimität bleibt sogar dann erhalten, wenn sich die Teilchen kilometerweit voneinander entfernen, sodass keine Kräfte mehr zwischen ihnen wirken – sie also nach klassischer Vorstellung keine Information mehr austauschen können.
Die verschränkten Elektronen verhalten sich wie das eingesperrte Kätzchen: Solange man nicht versucht, ihren Zustand zu messen, drehen sich ihre Spins beide sowohl links als auch rechts herum. Misst man aber den Spin eines Partners, wird dessen Richtung festgelegt. Und damit steht im gleichen Moment auch der Spin des anderen Teilchens fest – egal wie weit entfernt es ist. Albert Einstein nannte das „spukhafte Fernwirkung”. Experimentell ist die für den Alltagsverstand unglaubliche Kopplung längst bewiesen.
Der dritte Effekt, den man zum Quanten-Imaging braucht, ist nicht weniger wundersam. Der deutsche Physiker Werner Heisenberg erkannte in den 1920er-Jahren, dass ein Quantenobjekt, etwa ein Photon oder Elektron, stets nur einen Teil seiner Merkmale preisgibt. Darin unterscheidet es sich etwa von einem fahrenden Auto, bei dem sich mühelos sowohl Aufenthaltsort als auch Tempo exakt messen lassen. Bei einem Quantenobjekt dagegen gilt: Je genauer man seinen Ort bestimmt, desto ungenauer fällt zwangsläufig die Geschwindigkeitsmessung aus – und umgekehrt. Selbst mit den präzisesten Messgeräten lässt sich diese grundlegende Einschränkung nicht aushebeln.
Für das Fotografieren per Quanten-Imaging teilten Anton Zeilinger und sein Team einen grünen Laserstrahl auf in zwei Strahlen mit gleichen Eigenschaften und jeweils halber Intensität. Einen der beiden Teilstrahlen zerlegten sie in zwei miteinander verschränkte Laserstrahlen unterschiedlicher Wellenlänge: in einen infraroten und in einen roten. Nur den infraroten Strahl schickten die Wiener Physiker zu der Katzen-Silhouette. Dadurch erhielt er die Information über die Kontur. Und da der infrarote mit dem roten Strahl verschränkt war, teilte er ihm die Information mit. Nach einem komplizierten weiteren Prozedere genügte schließlich das rote Licht, um das Bild der Katze aufzunehmen – obwohl man den roten Strahl weit um die Silhouette herumgeführt hatte und er damit nicht in Berührung gekommen war. Das infrarote Licht dagegen war überflüssig und wurde herausgefiltert.
Diese eindrucksvolle Bestätigung der skurrilen Quantenphysik könnte sich künftig auch praktisch nutzen lassen. Wesentlich dafür ist, dass sich das Bild mit einer anderen Frequenz abtasten lässt als mit der, die man zum Aufnehmen des Fotos verwendet hat. „Das funktioniert im Prinzip bei allen Wellenlängen”, sagt Zeilinger. Interessant ist es etwa für die medizinische Bildgebung, für Umweltanalysen oder für die Untersuchung von Zellgewebe. „Im Prinzip kann man damit ein Mikroskop mit unendlich großem Auflösungsvermögen bauen”, sagt Fedor Jelezko, Physikprofessor an der Universität Ulm. Eine Zukunftsvision sind Kameras, die selbst im Nebel scharfe und detailreiche Fotos machen.
Im Dämmerlicht wird es nervig
Neben schlechter Sicht nervt Fotografen auch das Bildrauschen bei Aufnahmen im Dämmerlicht. Eine eigentlich einheitlich ausgeleuchtete Fläche zeigt dann ein Chaos aus helleren und dunkleren Pixeln. Dagegen hilft selbst der perfekteste Bildsensor nicht. Denn schuld ist auch da die Quantenphysik: Photonen prasseln als ungleichmäßiger Strom auf den Bildsensor, wie ein Regenschauer. Zwei Pixel, die eigentlich gleich viel Licht abbekommen sollten, werden von einer unterschiedlichen Zahl von Photonen getroffen. Weil nur der Zufall diese Unterschiede steuert, gilt dieses Schrotrauschen als unvermeidbar. Es stört auch den Datenverkehr durch Glasfasern. Denn die Bits reiten auf Lichtpulsen aus wenigen Photonen. Um die Datenrate zu erhöhen, muss man die Bits auf weniger Photonen packen. Doch weniger Photonen bedeutet, dass das Schrotrauschen für Fehler sorgt. Störend wirkt es sich auch bei mikroskopische n Verfahren aus, die bei empfindlichen biologischen Proben mit extra wenig Licht arbeiten.
Dem scharfen Blick in den Mikrokosmos steht ein grundlegendes physikalisches Hindernis im Weg: das begrenzte Auflösungsvermögen von Mikroskopen. Die quantenmechanische Verschränkung könnte es beseitigen. Licht ähnelt einem Zollstock mit Millimeter-Einteilung. Kleinere Details als einen Millimeter kann er nicht messen. Beim Licht gibt der Abstand zwischen Wellental und Wellenberg – also die halbe Wellenlänge – die Auflösungsgrenze vor. Doch mit einem Teilerspiegel, der aus verschiedenen Materialschichten besteht, lässt sie sich umgehen. Normalerweise wird ein darauf treffendes Photon entweder reflektiert, oder es fliegt geradeaus weiter. Treffen aber zwei identische Photonen simultan auf gegenüberliegende Seiten des Spiegels, dann interferieren sie. Und diese Interferenz sorgt dafür, dass beide Photonen entweder nach unten oder nach oben weiterreisen. Diese möglichen Pfade werden verschränkt: Findet man ein Photon auf einem Weg, ist auch das zweite dort unterwegs. Es entsteht eine Art Doppelphoton. Weil es doppelt so viel Energie wie ein einzelnes Photon hat, besitzt es die halbe Wellenlänge. Und das lässt sich fortsetzen: Bei drei Photonen drittelt sich die Wellenlänge, bei vier viertelt sie sich. Mit sehr vielen auf diese Weise verschränkten Photonen kann man die Wellenlänge theoretisch unendlich weit verkleinern – und damit schrumpft auch die kleinste Ausdehnung von Strukturen, die sich mit Licht noch erkennen lässt.
In Fachkreisen heißt die Methode „NOON”, wobei „N” für die Zahl der benutzten Photonen steht. Theoretisch kann dieser Trick das Auflösungsvermögen von Mikroskopen beliebig verbessern. Zwar gibt es bereits ein anderes Verfahren, das dies erlaubt: die STED- Mikroskopie, die der Physiknobelpreisträger Stefan Hell entwickelt hat. Allerdings: Bei STED wächst mit der Auflösung auch die nötige Laserleistung – es wird mehr Energie auf die Probe gepumpt. „Biologische Proben können dadurch Schaden nehmen” , sagt der Ulmer Physiker Jelezko. Mit NOON dagegen lässt sich die Leistung verringern, indem man weniger Photonen-Gruppen pro Zeit aussendet.
Was bei Mikroskopen funktioniert, könnte auch die Herstellung von Computerchips deutlich verbessern. Experten sprechen hier von Quantenlithografie. Das Prinzip ist dasselbe wie beim heutigen Verfahren: Durch Belichten werden die Muster für die Schaltkreise auf die Halbleiterchips geprägt. Doch NOON-Zustände könnten viel filigranere Muster prägen. Die Grenzen der Miniaturisierung von Computerchips ließen sich so nach unten verschieben.
Sogar einzelne Moleküle sind nachweisbar
Und noch etwas lässt sich mit NOON realisieren: Das Verfahren kann Sensoren extrem empfindlich machen. Peter Michler, Direktor des Instituts für Halbleiteroptik und Funktionelle Grenzflächen der Universität Stuttgart, entwickelt zurzeit einen millimeterkleinen Chip, auf dem Lichtleiterbahnen die beiden verschränkten Wege vereinen. So ergibt sich eine Interferenz, die feine Unterschiede in der Phase der beiden Wege offenbart. Einer der Lichtleiter enthält Andockstellen für Moleküle. Mit jedem Molekül, das sich daran heftet, verschiebt sich die Phase ein wenig. Der Clou: Die Anordnung deckt umso kleinere Phasenunterschiede auf, je mehr Photonen der NOON-Zustand enthält. So sollen selbst einzelne Moleküle nachweisbar sein.
Dass Mikroskopie mit NOON-Zuständen bei vier Photonen machbar ist, haben die Forscher bereits gezeigt – wobei die theoretisch mögliche Verbesserung fast erreicht wurde. „Möglich sind bis zu 100 Photonen in einem NOON-Zustand”, sagt Fedor Jelezko. Doch die technische Umsetzung ist schwierig. Die NOON-Zustände sind äußerst fragil, betont der Physiker. Geht nur ein einziges Photon auf dem Weg verloren, ist der gesamte Zustand dahin. Außerdem funktioniert die Verschränkung nur, wenn die einzelnen Photonen wirklich identisch sind. Und: Die Quellen für die Photonen sollten auf einen Mikrochip passen, um technische Anwendungen realisierbar zu machen.
Dazu reichen die Standardmethoden der Halbleitertechnik nicht aus. Michlers Team will es mit Quantenpunkten versuchen. Das sind Halbleiterpartikel, die wie ein winziger Kirschkern in einen anderen Halbleiter eingebettet sind (siehe bdw 3/2015, „Kleiner Punkt ganz groß”). Ähnlich wie Atome senden sie Licht bestimmter Wellenlängen aus. Doch anders als Atome emittieren zwei Quantenpunkte nicht exakt das gleiche Spektrum. Die Kerne bestehen aus rund 1000 Atomen, wobei die genaue Zahl von Quantenpunkt zu Quantenpunkt schwankt – und es ist schwer, zwei genau gleiche Quantenpunkte herzustellen. Das ist ein Manko.
Jelezkos Team entdeckte jüngst eine andere Quelle für identische Photonen: Diamanten, die mit Silizium-Atomen verunreinigt sind. Aber diese Photonenquelle funktioniert nur bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt bei minus 273 Grad Celsius. Bei der Quantenlithografie bräuchte es dagegen Fotolacke, die auf Gruppen von Photonen reagieren statt auf einzelne Lichtpartikel. Sie wären nötig, um die Vorteile von NOON nutzen zu können. In den Fotolack würde das Licht die Strukturen der elektronischen Schaltkreise schreiben.
All das zeigt: Vieles funktioniert zwar bereits im Labor. Doch dort herrschen streng kontrollierte, oft anwendungsferne Bedingungen, die die fragilen Quanteneffekte vor Störeffekten schützen. Die Versuchsaufbauten füllen oft große Labortische. Um sie so weit zu miniaturisieren, dass die Effekte für Anwendungen nutzbar werden, müssten alle Komponenten in Halbleitertechnik verwandelt werden. Und bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Doch Physikern wie Anton Zeilinger geht es ohnehin nicht in erster Linie um technische Anwendungen: Experimente wie das Quanten-Imaging ermöglichen vor allem neue Einsichten in die bizarre Quantenwelt. Sie lassen die Physiker die verrückten Phänomene dort besser verstehen. Photonen sind dabei nicht nur Mittel zum Zweck. Denn auch das Licht birgt noch viele Geheimnisse. Und die trickreichen Quantenexperimente helfen, sie zu ergründen. •
von Christian J. Meier
Kompakt
· Die Quantenverschränkung erlaubt es Photonen, Informationen über ein Bildmotiv miteinander auszutauschen.
· Dadurch lassen sich Objekte, die für normales Licht nicht sichtbar sind, mittels infrarotem oder UV-Licht abbilden.
· Die Methode ermöglicht es Fotografen, bei Aufnahmen im Dämmerlicht das lästige Schrotrauschen auszutricksen.
Tot und lebendig
Mit seinem Gedankenexperiment, bei dem eine Katze in einer Kiste mit einem Todesmechanismus eingesperrt ist, wollte der österreichische Physiker Erwin Schrödinger die absurden Folgen der Quantentheorie für den Alltag zeigen. Da der tödliche Mechanismus bei „Schrödingers Katze” durch einen Zufall ausgelöst wird, lässt sich – ohne die Kiste zu öffnen – nicht sagen, ob das Tier tot oder lebendig ist. Nach den Gesetzen der Quantenphysik ist sie beides zugleich. Dass ein solcher Widerspruch in der Quantenwelt Wirklichkeit ist, belegte der französische Physiker Sege Haroche Ende der 1990er-Jahre experimentell. Dazu sperrte er statt einer Katze ein angeregtes Atom in eine Resonanzröhre. Durch Überlagern von Mikrowellenfeldern ließen sich zwei atomare Zustände erzeugen, die dem „tot” oder „lebendig” der Katze entsprachen. Haroche fand heraus: Das Atom in der Röhre war in einem überlagerten Zustand beider Varianten. Erst als es zufällig ein Lichtteilchen verlor, das die Anordnung verließ, zerfiel der skurrile Doppelzustand – wie beim Öffnen der Kiste im Gedankenexperiment mit der Katze.
Leuchtende Kreaturen
Das Science Center „experimenta” in Heilbronn gibt bis zum 2. August in einer Sonderausstellung eindrucksvolle Einblicke in die geheimnisvolle Welt leuchtender Lebewesen. Die Besucher erleben zum Beispiel, wie unzählige winzige Mikroben die Ozeane erglimmen lassen, sie erfahren, warum faulendes Holz im Wald leuchtet und was hinter dem nächtlichen Farbenspiel von Korallenriffen steckt. Die Ausstellung „Creatures of Light” wurde am American Museum of Natural History in New York entwickelt und wird nun in Heilbronn präsentiert. Deutschsprachige Erklärungen zu den Exponaten liefert den Besuchern ein kostenlos bereitgestellter Audioguide. Öffnungszeiten: montags bis freitags 9 bis 18 Uhr, samstags, sonntags und an Feiertagen 10 bis 19 Uhr. Weitere Infos unter www.experimenta-heilbronn.de
Schwebende Blitze
Karl der Große hat von ihnen berichtet, ebenso Heinrich II. von England sowie die römischen Dichter Seneca und Plinius der Ältere. Selbst die Physiknobelpreisträger Niels Bohr und Pjotr Kapitza machten angeblich bei einem Gewitter Bekanntschaft mit ihnen. Dennoch hielten viele Wissenschaftler Kugelblitze lange für reine Fantasiegebilde. Denn es war schwer zu erklären, wie die sonderbaren Leuchterscheinungen entstehen sollten – und was sie über längere Zeit am Leuchten halten könnte, wie die Augenzeugen berichteten. Die meist fußballgroßen Lichtknäuel wurden oft als gelb oder rötlich beschrieben. Sie schwebten oder bewegten sich waagerecht, mitunter drangen sie sogar durch geschlossen Türen oder Fenster, und verschwanden dann wieder plötzlich.
Allmählich kommt Licht ins Dunkel: Chinesische Forscher konnten im Herbst 2012 erstmals einen Kugelblitz in der Natur mit wissenschaftlichen Instrumenten ergründen. Die Physiker um Ping Yuan von der Universität Lanzhou hatten auf einem Gebäude im Nordwesten des Landes Kameras und empfindliche Messgeräte aufgestellt, mit denen sie gewöhnliche Blitze untersuchen wollten. Als ein solcher Blitz in der Nähe der Messstation einschlug, ging ihnen nebenbei eine eigenartige Lichtkugel ins Netz. Hochaufgelöste Videos zeigen das Gebilde als fünf Meter großen Lichtball, der in etwa 900 Meter Entfernung auftauchte. Seine Farbe variierte zwischen lila, weiß, orange und rot, und seine Helligkeit nahm allmählich ab, bis er sich nach anderthalb Sekunden auflöste.
Mithilfe zweier an die Kameras angeschlossener Spektrometer, mit denen sich die Zusammensetzung des Lichts analysieren ließ, fanden die Forscher die chemische Konsistenz des Kugelblitzes heraus. Das Resultat, über das die Chinesen Anfang 2014 berichteten: In dem schwebenden Blitz steckten Ionen von Silizium, Eisen und Kalzium – Elementen, die üblicherweise auch das Erdreich enthält.
Das nährt eine Theorie von zwei Chemikern der Universität Canterbury in Neuseeland: John Abrahamson und James Dinniss vermuten, dass Silizium eine entscheidende Rolle beim Entstehen von Kugelblitzen spielt. Das Halbmetall, so ihre Vorstellung, wird freigesetzt, wenn ein Blitz in sandigen Untergrund einschlägt. Durch die Hitze beim Einschlag verdampfen Minerale im Boden. Zugleich kommt es zu einer Reaktion zwischen Kohlenstoff und Siliziumoxid, die viele nanometerkleine Partikel aus reinem Silizium entstehen lässt. Sie bilden ein Geflecht ähnlich wie Nanotubes oder Buckyballs aus Kohlenstoff und lagern sich zu einem runden Gebilde zusammen, das der Dampf nach oben treibt. Dort, glauben die Neuseeländer, wird das Silizium von Luftsauerstoff angegriffen und verbrennt, wodurch das Leuchten entsteht. Die Energie würde also aus einer chemischen Reaktion stammen.
Murmeln aus Licht kullerten über den Boden
Während es den neuseeländischen Forschern nicht gelang, so etwas im Labor nachzuvollziehen, waren brasilianische Physiker erfolgreich: Sie erzeugten kugelförmige Leuchtgebilde, indem sie mit dem Licht einer Bogenlampe die Oberfläche eines Silizium-Wafers bestrahlten – einer dünnen Platte aus kristallinem Silizium, wie sie zur Herstellung von Mikrochips verwendet wird. Daraufhin entstanden Lichtkugeln, die aber nur wenige Zentimeter groß waren und statt zu schweben wie Murmeln über den Boden kullerten.
Der Berliner Physiker Gerd Fußmann versuchte es mit einem anderen Trick. Er und sein Kollege Burkhardt Jüttner benutzten einen Plexiglasbehälter, der mit Wasser gefüllt war. Für die Versuche am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching und Berlin sowie an der Berliner Humboldt-Universität versahen sie das Gefäß mit zwei Elektroden: Eine befand sich als Kupferplatte am Boden des Behälters, die andere berührte als Draht die Wasseroberfläche. Ein Keramikröhrchen isolierte den Draht gegen das Wasser.
Als die Physiker einen „Blitz” in Form eines Hochspannungspulses von 5000 Volt zwischen die Elektroden schickten, schoss ein starker elektrischer Strom durch Wasser und Keramik. Und tatsächlich: Über dem Gefäß stieg ein hell leuchtender Pilz aus Plasma auf, der sich zu einem Ball formte und etwa eine halbe Sekunde lang frei schwebte. Analysen ergaben: Ein Teil des Wassers war durch den Stromstoß verdampft und ionisiert worden.
Im Inneren der Plasmawolke, deren Farbe sich durch Beigabe von Salzen ins Wasser variieren ließ, maßen die Forscher mit einem Spektrometer rund 4000 Grad Celsius – genug, um den Atomen im Dampf Elektronen zu entreißen und sie so zum Leuchten zu bringen. Umgeben war die heiße Lichtkugel von einer kühleren Wasserhaut, die dafür sorgte, dass die Kugel keinen Schaden anrichten konnte – auch Kugelblitze sind ja angeblich harmlos. Bei einem Gewitter, meint Fußmann, könnte sich das Szenario genauso abspielen, wenn ein Blitz in eine große Pfütze schlägt.
Plasmaphysiker der Universität Innsbruck sind dagegen nicht von der realen Natur der Kugelblitze überzeugt. Josef Peer und Alexander Kendl glauben, dass die Wahrnehmung auf einer Halluzination beruht. Sie schließen das aus Simulationen, die zeigen, dass eine besondere Form von Blitzen, bei denen sich elektrische Entladungen rhythmisch wiederholen, im Gehirn dieselben Auswirkungen hat wie die Transkranielle Magnetstimulation. Dieses Verfahren setzen Mediziner und Psychiater ein, um Neuronen anzuregen. Die Patienten haben daraufhin Leuchterscheinungen, sogenannte Phosphene. Dasselbe könnte bei einem Gewitter passieren, wenn durch elektromagnetische Felder die Nervenzellen in der Netzhaut des Auges angeregt werden. Solche Blitze mit wiederholten Entladungen sind zwar selten. Doch Kendl meint: „Ein Beobachter, der wenige Hundert Meter von einem Blitzeinschlag entfernt ist, könnte ein magnetisches Phosphen in Form eines hellen Lichtflecks wahrnehmen.” Kugelblitze wären dann nichts als ein Leuchten im Kopf. •
von Ralf Butscher
Verrücktes Licht
Es ist allgegenwärtig. Ohne Licht wäre das Leben auf der Erde undenkbar. Und es macht unsere moderne weltumspannende Kommunikation erst möglich. Licht heilt in der Medizin und hilft Wissenschaftlern, den Mikrokosmos, die Umwelt und das Universum zu ergründen. Doch manchmal spielt es auch verrückt.
Seite 36 Bilder des Unsichtbaren
Mithilfe der Quantenphysik lassen sich Fotos von unsichtbaren Dingen machen und Mikroskope bis ins Unendliche schärfen.
Seite 42 Wie weggezaubert
Deutsche Physiker haben Tarnkappen entwickelt, die Objekte scheinbar verschwinden lassen.
Seite 44 Stopp fürs Licht
Quantencomputer sollen die Rechenleistung enorm steigern. Dahinter steckt ein Trick, um Licht anzuhalten und zu speichern.
Seite 46 Schwebende Blitze
Die mysteriösen Kugelblitze lassen sich nun auch im Labor erzeugen. Doch die Leuchtbälle bleiben rätselhaft.
Ohne Titel
Als Hobbyfotograf ärgert sich Wissenschaftsjournalist CHRISTIAN J. MEIER aus Darmstadt hin und wieder über störendes Bildrauschen. Er setzt auf Abhilfe aus der Quantenwelt.
Licht in der Möbiusschleife
Wer sich ein Möbiusband genau anschaut, dem kann schwindelig werden. Denn das in sich verdrehte Band hat weder Innen- noch Außenseite. Es lässt sich ganz einfach herstellen, indem man einen Papierstreifen an beiden Enden zusammenklebt – und diese zuvor um 180 Grad verdreht. In der Natur ist die Struktur, die die beiden deutschen Mathematiker Johann Benedict Listing und August Ferdinand Möbius 1858 entdeckt haben, kaum zu finden. Lediglich ein Protein ist bekannt, das so geformt ist. Nun ist es Forschern am Erlanger Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts und an der Universität Erlangen-Nürnberg gelungen, einen Lichtstrahl zu einem Möbiusband zu winden. Dazu nutzten sie zirkular polarisiertes Laserlicht, das sie durch eine Linse aus einem Flüssigkristall schickten. Sie spalteten das Licht in zwei Teilstrahlen mit gegenläufiger Polarisation auf. Fokussiert auf ein Goldkügelchen, formten diese schließlich die verschlungene Struktur.