Die Milchstraße ist eine Balkenspirale – ihre Arme gehen von einem zentralen, geraden Balken aus Sternen ab. Doch wie dieser Sternenbalken genau aussieht, ließ sich bislang nur indirekt ermitteln. Jetzt haben Astronomen diese Kernstruktur unserer Heimatgalaxie erstmals dreidimensional abgebildet. Dies gelang mithilfe von Daten des ESA-Satelliten Gaia, die die Forscher mit zusätzlichen Daten erdbasierter Infrarot-Teleskope verknüpften. Erst dies erweiterte den Blick bis ins galaktische Zentrum und erhellte so die Struktur des zentralen Balkens – einem Gebilde, dessen Entstehung und Entwicklung noch immer unklar ist.
Sie ist unsere kosmische Heimat und doch birgt die Milchstraße noch immer einige Geheimnisse. Denn die Struktur und Form unserer Heimatgalaxie zu bestimmen, ist schwieriger als man glaubt. Weil wir selbst Teil dieser Sternenansammlung sind, können wir sie nicht von außen betrachten. Stattdessen sehen wir die Hauptebene unserer Galaxie mit dem galaktischen Zentrum von der Seite – sie erscheint als helles Band am Himmel. Um die Struktur der Milchstraße zu ermitteln, müssen Astronomen daher zu Hilfsmitteln greifen: Sie messen die Entfernung von Sternen und schließen daraus, wo diese am dichtesten stehen – und damit auch, wie die Galaxie von oben aussehen würde. Heute wissen wir bereits, dass die Milchstraße eine Balkenspirale ist: Sie besitzt im Zentrum ein lineares Sternenband, von dem die Spiralarme ausgehen. Nach Schätzungen von Astronomen findet sich ein solcher Balken in rund der Hälfte aller Spiralgalaxien.
Blick bis ins Zentrum
“Wir wissen, dass die Milchstraße einen Balken hat, so wie andere Balkenspiralgalaxien, aber bisher hatten wir nur indirekte Hinweise aus den Bewegungen von Sternen und Gas oder aus der Sternenzählung in Infrarotdurchmusterungen”, erläutert Erstautor Friedrich Anders von der Universität Barcelona. Um die dreidimensionale Struktur des Balkens genauer sehen zu können, haben Anders und sein Team nun eine neue Methode der Kartierung genutzt. Als Basis verwendeten sie dafür die Ergebnisse der zweiten Datenveröffentlichung des ESA-Satelliten Gaia. Dieses Weltraumteleskop hat die Positionen von mehr als 1,7 Milliarden Sternen in der Milchstraße kartiert und für viele von ihnen auch die Bewegung, Farbe und Helligkeit erfasst. “Wir haben uns insbesondere zwei der in den Gaia-Daten enthaltenen Sternparameter angesehen: die Oberflächentemperatur der Sterne und die Lichtabschwächung”, erklärt Anders. Letzter wird davon beeinflusst, wie weit der Stern entfernt ist, aber auch, wie viel Staub zwischen ihm und uns liegt.
Diese Datenbasis haben die Astronomen mit zusätzlichen Informationen verknüpft, die aus mehreren Himmelsdurchmusterungen von erdbasierten Infrarotteleskopen stammen. Weil Infrarotlicht auch Staub durchdringen kann, ermöglichen es diese Zusatzdaten, die Entfernungsangaben des Gaia-Sternenkatalogs noch zu präzisieren. Die Forscher konnten so die Sterneigenschaften, die interstellare Lichtabschwächung und die Entfernungen für etwa 150 Millionen Sterne in unserer Galaxie verbessern – die neuen Entfernungswerte sind teilweise um bis zu 20 Prozent genauer. “Mit der zweiten Gaia-Datenveröffentlichung können wir einen Radius um die Sonne von etwa 6500 Lichtjahren sondieren, aber mit unserem neuen Katalog können wir diese “Gaia-Kugel” um das Dreifache oder Vierfache erweitern, bis ins Zentrum der Milchstraße”, erklärt Co-Autorin Cristina Chiappini vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam.
Anders als erwartet
Der neue Blick auf das Milchstraßenzentrum ermöglichte es den Astronomen, eine dreidimensionale Karte des Milchstraßenbalkens zu erstellen. “Dies ist das erste Mal, dass wir den galaktischen Balken im 3D-Raum sehen, basierend auf geometrischen Messungen von Sternabständen”, erläutert Anders. “Unsere Beobachtung kann fast schon als direkte Abbildung des Milchstraßenalkens angesehen werden.” In den Daten ist eine deutliche Zone erhöhter Sternendichte im Zentrum der Milchstraße zu erkennen, deren große Halbachse rund 13.000 Lichtjahre lang ist und die um 40 Grad gegen den Sonnenazimut geneigt ist. “Die Signifikanz unseres Ergebnisses liegt darin, dass die Form und der Neigungswinkel ziemlich von unseren Vorannahmen abweichen, erklären die Forscher. Ihre Kartierung lieferte zudem neue Informationen zur Bewegung des galaktischen Balkens.
Die Astronomen sehen in ihrer neuen Methode einen vielversprechenden Weg, um künftig auch weitere Komponenten und Strukturen der Milchstraße genauer zu kartieren. “Wir interessieren uns letztendlich für galaktische Archäologie: Wir wollen rekonstruieren, wie sich die Milchstraße entwickelt hat, und dazu müssen wir die Geschichte jedes einzelnen ihrer Bestandteile verstehen”, sagt Chiappini. Noch genauere Daten dafür könnte die dritte Gaia-Datenveröffentlichung liefern, die derzeit für 2021 geplant ist.
Quelle: Friedrich Anders (Universität Barcelona) et al., Astronomy & Astrophysics, doi: 10.1051/0004-6361/201935765