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Zellen des Wachstums

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Zellen des Wachstums
Ein Wettbewerb mobilisiert Deutschlands Biotech-Branche. „Nummer Eins in Europa” soll die Biotechnologie hierzulande werden, fordert der Forschungsminister. Selbst „ BioRegio”-Kritiker räumen ein: Dieser Wettbewerb hat Deutschlands junge Bio-Branche kräftig stimuliert.

Insgeheim träumt doch jeder Biochemiker davon, sich selbständig zu machen”, sagt Olivera Josimovic-Alasevic lächelnd. Aber die wenigsten tun es. Die promovierte Biochemikerin, die auch ein Diplom in Pharmazie vorweisen kann, hat diesen Traum verwirklicht.

Sie ist Geschäftsführerin der co.don GmbH, einer Gesellschaft für molekulare Medizin und Biotechnologie in Teltow bei Berlin, die sie Anfang 1994 zusammen mit dem Arzt und Fachkollegen Dr. Karl-Gerd Fritsch gründete. Das mittlerweile neun Mitarbeiter starke Unternehmen darf sich zur Elite der kleinen und mittleren Biotech-Unternehmen in und um die deutsche Hauptstadt zählen. Das attestiert jedenfalls Dr. Günter Peine, Leiter des “BioTOP”-Büros Berlin-Brandenburg – eine Initiative zur Förderung der Bio-Branche.

Die Firma co.don glänzt mit dem innovativen Verfahren des sogenannten Tissue-Engineering: In den neuen Labors werden menschliche Knorpelzellen gezüchtet, die sich zur Transplantation eignen. Damit lassen sich beispielsweise Knorpeldefekte im Knie oder Sprunggelenk behandeln. Auch Zellsysteme, mit denen man die Wirkung von Medikamenten testen kann, gehören zur Produktpalette. Ein weiteres vielversprechendes Spezialgebiet sind Diagnostika, mit denen sich Knochenschwund ebenso registrieren läßt wie Therapiefortschritte.

“Mit den Knorpelzell-Transplantaten sind wir Spitze”, sagt Josimovic-Alasevic. Die einzig ernstzunehmende Konkurrenz, die Firma “Genzyme” aus Boston, sei um rund 25 Prozent teurer. Doch trotz dieses Marktvorteils klingelt die Kasse noch nicht wie gewünscht: Die Krankenkassen tun sich schwer mit der Honorierung der neuen Therapie. Ohne öffentliche Unterstützung hätten die jungen Existenzgründer die anfängliche Durststrecke nicht überlebt.

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Nach dem Einzug in das Teltower Technologiezentrum half eine Geldspritze des Bundesforschungsministeriums (BMBF). Doch die 800000 Mark Bonner Starthilfe konnten nur fließen, wenn die Existenzgründer 200000 Mark Eigenkapital aufbrachten. Ein Kredit mußte her. “Es war eine Odyssee”, erinnert sich die Jungunternehmerin. Apotheker-Bank und Dresdner Bank winkten ab. Erst als die Medien auf das pfiffige Knochentestverfahren aufmerksam machten, gab die Deutsche Bank eine Zusage.

Rund 500000 Mark Förderung aus dem Bonner Programm “BioTech 2000” kamen hinzu. Diesmal waren die Eigenmittel etwas leichter zu beschaffen. Und als Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers im Oktober 1995 den “BioRegio”-Wettbewerb ausschrieb, waren die beiden Teltower mit von der Partie.

Für die Region Berlin-Brandenburg war es – so Peine – sehr wertvoll, daß sich neben Großunternehmen wie Schering und einer Vielzahl hochkarätiger Forschungseinrichtungen auch wendige kleine Firmen wie die co.don beteiligten. Denn gerade die schnelle Umsetzung biotechnologischen Wissens in Patente, Produkte und Verfahren hatte der Bundesforschungsminister groß auf die Fahnen des nationalen Biotechnologie-Förderwettbewerbs geschrieben.

Rüttgers ging dabei einen neuen Weg. Nicht einzelne Antragsteller – wie sonst üblich – sollten um Fördergelder rangeln, sondern ganze Regionen. Statt quantitativer Vorgaben gab es qualitative Anforderungen: Zunächst sollten Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Banken, Dienstleistung und Verwaltung aussichtsreiche Förderkonzepte ausarbeiten. Teilnahmekriterien für Unternehmen und Forschungseinrichtungen waren nicht nur eine biotechnologische Orientierung, sondern auch der Besitz von Patenten und Genehmigungen für den Betrieb biotechnologischer Anlagen oder für Freisetzungsversuche. Durchdachte Vermarktungsstrategien oder praktikable Ansiedlungskonzepte sollten vorhanden sein. Auch die Bereitschaft von Banken oder Privatanlegern, die Existenzgründer zu finanzieren, wurde mit bewertet.

Im April 1996 wurden 17 Regionen benannt, die ihr Konzept – mit finanzieller Unterstützung aus dem BioRegio-Topf – sechs Monate lang weiterentwickeln durften. Im November 1996 kürte die international besetzte, zehnköpfige Jury die drei Modellregionen. “Vor der Bekanntgabe der Sieger knisterte Spannung wie bei der Oscar-Verleihung”, erinnert sich Dr. Hans-Joachim Bremme, BASF-Aktivist für die Region Rhein-Neckar-Dreieck.

“17 starke Standbeine der Biotechnologie” gebe es jetzt, lobte Jürgen Rüttgers sämtliche Teilnehmer. Doch richtig freuen konnten sich nur die Vertreter der siegreichen BioRegionen: das Rhein-Neckar-Dreieck zwischen Heidelberg, Ludwigshafen und Mannheim, das Rheinland im Umfeld von Köln, der Großraum München.

“Die Stärken stärken”, lautete nach den Worten des Jury-Vorsitzenden Prof. Karl Molitor, ehemals Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Chemie, das Motto. Diese “starken und potenten Regionen” könnten “Deutschland als Biotechnologie-Land im internationalen Vergleich am besten so gut und schnell wie möglich nach vorne bringen”.

Die Jury habe insbesondere für Ostdeutschland zu wenig den Aufbruch ins biotechnologische Neuland honoriert, murrten Unzufriedene. Schließlich hätte man in den neuen Bundesländern in kurzer Zeit erst die Grundlagen für eine starke Biotechnologie legen müssen, während die Konkurrenten im Westen bereits aus dem Vollen schöpfen konnten. Da spendete es wenig Trost, daß die BioRegio Jena ein anerkennendes “Sondervotum” erhielt.

In Köln, Heidelberg und München, den drei Siegerregionen, blies man dank des Bonner Geldsegens von jeweils 50 Millionen Mark – verteilt auf jeweils fünf Jahre – sofort zur Offensive. Die bisher eher bescheiden ausgestatteten Initiativbüros wurden “aufgerüstet”. Neue Räume im Kölner Technologiepark bezog beispielsweise die Landesinitiative “BioGentec NRW”, die Zahl der Mitarbeiter wuchs von drei auf zehn.

“Wir informieren die Antragsteller und vermitteln Beratung zu Management, betriebswirtschaftlichen und patentrechtlichen Fragen”, sagt Sprecherin Melanie Dippel. Man gehe auch auf die Öffentlichkeit zu, um Vorurteile gegenüber Bio- und Gentechnologie abzubauen. Für die Finanzierung von Existenzgründungen steht Risikokapital von 20 Millionen Mark zur Verfügung.

Das Geld wird in der BioRegio Rheinland anscheinend dringend gebraucht. “Aus kleinen und mittleren Unternehmen und Hochschulen liegen bereits 120 Projektanträge mit einem Investitionsvolumen von über 165 Millionen Mark vor”, bilanzierte Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Technologieminister Wolfgang Clement schon sechs Monate nach dem Erhalt der Siegerurkunde. 14 Projekte, die zu Existenzgründungen oder Betriebserweiterungen führen sollen, seien bewilligungsreif.

Auch in der Rhein-Neckar-Region gibt es Geburtshelfer beim Technologietransfer. Als erste Kontaktstelle zwischen Forschern und Wirtschaft dient der gemeinnützige Verein “BioRegion Rhein-Neckar-Dreieck”. Vertreter von Forschungsinstituten, Kammern und Unternehmen sowie Privatpersonen gehören ihm an. Beratung der Wissenschaftler in Management- und Patentfragen sowie Weiterbildung in Unternehmensführung werden geboten.

Der Verein prüft die Anträge auf Förderung aus dem Bonner BioRegio-Programm. Kriterium Nummer eins: Schaffung neuer Arbeitsplätze. Bei den acht bereits ausgewählten Projekten geht es um Dienstleistungen für Forschung und Industrie sowie um die Entwicklung neuer Arzneimittel. Aktivitäten in Landwirtschaft und Ernährung sollen folgen.

Das zweite Standbein der Transferhilfe ist die “Heidelberg Innovation GmbH”. Die von den chemisch-pharmazeutischen Firmen BASF, Knoll, Boehringer Mannheim und Merck – den vier bedeutendsten biotechnologischen Unternehmen der Region – getragene Gesellschaft kümmert sich um Marktforschung und Preisanalysen und beteiligt sich an Unternehmensgründungen.

Drittens dient die “Seed-Capital Fonds Rhein-Neckar GmbH und Co KG” der Kapitalbeschaffung für Existenzgründer. Für diesen Fonds liegen nach Hans-Joachim Bremmes Angaben bereits Zusagen von Unternehmen und Banken in Höhe von mehr als fünf Millionen Mark vor.

Eine Reihe neuer Firmenkinder haben in der BioRegion Rhein-Neckar bereits das Licht der Welt erblickt. Zuerst entstand – mit drei Millionen Mark Startkapital – die auf die Analyse von Genproben spezialisierte Lion AG in Heidelberg. Sie will in der Humanmedizin, in Umweltschutz und Pflanzenzucht tätig sein. Die Gründer, die ihr Know-how am Europäischen Labor für Molekulare Biologie (EMBL) in Heidelberg erworben haben, sehen gute Marktchancen in der DNA-Analytik. “In drei Jahren wollen wir die Nummer eins in Europa und die Nummer drei in der Welt sein” – so steckt Dr. Friedrich von Bohlen das Ziel. Die Belegschaft soll von derzeit 20 auf 60 Mitarbeiter wachsen.

Ganz groß will auch das deutsch-amerikanische Gemeinschaftsunternehmen BASF-Lynx einsteigen: in das Geschäft mit der Analyse von DNA-Sequenzen. Dafür stellen die namengebenden Mütter innerhalb von fünf Jahren 100 Millionen Mark zur Verfügung. Das Unternehmen werde völlig selbständig arbeiten, auch wenn anfangs der Ludwigshafener Chemie-Riese bei Personalverwaltung und Buchhaltung aushelfe, versichert Geschäftsführer Dr. Alfred Bach.

Der Biologe hat nach der Promotion in Heidelberg ein halbes Jahr Genentech-Luft geschnuppert. Nach dem Vorbild der Pionier-Firma in San Francisco soll es auch in Heidelberg nur eine flache Hierarchie geben.

Alle Mitarbeiter – ob mit Fachhochschulabschluß oder Promotion – sollen die gleichen Möglichkeiten haben. Kernstück der Arbeit ist das “Massive Parallel Signature Sequencing” (MPSS). Diese neue Technik ermöglicht es, die Aktivität von Genen in menschlichen Körperzellen zu beobachten. Das Wissen, wie krankmachende Gene aktiviert werden, läßt sich beispielsweise für die Herstellung von Medikamenten gegen Epilepsie nützen.

Informationen in den Genen aufspüren und kommerziell nutzen – dies hat auch der dritte BioRegio-Sieger, der Großraum München, zum Schwerpunkt seiner Aktivitäten gemacht. Mitte Juni 1997 gründete der Initiativkreis Biotechnologie München zudem das Dienstleistungsunternehmen “BioM GmbH”. Es soll die BioRegio-Aktivitäten koordinieren und Hilfen bei der wirtschaftlichen Nutzung von Biotechnik geben.

“BioM soll bald in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden”, sagt Prof. Horst Domdey, Biochemiker an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach einer Anlaufphase soll sich die Gesellschaft selbst tragen und Gewinne einfahren. Vor allem möchte Domdey Wissenschaftler animieren, sich finanziell zu beteiligen.

An Ideen und Projektskizzen fehlt es offensichtlich nicht. Aus dem Aktivitätsschwerpunkt “Genombasierte Produktentwicklung” sind laut Domdey bis Juni 1997 bereits elf Anträge zur Förderung empfohlen worden, bei denen neue Arbeitsplätze entstehen könnten. “Die bisher eingegangenen Projekte haben ein Gesamtvolumen von etwa 70 Millionen Mark”, sagt Initiativkreis-Mitarbeiterin Benedikte Hatz.

Der Löwenanteil entfällt auf den Pharmabereich, der Rest verteilt sich nahezu gleichmäßig auf die Landwirtschaft und den Bereich Analytik/Informatik. Etwa zehn Millionen Mark Risikokapital wird BioM zur Verfügung stellen. Doch schon jetzt scheint das Klima an der Isar anregend für Existenzgründungen zu sein: “Etwa die Hälfte des privaten Risikokapitals in Deutschland ist in kleine Biotechnologiefirmen im Großraum München investiert”, so Hatz.

“Daß der BioRegio-Wettbewerb ein so großer Erfolg wird, war anfangs niemandem klar”, meint Domdey. So zieht der Forschungsminister stolz Bilanz: “In der Forschung hält Deutschland schon heute weltweit eine Spitzenposition, beim Risikokapital liegen wir in Europa auf Platz zwei hinter Großbritannien.” Rüttgers bekundet, die Zahl an Biotech-Unternehmen habe sich in den beiden letzten Jahren von 75 auf 150 Firmen verdoppelt. Hierzulande könnten im Jahr 2000 bis zu 110000 Menschen rund um die Biotechnologie beschäftigt sein. Derzeit werden etwa 20000 Arbeitsplätze gezählt, das Zuliefer-Umfeld eingerechnet.

Noch seien die Kosten der Genehmigungsverfahren zu hoch, und die Verwaltung arbeite zu unflexibel. Doch die Chancen stünden jetzt generell gut, das gesteckte Ziel zu erreichen: Deutschland soll bis zum Jahr 2000 zur Nummer eins in Europa werden und Großbritanniens Bio-Branche überholen.

“Momentan ist das United Kingdom noch klarer Spitzenreiter”, betont Dr. Claus Kremoser, Biotechnologie-Experte der Stuttgarter Unternehmungsberatung Schitag Ernst & Young. Nehme man die Zahl der börsennotierten Unternehmen als Maßstab, so liege derzeit das Vereinigte Königreich mit 36 der insgesamt 49 in Europa registrierten Firmen weit vorne.

Dennoch sieht Kremoser die Branche im Aufwind. “In unserer Biotech-Studie “A new economy” haben wir 1996 von allen europäischen Ländern für Deutschland den größten Anstieg in der Zahl der Firmen notiert. BioRegio hat den Dialog zwischen vorher separaten Kreisen enorm gefördert”, sagt der Experte.

Wirtschaft und Wissenschaft, Banken und Verwaltung haben auf regionaler Ebene zusammengefunden. Nach Auszeichnung und Geldsegen für die drei Sieger sollte jetzt eines nicht vergessen werden: den Elan der anderen 14 Regionen zu erhalten.

Paul Janositz

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